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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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allgemein; das Haupt ist ruhig vorwärts blickend, die gemessene Schrittstellung
ohne Leben und Äedeutung, die Stütze ist der hergebrachte nichtssagende Baum¬
stamm, Der zweite Entwurf ist bereits lebendiger > der Kopf hat bereits jene
sprechende Seitenmeuduug, welche das aufmerksam Ausschauende, das leblmft Er¬
wägende, das allezeit schlagfertige und Kampfbereite so höchst treffend bezeich¬
net; die Haltung des Körpers und die Fußstellung hat folgerichtig gesteigerien Aus¬
druck gewonnen; aber doch fehlt noch das unwiderstehlich Durchschlagende, wie
denn auch immer noch der leidige Baumstamm unangetastet geblieben ist. Der
dritte und letzte Entwurf ist Lebe" und Ausdruck durch und durch. Auch die
Stütze hat sich in eine abgebrochene griechische Säule verwandelt, bedeutungs¬
voll das Gesammtbild Lessings vollendend. Es ist die gewaltigste Monumen¬
talstatue, welche die gesammte neuere Kunst geschaffen hat. Wie frei und ta¬
pfer, hell und scharf ausschauend, kühn vorschreitend, fest und unverrückbar ans
sich selbst gestellt steht Lessing vor uns, echt plastisch und doch naturwüchsig in
seiner Zeit wurzelnd, durch welche sein ganzes Lebe" und Kämpfen bedingt
und bestimmt war. Man muß eine französische Statue aus der Rococozeit
oder selbst eine Statue Gottfried Schadows mit diesem Lessing vergleichen, um
sich schlagend zu überzeugen, wie unverständig das Gerede Derer ist, welche -
hier von Naturalismus zu sprechen wagen. Das Lebensgeheimniß dieser ge¬
nialen Schöpfung ist vielmehr das innige Zusammengehen von vollster Natur¬
wahrheit und seinsinnigster Stilisirung. Es ist von neueren Kunstforschern die
Forderung aufgestellt worden, daß es darauf ankomme, die schönheitsvolle,
Formengr"ßheit der italienischen Renaissance mit der derberen Individualisi-
rung der altdeutschen Meister zu erfüllen und zu durchdringen. .Hier ist diese
Forderung geschichtliche Thatsache. Tue Lessingstatue ist, wie sich die Schul¬
sprache ausdrückt, die vollendetste Einheit der idealistischen und realistische"
Richtung. Weil diese Lessingstatue innerhalb .aller strengsten Kunstbedingungen
so sprechend und scharf charakteristisch, so verständlich und eindringlich, so von
Grund aus lebendig und eigenartig deutsch ist. zündet sie so tief und allge¬
mein in Aller Herzen, selbst in Solchen, denen sonst die. Wirkung plastischer
Schönheit fern liegt. Das Höchste bildender Kunst, ein ewig bindender Ty¬
pus, ist geschaffen. So und nicht anders wird die hehre Gestalt Lessings in
der Phantasie und dem Gemüth unserer Enkel fortleben, Bon dieser Lessing'
Statue gilt das stolze Wort des Goethe'schen Tasso: sie ist ewig, denn sie ist- -

Gegen das Ende des Jahres 1856 hatte Rietschel nach dreijährige, ern
ster Arbeit die Kolossalgrnppe Goethe'S und Schiller's für Weimar vollendet.
Es ist noch in frischem Gedächtniß, wie sich hier bereits bei der Bestellung
die verschiedensten Ansichten geltend machten. Rauch hatte eine Skizze in>l
idealer Gewandung eingesendet, König Ludwig, welcher das Erz schenkte und
darum em entscheidendes Wort sprach, bestimmte die Ausführung nach dem


allgemein; das Haupt ist ruhig vorwärts blickend, die gemessene Schrittstellung
ohne Leben und Äedeutung, die Stütze ist der hergebrachte nichtssagende Baum¬
stamm, Der zweite Entwurf ist bereits lebendiger > der Kopf hat bereits jene
sprechende Seitenmeuduug, welche das aufmerksam Ausschauende, das leblmft Er¬
wägende, das allezeit schlagfertige und Kampfbereite so höchst treffend bezeich¬
net; die Haltung des Körpers und die Fußstellung hat folgerichtig gesteigerien Aus¬
druck gewonnen; aber doch fehlt noch das unwiderstehlich Durchschlagende, wie
denn auch immer noch der leidige Baumstamm unangetastet geblieben ist. Der
dritte und letzte Entwurf ist Lebe» und Ausdruck durch und durch. Auch die
Stütze hat sich in eine abgebrochene griechische Säule verwandelt, bedeutungs¬
voll das Gesammtbild Lessings vollendend. Es ist die gewaltigste Monumen¬
talstatue, welche die gesammte neuere Kunst geschaffen hat. Wie frei und ta¬
pfer, hell und scharf ausschauend, kühn vorschreitend, fest und unverrückbar ans
sich selbst gestellt steht Lessing vor uns, echt plastisch und doch naturwüchsig in
seiner Zeit wurzelnd, durch welche sein ganzes Lebe» und Kämpfen bedingt
und bestimmt war. Man muß eine französische Statue aus der Rococozeit
oder selbst eine Statue Gottfried Schadows mit diesem Lessing vergleichen, um
sich schlagend zu überzeugen, wie unverständig das Gerede Derer ist, welche -
hier von Naturalismus zu sprechen wagen. Das Lebensgeheimniß dieser ge¬
nialen Schöpfung ist vielmehr das innige Zusammengehen von vollster Natur¬
wahrheit und seinsinnigster Stilisirung. Es ist von neueren Kunstforschern die
Forderung aufgestellt worden, daß es darauf ankomme, die schönheitsvolle,
Formengr"ßheit der italienischen Renaissance mit der derberen Individualisi-
rung der altdeutschen Meister zu erfüllen und zu durchdringen. .Hier ist diese
Forderung geschichtliche Thatsache. Tue Lessingstatue ist, wie sich die Schul¬
sprache ausdrückt, die vollendetste Einheit der idealistischen und realistische»
Richtung. Weil diese Lessingstatue innerhalb .aller strengsten Kunstbedingungen
so sprechend und scharf charakteristisch, so verständlich und eindringlich, so von
Grund aus lebendig und eigenartig deutsch ist. zündet sie so tief und allge¬
mein in Aller Herzen, selbst in Solchen, denen sonst die. Wirkung plastischer
Schönheit fern liegt. Das Höchste bildender Kunst, ein ewig bindender Ty¬
pus, ist geschaffen. So und nicht anders wird die hehre Gestalt Lessings in
der Phantasie und dem Gemüth unserer Enkel fortleben, Bon dieser Lessing'
Statue gilt das stolze Wort des Goethe'schen Tasso: sie ist ewig, denn sie ist- -

Gegen das Ende des Jahres 1856 hatte Rietschel nach dreijährige, ern
ster Arbeit die Kolossalgrnppe Goethe'S und Schiller's für Weimar vollendet.
Es ist noch in frischem Gedächtniß, wie sich hier bereits bei der Bestellung
die verschiedensten Ansichten geltend machten. Rauch hatte eine Skizze in>l
idealer Gewandung eingesendet, König Ludwig, welcher das Erz schenkte und
darum em entscheidendes Wort sprach, bestimmte die Ausführung nach dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/310>, abgerufen am 22.07.2024.