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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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realistisch gehaltenen Entwurf Nietschels. Beide Auffassungen sind berechtigt.
Der Bildner hat in monumentalen Aufgaben so selten die Gunst ideal-
schöner Formen; er müßte denn auf die einsichtlose Beschränktheit jener Kunst¬
gelehrten eingehe" wollen, welche in der Plastik immer und überall unbeding¬
tes Antikisiren verlangen, ohne zu bedenken, daß jede Kunstform, welche nnr
von außen ausgezwängt und nicht nothwendig und ursprünglich aus der Natur
und Witterung des Gegenstandes herausgewachsen ist, leer, physiognonnelvs und
dadurch unschön, zopfig und durchaus unmonumental wirkt. Der Widerspruch
zwischen den idealen Forderungen des Nackten und großer Gcwandmassen und
zwischen der unkünstlenscheu Schneiderhaftigteit der neueren Trachten ist nun
einmal das schwere Kreuz, mit welchem jette jeder Pvrtlätbildncr zu kämpfen
hat. D>e Darstellung Goethe's und Schiller's konnte aus die Hohe freier Jdcal-
schöpfum; gehoben werden, weil Goethe und Schiller in der That in ihren
klassischen Werken als wiedergeborene Griechen erscheinen und überdies d>e
Tracht ihrer Zeit, die gegen die Rococotracht schon unendlich an künstlerischer
Freiheit verloren hat, die unüberwindlichsten Schwierigkeiten bereitet. Aber
andererseits ist es doch acht minder wahr, daß mit einer Jdealdarstclluug
dieser Art der Begriff der Monumentalität völlig vernichtet wurde. Wie
herrlich wäre es gewesen, wenn die Rauch'sche Gruppe in Berlin.. wo
die Hauptstadt deutscher Bildung den großen deutschen Dichterheroen eine, so
zu sagen, zeitlose und ortlose Huldigung entgegenbringt, ihre künstlerische Ver¬
wirklichung und Aufstellung gefunden hätte; für Weimar, in dessen Mauern
die Gefeierten irdisch gelebt und gewirkt hätten, war die naturwirkliche Por-
trmhasttgkeit sicherlich angemessener.

Bei der Beurtheilung dieser Gruppe sind hauptsächlich zwei Frage" in
Umlauf gekommen. Erstens: war es erlaubt, Goethe und Schiller zu gemein¬
samer Gruppe zu vereinigcir? Und zweitens: ist diese Gruppenbildung zu wirk¬
lich künstlerischer Einheit, zur zwingenden Klarheit und innerlichen Nothwendig¬
keit gelangt?

Aeser die erste Frage sollte süglich kein Streit sein. Die Gruppenbildung
>se hier nicht ein willkürliches, nur aus äußeren Betrachtungen "ut Verglei-
chungen hervorgegangene.s Symbol, sondern sie ist die Darstellung einer un¬
mittelbar ^ins dem Leben selbst herausgegriffenen Thatsache. Es ist kerr leeres
rednerisches Bild, sondern glücklicher Weise eine erhebende geschichtliche Wahrheit,
^en" wir Goethe und Schiller als Dioskuren bezeichnen. Nicht bloß die
Außenwelt h"t die Namen Goethes und Schillers mit einander untrennbar
verbunden, wie etwa Frankreich in der Erinnerung aus rein literargcsehicht-
lichem Gesichtspunkt Corneille und Racine miteinander verbindet, souoeru
Goethe und Schiller erkannten uno verbanden sich selbst untereinander zu einem
Freundschaftsbündnis;, so edel und rein, und so ganz von der gemeinsame".


realistisch gehaltenen Entwurf Nietschels. Beide Auffassungen sind berechtigt.
Der Bildner hat in monumentalen Aufgaben so selten die Gunst ideal-
schöner Formen; er müßte denn auf die einsichtlose Beschränktheit jener Kunst¬
gelehrten eingehe» wollen, welche in der Plastik immer und überall unbeding¬
tes Antikisiren verlangen, ohne zu bedenken, daß jede Kunstform, welche nnr
von außen ausgezwängt und nicht nothwendig und ursprünglich aus der Natur
und Witterung des Gegenstandes herausgewachsen ist, leer, physiognonnelvs und
dadurch unschön, zopfig und durchaus unmonumental wirkt. Der Widerspruch
zwischen den idealen Forderungen des Nackten und großer Gcwandmassen und
zwischen der unkünstlenscheu Schneiderhaftigteit der neueren Trachten ist nun
einmal das schwere Kreuz, mit welchem jette jeder Pvrtlätbildncr zu kämpfen
hat. D>e Darstellung Goethe's und Schiller's konnte aus die Hohe freier Jdcal-
schöpfum; gehoben werden, weil Goethe und Schiller in der That in ihren
klassischen Werken als wiedergeborene Griechen erscheinen und überdies d>e
Tracht ihrer Zeit, die gegen die Rococotracht schon unendlich an künstlerischer
Freiheit verloren hat, die unüberwindlichsten Schwierigkeiten bereitet. Aber
andererseits ist es doch acht minder wahr, daß mit einer Jdealdarstclluug
dieser Art der Begriff der Monumentalität völlig vernichtet wurde. Wie
herrlich wäre es gewesen, wenn die Rauch'sche Gruppe in Berlin.. wo
die Hauptstadt deutscher Bildung den großen deutschen Dichterheroen eine, so
zu sagen, zeitlose und ortlose Huldigung entgegenbringt, ihre künstlerische Ver¬
wirklichung und Aufstellung gefunden hätte; für Weimar, in dessen Mauern
die Gefeierten irdisch gelebt und gewirkt hätten, war die naturwirkliche Por-
trmhasttgkeit sicherlich angemessener.

Bei der Beurtheilung dieser Gruppe sind hauptsächlich zwei Frage» in
Umlauf gekommen. Erstens: war es erlaubt, Goethe und Schiller zu gemein¬
samer Gruppe zu vereinigcir? Und zweitens: ist diese Gruppenbildung zu wirk¬
lich künstlerischer Einheit, zur zwingenden Klarheit und innerlichen Nothwendig¬
keit gelangt?

Aeser die erste Frage sollte süglich kein Streit sein. Die Gruppenbildung
>se hier nicht ein willkürliches, nur aus äußeren Betrachtungen »ut Verglei-
chungen hervorgegangene.s Symbol, sondern sie ist die Darstellung einer un¬
mittelbar ^ins dem Leben selbst herausgegriffenen Thatsache. Es ist kerr leeres
rednerisches Bild, sondern glücklicher Weise eine erhebende geschichtliche Wahrheit,
^en» wir Goethe und Schiller als Dioskuren bezeichnen. Nicht bloß die
Außenwelt h"t die Namen Goethes und Schillers mit einander untrennbar
verbunden, wie etwa Frankreich in der Erinnerung aus rein literargcsehicht-
lichem Gesichtspunkt Corneille und Racine miteinander verbindet, souoeru
Goethe und Schiller erkannten uno verbanden sich selbst untereinander zu einem
Freundschaftsbündnis;, so edel und rein, und so ganz von der gemeinsame».


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/311>, abgerufen am 24.08.2024.