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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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außerdem durch Verwendung für andere Zwecke noch unnütz zersplittert wurden.
Für die Kunst ist es ein schwerer Verlust, daß diese Skizze nicht zur Ausfüh¬
rung gekommen ist. Das milde, bescheidene, gedrückte, fromme, und doch er¬
weckende und befreiende Wesen Gellerts ist hier mit einer Naturwahvheit und
einer so wohlthuenden Wärme und Ruhe ausgedrückt, daß ich nicht anstehe,
dieselbe unbedenklich für eine der allergelungensten Schöpfungen Rietschcls zu
halten. Eine solche milde Innigkeit be> so viel Formenstrenge und echter
Plastik, so seine Realistik bei so scharf eingehaltener Stilisirung. das ist eine
künstlerische That, wie ich seit der Zeit der besten Renaissance keine zweite zu
nennen wüßte. Man stelle diese Skizze neben die Statuette Kraner's! Es
wäre eine äußerst würdige Aufgabe der Stadt Leipzig, noch nachträglich von
den begabten Schülern Nietschets diese Statue für Leipzig ins Leben zu rufen;
Leipzig ist reich und kunstsinnig genug, um die Verwirklichung dieses Planes
auch neben der beabsichtigten Leibnitzstatue möglich zu machen. Die Statue
Webers ist in der Nähe des Dresdener Theaters errichtet. Webers Gestalt, war
plastischer Darstellung nicht günstig; deshalb hat hier der Künstler nach der
joust verschmähten Mantelgewandung zurückgegriffen. Aber die seine Jnoivi-
dualisirung Rietschcls zeigt sich im glänzendsten Licht. Weber ist dargestellt,
die Linke auf das Notenpult gestützt, in der Rechten die Rose und den deutschen
Eichenzweig; das Haupt ist in milder Neigung nach oben gewendet, gleichsam
den Tönen lauschend, die ihm aus höherer Geisterwelt herübert'klugen. In
der Linienführung ist ein so weicher und harmonischer Fluß, daß, obgleich
durch und durch plastisch und stilvoll, sie doch ein Stück Musik in sich selbst trägt.

Rietschel stand aus der höchsten Höhe seines wohlverdienten Ruhmes, als
ihm im Jahre 1859 der ehrenvolle Auftrag wurde, das in Worms zu errich¬
tende große Lutherdenkmal zu übernehmen. Rietschel erfaßte diese Ausgabe mit
der hingebendstcn Wärme; sie lag seiner künstlerischen und religiösen Empfin¬
dung gleich nahe. Er betrachtete dieses Werk als das Hauptwerk seines Le¬
bens. Je leidender seine Gesundheit wurde, desto inbrünstiger sprach er den
Wunsch aus, daß es ihm noch vergönnt sein möge, dieses Werk zu Ende zu
führen.

Es hat ihm dieser Wunsch nicht erfüllt werden sollen. Aber siehe" war
dieses Luthcrdcnkuml der würdigste Abschluß seines reichen und gewaltigen
Künstlerlebens.

Ursprünglich hatte sich Rietschel auf die enge" Grenzen einer Einzelstaine
beschränken wollen. Damals glaubte er. um Gegensatz zu Schadows Lnther-
dentmal in Wittenberg, für Worms ausschließlich die Situation des Reichs-
t"gs von Worms zum Grundmotiv nehmen zu müssen. Er entwarf eine erste
Skizze Luthers in der Mönchskutte, welche dieser aus dem Reichstage noch ge¬
tragen. Die Skizze ist noch vorhanden, und sie ist wunderbar schön in der


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außerdem durch Verwendung für andere Zwecke noch unnütz zersplittert wurden.
Für die Kunst ist es ein schwerer Verlust, daß diese Skizze nicht zur Ausfüh¬
rung gekommen ist. Das milde, bescheidene, gedrückte, fromme, und doch er¬
weckende und befreiende Wesen Gellerts ist hier mit einer Naturwahvheit und
einer so wohlthuenden Wärme und Ruhe ausgedrückt, daß ich nicht anstehe,
dieselbe unbedenklich für eine der allergelungensten Schöpfungen Rietschcls zu
halten. Eine solche milde Innigkeit be> so viel Formenstrenge und echter
Plastik, so seine Realistik bei so scharf eingehaltener Stilisirung. das ist eine
künstlerische That, wie ich seit der Zeit der besten Renaissance keine zweite zu
nennen wüßte. Man stelle diese Skizze neben die Statuette Kraner's! Es
wäre eine äußerst würdige Aufgabe der Stadt Leipzig, noch nachträglich von
den begabten Schülern Nietschets diese Statue für Leipzig ins Leben zu rufen;
Leipzig ist reich und kunstsinnig genug, um die Verwirklichung dieses Planes
auch neben der beabsichtigten Leibnitzstatue möglich zu machen. Die Statue
Webers ist in der Nähe des Dresdener Theaters errichtet. Webers Gestalt, war
plastischer Darstellung nicht günstig; deshalb hat hier der Künstler nach der
joust verschmähten Mantelgewandung zurückgegriffen. Aber die seine Jnoivi-
dualisirung Rietschcls zeigt sich im glänzendsten Licht. Weber ist dargestellt,
die Linke auf das Notenpult gestützt, in der Rechten die Rose und den deutschen
Eichenzweig; das Haupt ist in milder Neigung nach oben gewendet, gleichsam
den Tönen lauschend, die ihm aus höherer Geisterwelt herübert'klugen. In
der Linienführung ist ein so weicher und harmonischer Fluß, daß, obgleich
durch und durch plastisch und stilvoll, sie doch ein Stück Musik in sich selbst trägt.

Rietschel stand aus der höchsten Höhe seines wohlverdienten Ruhmes, als
ihm im Jahre 1859 der ehrenvolle Auftrag wurde, das in Worms zu errich¬
tende große Lutherdenkmal zu übernehmen. Rietschel erfaßte diese Ausgabe mit
der hingebendstcn Wärme; sie lag seiner künstlerischen und religiösen Empfin¬
dung gleich nahe. Er betrachtete dieses Werk als das Hauptwerk seines Le¬
bens. Je leidender seine Gesundheit wurde, desto inbrünstiger sprach er den
Wunsch aus, daß es ihm noch vergönnt sein möge, dieses Werk zu Ende zu
führen.

Es hat ihm dieser Wunsch nicht erfüllt werden sollen. Aber siehe» war
dieses Luthcrdcnkuml der würdigste Abschluß seines reichen und gewaltigen
Künstlerlebens.

Ursprünglich hatte sich Rietschel auf die enge» Grenzen einer Einzelstaine
beschränken wollen. Damals glaubte er. um Gegensatz zu Schadows Lnther-
dentmal in Wittenberg, für Worms ausschließlich die Situation des Reichs-
t"gs von Worms zum Grundmotiv nehmen zu müssen. Er entwarf eine erste
Skizze Luthers in der Mönchskutte, welche dieser aus dem Reichstage noch ge¬
tragen. Die Skizze ist noch vorhanden, und sie ist wunderbar schön in der


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[0315] außerdem durch Verwendung für andere Zwecke noch unnütz zersplittert wurden. Für die Kunst ist es ein schwerer Verlust, daß diese Skizze nicht zur Ausfüh¬ rung gekommen ist. Das milde, bescheidene, gedrückte, fromme, und doch er¬ weckende und befreiende Wesen Gellerts ist hier mit einer Naturwahvheit und einer so wohlthuenden Wärme und Ruhe ausgedrückt, daß ich nicht anstehe, dieselbe unbedenklich für eine der allergelungensten Schöpfungen Rietschcls zu halten. Eine solche milde Innigkeit be> so viel Formenstrenge und echter Plastik, so seine Realistik bei so scharf eingehaltener Stilisirung. das ist eine künstlerische That, wie ich seit der Zeit der besten Renaissance keine zweite zu nennen wüßte. Man stelle diese Skizze neben die Statuette Kraner's! Es wäre eine äußerst würdige Aufgabe der Stadt Leipzig, noch nachträglich von den begabten Schülern Nietschets diese Statue für Leipzig ins Leben zu rufen; Leipzig ist reich und kunstsinnig genug, um die Verwirklichung dieses Planes auch neben der beabsichtigten Leibnitzstatue möglich zu machen. Die Statue Webers ist in der Nähe des Dresdener Theaters errichtet. Webers Gestalt, war plastischer Darstellung nicht günstig; deshalb hat hier der Künstler nach der joust verschmähten Mantelgewandung zurückgegriffen. Aber die seine Jnoivi- dualisirung Rietschcls zeigt sich im glänzendsten Licht. Weber ist dargestellt, die Linke auf das Notenpult gestützt, in der Rechten die Rose und den deutschen Eichenzweig; das Haupt ist in milder Neigung nach oben gewendet, gleichsam den Tönen lauschend, die ihm aus höherer Geisterwelt herübert'klugen. In der Linienführung ist ein so weicher und harmonischer Fluß, daß, obgleich durch und durch plastisch und stilvoll, sie doch ein Stück Musik in sich selbst trägt. Rietschel stand aus der höchsten Höhe seines wohlverdienten Ruhmes, als ihm im Jahre 1859 der ehrenvolle Auftrag wurde, das in Worms zu errich¬ tende große Lutherdenkmal zu übernehmen. Rietschel erfaßte diese Ausgabe mit der hingebendstcn Wärme; sie lag seiner künstlerischen und religiösen Empfin¬ dung gleich nahe. Er betrachtete dieses Werk als das Hauptwerk seines Le¬ bens. Je leidender seine Gesundheit wurde, desto inbrünstiger sprach er den Wunsch aus, daß es ihm noch vergönnt sein möge, dieses Werk zu Ende zu führen. Es hat ihm dieser Wunsch nicht erfüllt werden sollen. Aber siehe» war dieses Luthcrdcnkuml der würdigste Abschluß seines reichen und gewaltigen Künstlerlebens. Ursprünglich hatte sich Rietschel auf die enge» Grenzen einer Einzelstaine beschränken wollen. Damals glaubte er. um Gegensatz zu Schadows Lnther- dentmal in Wittenberg, für Worms ausschließlich die Situation des Reichs- t"gs von Worms zum Grundmotiv nehmen zu müssen. Er entwarf eine erste Skizze Luthers in der Mönchskutte, welche dieser aus dem Reichstage noch ge¬ tragen. Die Skizze ist noch vorhanden, und sie ist wunderbar schön in der Grtnzl'oder II. Ifllll, J9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/315>, abgerufen am 25.08.2024.