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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Begeisterung für die gleichen Zwecke getragen, daß es nur ein um so glän¬
zenderes Zeugniß für die sittliche Tiefe Leider ist, wenn kleine Seelen, die nie¬
mals das Große zu begreifen vermögey, die Wahrheit und Innigkeit dieser
Freundschaft zu bezweifeln wagen. Gewiß wäre ein Bildner zu tadeln, welcher
Corneille und Racine oder Michel Angelo und Rafael zur plastischen Gruppe
vereinigen wollte, wie denn auch in der That die Idee des Bildhauers Launitz
in Frankfurt, die drei Erfinder der Buchdruckerkunst zu einer plastischen Gruppe
zusammenzuschließen, nicht eben eine glückliche war; aber wo wie hier ein
solche innere, thatsächliche Verbindung der verherrlichten Heroen durch die Ge¬
schichte geboten wurde, da wäre die Kunst hinter dem Urbild des Lebens zu¬
rückgeblieben, hätte sie sich bildnerisch diese innere Einheit entgehen lassen.
Deshalb hatte Rauch seine sonst so abweichende Skizze auch seinerseits als
Gruppe behandelt.

Mißlicher ist die zweite Frage, ob das an und für sich berechtigte Grund¬
motiv seine volle und widerspruchslose Gestaltung gefunden hat. Der bedenk¬
liche Umstand, daß "och jetzt überhaupt über die Zulässigkeit der Gruppen-
tnldung gestritten wird, ist der Beweis, daß weder Rauch noch Rietschel die
Aufgabe zwingend gelöst hat. Beide Künstler haben das. rein äußerliche Ber-
einigungömittel des gemeinsamen Lorbeerkranzcs gewählt. Bei Rauch hält
Goethe den Lorbeerkranz in die Höhe; der Kranz schwebt zwecklos und unbe¬
stimmt über und zwischen beiden Häuptern; dadurch kommt in die ganze Com-
position etwas Unruhiges, Schwankendes, Unabgeichlossenes. Bei Rietschel ist
das Motiv unlüugbar tiefer. In traulicher Freundschaft legt Goethe die linke
Hand auf Schillers Schulter; die vorgestreckte Rechte, in welcher er den Lor-
beerkranz hält, wendet er Schiller zu, auf daß dieser theilnehme an diesem
Ruhmeszeichen, das fortan das gemeinsame Besitzthum Beider sei. Nur leise,
fast unbewußt, hebt Schiller, in der Linken eine Rolle tragend, die Rechie
nach dem dargebotenen Kranz hinüber; die Hoheit seiner göttlichen Begeiste¬
rung scheint kaum der irdischen Ehre zu achten; sein sehnendes Auge schweift
hinüber "in jene heiteren Regionen, wo die reinenFormen wohnen." Aber trotz alle-
dem ,se doch auch hier der Gedanke nicht zur vollen plastischen Ruhe und Klarheit
herausgearbeitet. Es scheint prosaisch, wenn selbst Künstler und Kenner wie
Ernst Förster und Springer fragen. ob Schiller den Kranz wirklich ergreifen wird;
aber es ist eine Frage, die sich unwillkürlich einem jeden Beschauer aufdrängt
und den unbefangenen, in sich befriedigten Genuß erheblich beeinträchtigt.

Sehen wir aber von diesen, Bedenken ab. so gehört auch der Goethe-und
Schillergruppe die unbedingteste Bewunderung. Beide Gestalten stehen auf
gemeinsamem Piedestal, eine jede etwa zehn rheinische Fuß hoch. Goethe trägt
einen langschößigen Frack von einfachem und gefälligem Schnitt. Es ist ir¬
rig, wenn man dabei an ein Hofkleid gedacht hat; es ist die Tracht, wie sie


Begeisterung für die gleichen Zwecke getragen, daß es nur ein um so glän¬
zenderes Zeugniß für die sittliche Tiefe Leider ist, wenn kleine Seelen, die nie¬
mals das Große zu begreifen vermögey, die Wahrheit und Innigkeit dieser
Freundschaft zu bezweifeln wagen. Gewiß wäre ein Bildner zu tadeln, welcher
Corneille und Racine oder Michel Angelo und Rafael zur plastischen Gruppe
vereinigen wollte, wie denn auch in der That die Idee des Bildhauers Launitz
in Frankfurt, die drei Erfinder der Buchdruckerkunst zu einer plastischen Gruppe
zusammenzuschließen, nicht eben eine glückliche war; aber wo wie hier ein
solche innere, thatsächliche Verbindung der verherrlichten Heroen durch die Ge¬
schichte geboten wurde, da wäre die Kunst hinter dem Urbild des Lebens zu¬
rückgeblieben, hätte sie sich bildnerisch diese innere Einheit entgehen lassen.
Deshalb hatte Rauch seine sonst so abweichende Skizze auch seinerseits als
Gruppe behandelt.

Mißlicher ist die zweite Frage, ob das an und für sich berechtigte Grund¬
motiv seine volle und widerspruchslose Gestaltung gefunden hat. Der bedenk¬
liche Umstand, daß »och jetzt überhaupt über die Zulässigkeit der Gruppen-
tnldung gestritten wird, ist der Beweis, daß weder Rauch noch Rietschel die
Aufgabe zwingend gelöst hat. Beide Künstler haben das. rein äußerliche Ber-
einigungömittel des gemeinsamen Lorbeerkranzcs gewählt. Bei Rauch hält
Goethe den Lorbeerkranz in die Höhe; der Kranz schwebt zwecklos und unbe¬
stimmt über und zwischen beiden Häuptern; dadurch kommt in die ganze Com-
position etwas Unruhiges, Schwankendes, Unabgeichlossenes. Bei Rietschel ist
das Motiv unlüugbar tiefer. In traulicher Freundschaft legt Goethe die linke
Hand auf Schillers Schulter; die vorgestreckte Rechte, in welcher er den Lor-
beerkranz hält, wendet er Schiller zu, auf daß dieser theilnehme an diesem
Ruhmeszeichen, das fortan das gemeinsame Besitzthum Beider sei. Nur leise,
fast unbewußt, hebt Schiller, in der Linken eine Rolle tragend, die Rechie
nach dem dargebotenen Kranz hinüber; die Hoheit seiner göttlichen Begeiste¬
rung scheint kaum der irdischen Ehre zu achten; sein sehnendes Auge schweift
hinüber „in jene heiteren Regionen, wo die reinenFormen wohnen." Aber trotz alle-
dem ,se doch auch hier der Gedanke nicht zur vollen plastischen Ruhe und Klarheit
herausgearbeitet. Es scheint prosaisch, wenn selbst Künstler und Kenner wie
Ernst Förster und Springer fragen. ob Schiller den Kranz wirklich ergreifen wird;
aber es ist eine Frage, die sich unwillkürlich einem jeden Beschauer aufdrängt
und den unbefangenen, in sich befriedigten Genuß erheblich beeinträchtigt.

Sehen wir aber von diesen, Bedenken ab. so gehört auch der Goethe-und
Schillergruppe die unbedingteste Bewunderung. Beide Gestalten stehen auf
gemeinsamem Piedestal, eine jede etwa zehn rheinische Fuß hoch. Goethe trägt
einen langschößigen Frack von einfachem und gefälligem Schnitt. Es ist ir¬
rig, wenn man dabei an ein Hofkleid gedacht hat; es ist die Tracht, wie sie


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[0312] Begeisterung für die gleichen Zwecke getragen, daß es nur ein um so glän¬ zenderes Zeugniß für die sittliche Tiefe Leider ist, wenn kleine Seelen, die nie¬ mals das Große zu begreifen vermögey, die Wahrheit und Innigkeit dieser Freundschaft zu bezweifeln wagen. Gewiß wäre ein Bildner zu tadeln, welcher Corneille und Racine oder Michel Angelo und Rafael zur plastischen Gruppe vereinigen wollte, wie denn auch in der That die Idee des Bildhauers Launitz in Frankfurt, die drei Erfinder der Buchdruckerkunst zu einer plastischen Gruppe zusammenzuschließen, nicht eben eine glückliche war; aber wo wie hier ein solche innere, thatsächliche Verbindung der verherrlichten Heroen durch die Ge¬ schichte geboten wurde, da wäre die Kunst hinter dem Urbild des Lebens zu¬ rückgeblieben, hätte sie sich bildnerisch diese innere Einheit entgehen lassen. Deshalb hatte Rauch seine sonst so abweichende Skizze auch seinerseits als Gruppe behandelt. Mißlicher ist die zweite Frage, ob das an und für sich berechtigte Grund¬ motiv seine volle und widerspruchslose Gestaltung gefunden hat. Der bedenk¬ liche Umstand, daß »och jetzt überhaupt über die Zulässigkeit der Gruppen- tnldung gestritten wird, ist der Beweis, daß weder Rauch noch Rietschel die Aufgabe zwingend gelöst hat. Beide Künstler haben das. rein äußerliche Ber- einigungömittel des gemeinsamen Lorbeerkranzcs gewählt. Bei Rauch hält Goethe den Lorbeerkranz in die Höhe; der Kranz schwebt zwecklos und unbe¬ stimmt über und zwischen beiden Häuptern; dadurch kommt in die ganze Com- position etwas Unruhiges, Schwankendes, Unabgeichlossenes. Bei Rietschel ist das Motiv unlüugbar tiefer. In traulicher Freundschaft legt Goethe die linke Hand auf Schillers Schulter; die vorgestreckte Rechte, in welcher er den Lor- beerkranz hält, wendet er Schiller zu, auf daß dieser theilnehme an diesem Ruhmeszeichen, das fortan das gemeinsame Besitzthum Beider sei. Nur leise, fast unbewußt, hebt Schiller, in der Linken eine Rolle tragend, die Rechie nach dem dargebotenen Kranz hinüber; die Hoheit seiner göttlichen Begeiste¬ rung scheint kaum der irdischen Ehre zu achten; sein sehnendes Auge schweift hinüber „in jene heiteren Regionen, wo die reinenFormen wohnen." Aber trotz alle- dem ,se doch auch hier der Gedanke nicht zur vollen plastischen Ruhe und Klarheit herausgearbeitet. Es scheint prosaisch, wenn selbst Künstler und Kenner wie Ernst Förster und Springer fragen. ob Schiller den Kranz wirklich ergreifen wird; aber es ist eine Frage, die sich unwillkürlich einem jeden Beschauer aufdrängt und den unbefangenen, in sich befriedigten Genuß erheblich beeinträchtigt. Sehen wir aber von diesen, Bedenken ab. so gehört auch der Goethe-und Schillergruppe die unbedingteste Bewunderung. Beide Gestalten stehen auf gemeinsamem Piedestal, eine jede etwa zehn rheinische Fuß hoch. Goethe trägt einen langschößigen Frack von einfachem und gefälligem Schnitt. Es ist ir¬ rig, wenn man dabei an ein Hofkleid gedacht hat; es ist die Tracht, wie sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/312>, abgerufen am 24.08.2024.