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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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ein Volk um mich sich bewegte, dessen Empfindungen und Charakter ganz
verschieden waren von denen, mit welchen ich vorher in Berührung gekom¬
men war.

Genua kann sich rühmen, auch mit seinen Hotels eine der ersten Stellen
in Italien einzunehmen. -- Der Fußboden der Zimmer, hier im Süden
überall mit Ziegelsteinen oder einer Art Mörtelguß belegt, ist mit wenigen
Ausnahmen mit Teppichen bedeckt. Den ebenso unvermeidlichen eisernen
Bettstellen sind Federmatratzen eingepaßt, und die Möblirung läßt bemerken,
daß der Begriff Comfort nicht mehr unbekannt ist. Der "Cameriere" ist we¬
niger unverschämt wie anderwärts und sogar eine "Cameriera" ist zu finden,
deren Vorhandensein schon andeutet, daß es hier bedeutend weniger schmutzig
zugeht, als in andern Albergos des Landes Italia, in denen man in der
Regel nur männliche Bedienung für Küche und Zimmer antrifft, und höchstens
eine Lavandaja die Treppen einigemal in der Woche auf- und abschlürft,
um den Fremden Wäsche zu bringen, insofern nicht der Signor Cameriere
despotisch beliebt, diese selbst zu besorgen.

Trotz jenes leidlichen Comforts meiner bescheidenen Wohnung und trotz
der Müdigkeit, die eine beinahe zweitägige, nur einige Stunden unterbrochene
Reise Hervorries, floh mich der Schlaf. -- War es das brausende Meer, des¬
sen dumpfer Schall in das nach dem Hasen hin gelegene Zimmer drang,
waren es die Erinnerungen an die Erlebnisse des verflossenen Tages oder die
Gedanken an die Zukunft, die mich wach hielten, oder waren es die in Italien
unvermeidlichen nächtlichen Quälgeister, genug, ich bemühte mich vergeblich,
einzuschlafen. Das Verlangen Italien zu sehen war erreicht, aber welche Aus¬
sichten hatte ich auf das Gelingen meines anderen Planes?

Meine Absicht war nämlich auch, in die Armee Garibaldi's einzutreten.

Was ich bisher gesehen, war wenig ermuthigender Natur. Das Contin¬
gent, welches die rohe Masse für das Unternehmen stellte (sie war nach den
Erfahrungen der letzten Stunden in der That sehr roh), repräsentiere, wie mir
vorkam, weniger einen aus dem Kera des Volkes ausgehenden Patriotismus,
als eine" prahlerischer Uebermuth, Alles verachtend und Alles vernichten wol"
tend. Und diese Herren Offiziere, die zukünftigen Kameraden, die ich bisher
gesehen -- wie entfernt standen^ die wol von dieser selben rohen Masse?
Und in Turin, wie wenig war dort der Name Garibaldi genannt worden!

Der Morge" war angebrochen. Peitschengeknall und das Schreien von
Maulthiertreibern, Fnchini und Bauern, die sich unter meinem Fenster tum¬
melten, weckten mich auf, und nachdem ich dem Getümmel ein Weilchen zu¬
geschaut, kleidete ich mich an, um mich an passender Stelle zu melden.
halte einen Empfehlungsbrief an den Parlamentsabgeordneten Mauro Manch>'
und so machte ich mich zunächst nach dessen Wohnung auf.


ein Volk um mich sich bewegte, dessen Empfindungen und Charakter ganz
verschieden waren von denen, mit welchen ich vorher in Berührung gekom¬
men war.

Genua kann sich rühmen, auch mit seinen Hotels eine der ersten Stellen
in Italien einzunehmen. — Der Fußboden der Zimmer, hier im Süden
überall mit Ziegelsteinen oder einer Art Mörtelguß belegt, ist mit wenigen
Ausnahmen mit Teppichen bedeckt. Den ebenso unvermeidlichen eisernen
Bettstellen sind Federmatratzen eingepaßt, und die Möblirung läßt bemerken,
daß der Begriff Comfort nicht mehr unbekannt ist. Der „Cameriere" ist we¬
niger unverschämt wie anderwärts und sogar eine „Cameriera" ist zu finden,
deren Vorhandensein schon andeutet, daß es hier bedeutend weniger schmutzig
zugeht, als in andern Albergos des Landes Italia, in denen man in der
Regel nur männliche Bedienung für Küche und Zimmer antrifft, und höchstens
eine Lavandaja die Treppen einigemal in der Woche auf- und abschlürft,
um den Fremden Wäsche zu bringen, insofern nicht der Signor Cameriere
despotisch beliebt, diese selbst zu besorgen.

Trotz jenes leidlichen Comforts meiner bescheidenen Wohnung und trotz
der Müdigkeit, die eine beinahe zweitägige, nur einige Stunden unterbrochene
Reise Hervorries, floh mich der Schlaf. — War es das brausende Meer, des¬
sen dumpfer Schall in das nach dem Hasen hin gelegene Zimmer drang,
waren es die Erinnerungen an die Erlebnisse des verflossenen Tages oder die
Gedanken an die Zukunft, die mich wach hielten, oder waren es die in Italien
unvermeidlichen nächtlichen Quälgeister, genug, ich bemühte mich vergeblich,
einzuschlafen. Das Verlangen Italien zu sehen war erreicht, aber welche Aus¬
sichten hatte ich auf das Gelingen meines anderen Planes?

Meine Absicht war nämlich auch, in die Armee Garibaldi's einzutreten.

Was ich bisher gesehen, war wenig ermuthigender Natur. Das Contin¬
gent, welches die rohe Masse für das Unternehmen stellte (sie war nach den
Erfahrungen der letzten Stunden in der That sehr roh), repräsentiere, wie mir
vorkam, weniger einen aus dem Kera des Volkes ausgehenden Patriotismus,
als eine» prahlerischer Uebermuth, Alles verachtend und Alles vernichten wol"
tend. Und diese Herren Offiziere, die zukünftigen Kameraden, die ich bisher
gesehen — wie entfernt standen^ die wol von dieser selben rohen Masse?
Und in Turin, wie wenig war dort der Name Garibaldi genannt worden!

Der Morge» war angebrochen. Peitschengeknall und das Schreien von
Maulthiertreibern, Fnchini und Bauern, die sich unter meinem Fenster tum¬
melten, weckten mich auf, und nachdem ich dem Getümmel ein Weilchen zu¬
geschaut, kleidete ich mich an, um mich an passender Stelle zu melden.
halte einen Empfehlungsbrief an den Parlamentsabgeordneten Mauro Manch>'
und so machte ich mich zunächst nach dessen Wohnung auf.


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[0260] ein Volk um mich sich bewegte, dessen Empfindungen und Charakter ganz verschieden waren von denen, mit welchen ich vorher in Berührung gekom¬ men war. Genua kann sich rühmen, auch mit seinen Hotels eine der ersten Stellen in Italien einzunehmen. — Der Fußboden der Zimmer, hier im Süden überall mit Ziegelsteinen oder einer Art Mörtelguß belegt, ist mit wenigen Ausnahmen mit Teppichen bedeckt. Den ebenso unvermeidlichen eisernen Bettstellen sind Federmatratzen eingepaßt, und die Möblirung läßt bemerken, daß der Begriff Comfort nicht mehr unbekannt ist. Der „Cameriere" ist we¬ niger unverschämt wie anderwärts und sogar eine „Cameriera" ist zu finden, deren Vorhandensein schon andeutet, daß es hier bedeutend weniger schmutzig zugeht, als in andern Albergos des Landes Italia, in denen man in der Regel nur männliche Bedienung für Küche und Zimmer antrifft, und höchstens eine Lavandaja die Treppen einigemal in der Woche auf- und abschlürft, um den Fremden Wäsche zu bringen, insofern nicht der Signor Cameriere despotisch beliebt, diese selbst zu besorgen. Trotz jenes leidlichen Comforts meiner bescheidenen Wohnung und trotz der Müdigkeit, die eine beinahe zweitägige, nur einige Stunden unterbrochene Reise Hervorries, floh mich der Schlaf. — War es das brausende Meer, des¬ sen dumpfer Schall in das nach dem Hasen hin gelegene Zimmer drang, waren es die Erinnerungen an die Erlebnisse des verflossenen Tages oder die Gedanken an die Zukunft, die mich wach hielten, oder waren es die in Italien unvermeidlichen nächtlichen Quälgeister, genug, ich bemühte mich vergeblich, einzuschlafen. Das Verlangen Italien zu sehen war erreicht, aber welche Aus¬ sichten hatte ich auf das Gelingen meines anderen Planes? Meine Absicht war nämlich auch, in die Armee Garibaldi's einzutreten. Was ich bisher gesehen, war wenig ermuthigender Natur. Das Contin¬ gent, welches die rohe Masse für das Unternehmen stellte (sie war nach den Erfahrungen der letzten Stunden in der That sehr roh), repräsentiere, wie mir vorkam, weniger einen aus dem Kera des Volkes ausgehenden Patriotismus, als eine» prahlerischer Uebermuth, Alles verachtend und Alles vernichten wol" tend. Und diese Herren Offiziere, die zukünftigen Kameraden, die ich bisher gesehen — wie entfernt standen^ die wol von dieser selben rohen Masse? Und in Turin, wie wenig war dort der Name Garibaldi genannt worden! Der Morge» war angebrochen. Peitschengeknall und das Schreien von Maulthiertreibern, Fnchini und Bauern, die sich unter meinem Fenster tum¬ melten, weckten mich auf, und nachdem ich dem Getümmel ein Weilchen zu¬ geschaut, kleidete ich mich an, um mich an passender Stelle zu melden. halte einen Empfehlungsbrief an den Parlamentsabgeordneten Mauro Manch>' und so machte ich mich zunächst nach dessen Wohnung auf.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/260>, abgerufen am 22.07.2024.