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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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wirst den Mantel zurück, und ich sehe, daß der Mann auf dem Radkasten das
rothe Hemd trägt, welches 1849 die Vertheidiger Roms trugen, und daß an
seiner Seite an weißem Koppel ein Säbel hängt.

Die Waffen, wie man sagt, von Garibaldi, Bixio und Bertani eigen¬
händig in Stroh , eingewickelt, waren sämmtlich eingeschifft, trotz der überall
aufmerksamen, nur auf dieser Stelle blinden Späher Cavours. Die erste
Expedition zur Befreiung Süditaliens und vollkommenen Einigung des ganzen
Volkes war nach Sicilien abgegangen. --

Den Brief hielt ich während dieses träumerischen Rückblickes noch in der
Hand. Ein zukünftiger Waffengenvsse warf mir denselben durch eine unsanfte
Berührung mit gewöhnlicher italienischer Rücksichtslosigkeit auf die Straße. Ich
wurde erinnert, daß es Zeit war, ihn abzugeben. .

, Die Menge, welche Treppen und Vorzimmer des Hauses füllte, war nach
Anzug. Benehmen, Gesichtsausdruck und Rede sehr verschieden. Einige, deren
Aeußeres eine feinere Bildung verrieth, schienen sich in dem Gedränge der
Anderen, von denen manche recht unangenehme Vagabundenphysiognomien
auszuweisen hatten, wenig behaglich zu fühlen. Andere empfanden es augen¬
scheinlich sehr schmerzlich hier zu sein. Aber sie waren einmal da. Die Hei¬
math lag hinter ihnen. Zurückzukehren war vielleicht unmöglich, und so blieb
nur übrig, sich in die Gegenwart mit Resignation zu fügen.

Rücksichtslosigkeit mit Rücksichtslosigkeit erwidernd und mir ohne viele
Umstände mit dem Ellbogen durch den Haufen Platz machend, hatte ich zuletzt
das Enrollirungsburcau erreicht. Dies war wol ursprünglich des Advocaten
Arbeitszimmer. Man hatte soviel als möglich darin aufgeräumt. Indeß
war die in zwei großen Schränken verwahrte werthvolle Bibliothek dageblieben
und diese gab dem Beschauer Gelegenheit, zu sehen, wie der Dottore mehreren
wissenschaftlichen und belletristischen Arbeiten deutschen Ursprungs unter den
Italienern einen Platz eingeräumt. Porträts von hervorragenden Persönlich¬
keiten der älteren und neueren Geschichte, die aus ihren goldenen Nahmen auf
das Treiben im Zimmer herunterschauten, gaben einen Anhalt zur Beurtheilung
der Gesinnungen des Besitzers. Dies Treiben im Bureau war eigenthümlich
genug. Am oberen Tische wurden Conferenzen gehalten: Briefe aufgesetzt, dem
am unteren Tische arbeitenden Schreiber zum Reinschreiben abgegeben, ver¬
siegelt weggetragen, Geld empfangen und Anweisungen ausgestellt. Alles rasch
und in systematischer Ordnung. Dazwischen ließ sich gelegentlich die gellende
Stimme eines vor Ungeduld unruhig gewordenen Jtalieners hören, der laut
schimpfend sich nicht abweisen ließ; während ein anderer, seinem Benehmen
nach einer nördlichen Race angehörend, sein Gesuch mehr in der Form einer
Bitte vorbrachte.

Mein Wunsch, den Signor Bertani zu sprechen, wurde dem Zimmerpersonal


wirst den Mantel zurück, und ich sehe, daß der Mann auf dem Radkasten das
rothe Hemd trägt, welches 1849 die Vertheidiger Roms trugen, und daß an
seiner Seite an weißem Koppel ein Säbel hängt.

Die Waffen, wie man sagt, von Garibaldi, Bixio und Bertani eigen¬
händig in Stroh , eingewickelt, waren sämmtlich eingeschifft, trotz der überall
aufmerksamen, nur auf dieser Stelle blinden Späher Cavours. Die erste
Expedition zur Befreiung Süditaliens und vollkommenen Einigung des ganzen
Volkes war nach Sicilien abgegangen. —

Den Brief hielt ich während dieses träumerischen Rückblickes noch in der
Hand. Ein zukünftiger Waffengenvsse warf mir denselben durch eine unsanfte
Berührung mit gewöhnlicher italienischer Rücksichtslosigkeit auf die Straße. Ich
wurde erinnert, daß es Zeit war, ihn abzugeben. .

, Die Menge, welche Treppen und Vorzimmer des Hauses füllte, war nach
Anzug. Benehmen, Gesichtsausdruck und Rede sehr verschieden. Einige, deren
Aeußeres eine feinere Bildung verrieth, schienen sich in dem Gedränge der
Anderen, von denen manche recht unangenehme Vagabundenphysiognomien
auszuweisen hatten, wenig behaglich zu fühlen. Andere empfanden es augen¬
scheinlich sehr schmerzlich hier zu sein. Aber sie waren einmal da. Die Hei¬
math lag hinter ihnen. Zurückzukehren war vielleicht unmöglich, und so blieb
nur übrig, sich in die Gegenwart mit Resignation zu fügen.

Rücksichtslosigkeit mit Rücksichtslosigkeit erwidernd und mir ohne viele
Umstände mit dem Ellbogen durch den Haufen Platz machend, hatte ich zuletzt
das Enrollirungsburcau erreicht. Dies war wol ursprünglich des Advocaten
Arbeitszimmer. Man hatte soviel als möglich darin aufgeräumt. Indeß
war die in zwei großen Schränken verwahrte werthvolle Bibliothek dageblieben
und diese gab dem Beschauer Gelegenheit, zu sehen, wie der Dottore mehreren
wissenschaftlichen und belletristischen Arbeiten deutschen Ursprungs unter den
Italienern einen Platz eingeräumt. Porträts von hervorragenden Persönlich¬
keiten der älteren und neueren Geschichte, die aus ihren goldenen Nahmen auf
das Treiben im Zimmer herunterschauten, gaben einen Anhalt zur Beurtheilung
der Gesinnungen des Besitzers. Dies Treiben im Bureau war eigenthümlich
genug. Am oberen Tische wurden Conferenzen gehalten: Briefe aufgesetzt, dem
am unteren Tische arbeitenden Schreiber zum Reinschreiben abgegeben, ver¬
siegelt weggetragen, Geld empfangen und Anweisungen ausgestellt. Alles rasch
und in systematischer Ordnung. Dazwischen ließ sich gelegentlich die gellende
Stimme eines vor Ungeduld unruhig gewordenen Jtalieners hören, der laut
schimpfend sich nicht abweisen ließ; während ein anderer, seinem Benehmen
nach einer nördlichen Race angehörend, sein Gesuch mehr in der Form einer
Bitte vorbrachte.

Mein Wunsch, den Signor Bertani zu sprechen, wurde dem Zimmerpersonal


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/262>, abgerufen am 22.07.2024.