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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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schlaue Rechner, thätige Arbeiter. -- im nächsten Augenblicke ganz Begierde,
ganz Eros, ganz Epikur. Wie die Kunst nichts gethan hat, die Landschaft
zu- verschönern und die Lücken wieder auszugleichen, die der rauhe Kampf um die
Nothdurft des Lebens in das einst vielleicht vollkommene Landschaftsbild gerissen
hat. so sehen wir auch im Geiste dieser Menschen selbst einzelne Partieen hoch
cultivirt und wohlgepflegt, daneben finstere, niemals von einem Strahl der
belebenden Sonne erwärmte Urwald-Partien. Cultur und Uncultur seltsam
Parallel neben einander laufend. Es ist das der Fluch der geistigen Blut-
lchande, zu der dieses isolirte Volk so lange verdammt war. Wir wissen es
längst, welche nachtheiligen Folgen es hat, wenn ein Geschlecht sich in sich
selbst fortzeugt; das gilt auch geistig. Kann es Wunder nehmen, wenn ein
von allem befruchtenden Verkehr mit der anderen Welt abgeschlossenes Volk
geistig verzwergt und verkrüppelt? Und zwar so sehr, daß der Zwerg und
der Krüppel ihm zu Idealen geworden sind? denn nicht der naturgemäß ent¬
wickelte Baum, der aus dem reichen Boden so üppig stolz emporwächst, ist
ihm Typus der Baumschönheit; er verpflanzt ihn jung in seinen Garten, Schrei,
det und schnitzelt daran und unterbindet dauernd die Hauptlebensadern, bis
er einen Zwerg und Krüppel daraus geschaffen hat; das ist sür ihn Veredelung,
und da der Mensch für allen Adel und für alle Schönheit sich selbst als Ma߬
stab und Muster setzt, so giebt dies wohl einen Rückschluß. Mit Erstaunen
Zieht der Reiter den Zügel seines Pferdes an, wenn er zum erstenmal über
eine Camelien-Hecke auf solch eine Zwergplantage hinunterschaut. Das Zier¬
liche überrascht und reißt zur Bewunderung hin. Ist aber das Erstaunen
überwunden und der Anblick ein gewohnter geworden, so erwacht die Kritik,
und als ich den Zusammenhang und das Verhältniß zwischen diesen Gärten
und der ganzen Landschaft in's Auge faßte, erhielt ich etwa den Eindruck, den
Man empfinden müßte, wenn Jemand eine lccrgebliebene Ecke in einem Ra-
suel'schen Madonnen-Bilde dazu benutzt hätte, um ein holländisches Genre¬
stückchen hinein zu malen.

Ein eigener Geist der Ruhe liegt über der Landschaft; aber es ist nicht
whendes Leben, es ist verlöschtes oder noch nicht erwachtes; jedenfalls hält
ein dunkler Zauber es gefangen. Kein Schornstein sendet in Wolkenringen
den blauen Rauch vom heimischen offenen Herde aufwärts; das Feuer lodert
hier nicht, es glüht nur in der Form von Kohle in geschlossenem Käfig.
Keine hohe Schmiedeesse treibt den Dampfhammer oder das Mühlrad, kein
Eisenbahnzug braust über die Ebene dahin, kein Feuerschiff den Strom entlang.
Nur ein hochbeladenes Saumpferd steigt den Bergpfad dort herab und sucht
schmalen Steg durch die sumpfigen Reisfelder. Aus dieser Landschaft
bricht zu uns nicht der schöne Frieden einer einst bewegten und durch bessere
Erkenntniß, durch höhere Bildung zur Ruhe gekommenen Seele; das wenige


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schlaue Rechner, thätige Arbeiter. — im nächsten Augenblicke ganz Begierde,
ganz Eros, ganz Epikur. Wie die Kunst nichts gethan hat, die Landschaft
zu- verschönern und die Lücken wieder auszugleichen, die der rauhe Kampf um die
Nothdurft des Lebens in das einst vielleicht vollkommene Landschaftsbild gerissen
hat. so sehen wir auch im Geiste dieser Menschen selbst einzelne Partieen hoch
cultivirt und wohlgepflegt, daneben finstere, niemals von einem Strahl der
belebenden Sonne erwärmte Urwald-Partien. Cultur und Uncultur seltsam
Parallel neben einander laufend. Es ist das der Fluch der geistigen Blut-
lchande, zu der dieses isolirte Volk so lange verdammt war. Wir wissen es
längst, welche nachtheiligen Folgen es hat, wenn ein Geschlecht sich in sich
selbst fortzeugt; das gilt auch geistig. Kann es Wunder nehmen, wenn ein
von allem befruchtenden Verkehr mit der anderen Welt abgeschlossenes Volk
geistig verzwergt und verkrüppelt? Und zwar so sehr, daß der Zwerg und
der Krüppel ihm zu Idealen geworden sind? denn nicht der naturgemäß ent¬
wickelte Baum, der aus dem reichen Boden so üppig stolz emporwächst, ist
ihm Typus der Baumschönheit; er verpflanzt ihn jung in seinen Garten, Schrei,
det und schnitzelt daran und unterbindet dauernd die Hauptlebensadern, bis
er einen Zwerg und Krüppel daraus geschaffen hat; das ist sür ihn Veredelung,
und da der Mensch für allen Adel und für alle Schönheit sich selbst als Ma߬
stab und Muster setzt, so giebt dies wohl einen Rückschluß. Mit Erstaunen
Zieht der Reiter den Zügel seines Pferdes an, wenn er zum erstenmal über
eine Camelien-Hecke auf solch eine Zwergplantage hinunterschaut. Das Zier¬
liche überrascht und reißt zur Bewunderung hin. Ist aber das Erstaunen
überwunden und der Anblick ein gewohnter geworden, so erwacht die Kritik,
und als ich den Zusammenhang und das Verhältniß zwischen diesen Gärten
und der ganzen Landschaft in's Auge faßte, erhielt ich etwa den Eindruck, den
Man empfinden müßte, wenn Jemand eine lccrgebliebene Ecke in einem Ra-
suel'schen Madonnen-Bilde dazu benutzt hätte, um ein holländisches Genre¬
stückchen hinein zu malen.

Ein eigener Geist der Ruhe liegt über der Landschaft; aber es ist nicht
whendes Leben, es ist verlöschtes oder noch nicht erwachtes; jedenfalls hält
ein dunkler Zauber es gefangen. Kein Schornstein sendet in Wolkenringen
den blauen Rauch vom heimischen offenen Herde aufwärts; das Feuer lodert
hier nicht, es glüht nur in der Form von Kohle in geschlossenem Käfig.
Keine hohe Schmiedeesse treibt den Dampfhammer oder das Mühlrad, kein
Eisenbahnzug braust über die Ebene dahin, kein Feuerschiff den Strom entlang.
Nur ein hochbeladenes Saumpferd steigt den Bergpfad dort herab und sucht
schmalen Steg durch die sumpfigen Reisfelder. Aus dieser Landschaft
bricht zu uns nicht der schöne Frieden einer einst bewegten und durch bessere
Erkenntniß, durch höhere Bildung zur Ruhe gekommenen Seele; das wenige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/277>, abgerufen am 26.08.2024.