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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Augen überzeugt, daß die Nächte zu gewissen Zeiten, d. h. in den Sommer¬
monaten, wenn man überhaupt von Nächten in unserm Sinn sprechen darf,
mit den Worten des Pytheas zu reden: ""sehr kurz sind und nur zwei bis
drei Stunden dauern."" In der Hauptstadt Lerwick auf Mainland habe ich
bis halb elf Uhr und dann wieder von halb zwei Uhr am Fenster lesen
können und finde es nicht unrichtig, wenn Pytheas sagt, daß im Sommer
beständiger Tag sei. Anfangs Mai beginnen die Nächte auf den Shetland-
Jnseln schon sehr kurz zu werden, und Dunkelheit giebt es von Mitte dieses
Monats bis Ende Juli durchaus nicht. Die Sonne verläßt kaum den Ho¬
rizont, und ihre kurze Abwesenheit wird durch ein klares Zwielicht ausgefüllt.
Man sieht hier, so zu sagen, den letzten Reflex der Mitternachtssonne, die
man jenseits des Polarkreises im vollen Glänze erblickt, und die auch die
Alten halb geahnt haben, ohne doch Kenntniß von der Erdumdrehung zu
besitzen. Die Shetlcmds-Inseln haben eigentlich nur eine kürzeste Sommer¬
nacht von 5'/, Stunden mit ununterbrochener Dämmerung. In dieser geo¬
graphischen Breite konnte man durch's Auge die Stelle deutlich angeben, ""wo
die Sonne schläft."" zum Staunen des Südländers, der solche Dämmerung
um Mitternacht nie gesehen. Man hat daher gar nicht nöthig, die Hypothese
aufzustellen, daß die Gegenden, in denen sich die Nächte bis auf einige Stun¬
den verkürzten, die Gegenden um Thule gewesen sein müssen. Will man
aber dies annehmen, so hat man immer noch nicht nöthig, eine nördliche
Breite von 65° 48' und 64° 50' vorauszusetzen, in welcher die Tage 22 und
21 Stunden lang werden, die Dämmerung aber auch zunimmt."

Passen also die bisher erwähnten Mittheilungen des Pytheas über Thule
auf die Shctlands-Inseln, so läßt sich auch, was er über den Mangel an
reinem Sonnenschein und die Wetterverhältnisse bemerkt, sehr wohl mit der
Natur dieses Eilands-Archipels vereinigen. Kaum ein Tag vergeht hier ohne
Regen und Nebel, sehr selten gibt es einen sonnigen Vormittag. Das Ge¬
treide kann daher nur in Scheunen gedroschen werden, offene Tennen, wie sie
die Landsleute des Pytheas hatten, würden hier durchaus unpraktisch sein.

Pytheas konnte sich keine Gewißheit verschaffen, ob Thule eine Insel
oder ein Festland sei. "Welches Land gäbe aber mehr Veranlassung zu solcher
Ungewißheit, als die 55 englische Meilen lange und durchschnittlich etwa
25 Meilen breite Hauptinsel der Shetländischen Inseln, die noch heutigen
Tags Mainland oder Festland heißt? Da die Shetland-Islands zusammen
aus 90 Inseln bestehen, so liegt auch die Idee nicht allzuweit, daß Main¬
land Thule und die umliegenden kleinen Eilande ""die Gegenden um Thule""
(r" ?r^t Go^v) gewesen sein tonnen."

Endlich passen auch die Producte, von denen sich nach Pytheas die Be¬
wohner Thule's nährten, auf die Shetlands-Inseln so gut wie aus andere


Augen überzeugt, daß die Nächte zu gewissen Zeiten, d. h. in den Sommer¬
monaten, wenn man überhaupt von Nächten in unserm Sinn sprechen darf,
mit den Worten des Pytheas zu reden: „„sehr kurz sind und nur zwei bis
drei Stunden dauern."" In der Hauptstadt Lerwick auf Mainland habe ich
bis halb elf Uhr und dann wieder von halb zwei Uhr am Fenster lesen
können und finde es nicht unrichtig, wenn Pytheas sagt, daß im Sommer
beständiger Tag sei. Anfangs Mai beginnen die Nächte auf den Shetland-
Jnseln schon sehr kurz zu werden, und Dunkelheit giebt es von Mitte dieses
Monats bis Ende Juli durchaus nicht. Die Sonne verläßt kaum den Ho¬
rizont, und ihre kurze Abwesenheit wird durch ein klares Zwielicht ausgefüllt.
Man sieht hier, so zu sagen, den letzten Reflex der Mitternachtssonne, die
man jenseits des Polarkreises im vollen Glänze erblickt, und die auch die
Alten halb geahnt haben, ohne doch Kenntniß von der Erdumdrehung zu
besitzen. Die Shetlcmds-Inseln haben eigentlich nur eine kürzeste Sommer¬
nacht von 5'/, Stunden mit ununterbrochener Dämmerung. In dieser geo¬
graphischen Breite konnte man durch's Auge die Stelle deutlich angeben, „„wo
die Sonne schläft."" zum Staunen des Südländers, der solche Dämmerung
um Mitternacht nie gesehen. Man hat daher gar nicht nöthig, die Hypothese
aufzustellen, daß die Gegenden, in denen sich die Nächte bis auf einige Stun¬
den verkürzten, die Gegenden um Thule gewesen sein müssen. Will man
aber dies annehmen, so hat man immer noch nicht nöthig, eine nördliche
Breite von 65° 48' und 64° 50' vorauszusetzen, in welcher die Tage 22 und
21 Stunden lang werden, die Dämmerung aber auch zunimmt."

Passen also die bisher erwähnten Mittheilungen des Pytheas über Thule
auf die Shctlands-Inseln, so läßt sich auch, was er über den Mangel an
reinem Sonnenschein und die Wetterverhältnisse bemerkt, sehr wohl mit der
Natur dieses Eilands-Archipels vereinigen. Kaum ein Tag vergeht hier ohne
Regen und Nebel, sehr selten gibt es einen sonnigen Vormittag. Das Ge¬
treide kann daher nur in Scheunen gedroschen werden, offene Tennen, wie sie
die Landsleute des Pytheas hatten, würden hier durchaus unpraktisch sein.

Pytheas konnte sich keine Gewißheit verschaffen, ob Thule eine Insel
oder ein Festland sei. „Welches Land gäbe aber mehr Veranlassung zu solcher
Ungewißheit, als die 55 englische Meilen lange und durchschnittlich etwa
25 Meilen breite Hauptinsel der Shetländischen Inseln, die noch heutigen
Tags Mainland oder Festland heißt? Da die Shetland-Islands zusammen
aus 90 Inseln bestehen, so liegt auch die Idee nicht allzuweit, daß Main¬
land Thule und die umliegenden kleinen Eilande „„die Gegenden um Thule""
(r« ?r^t Go^v) gewesen sein tonnen."

Endlich passen auch die Producte, von denen sich nach Pytheas die Be¬
wohner Thule's nährten, auf die Shetlands-Inseln so gut wie aus andere


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/30>, abgerufen am 25.08.2024.