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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Die Hauptsache aber sind jetzt die Berliner Geschichten, und hier finden
wir gar feine Worte, weder parlamentarische noch unparlamentarische, das
auszudrücken, was uns auf der Seele liegt! Ohnehin thun darin die Berliner
Blätter, soweit sie nicht confiscire werden, völlig ihre Schuldigkeit.

Wo glaubt nun die preußische Regierung, daß das englische Ministerium
seine Vorstellung von den preußischen Zuständen hernimmt? Etwa -- aus
der "Preußischen Zeitung"? -- Der berliner Glaube ist groß, aber bis zu die¬
sem Fanatismus hat er sich doch noch nicht gesteigert! -- Die englische Ne¬
gierung schöpft ihre Vorstellung aus den Berichten ihrer diplomatischen Agen¬
ten, und das sind nicht vornehme junge Herren von eleganter Tournüre und
altem Stammbaum, denen der Stand über das Vaterland geht, sondern echte
Engländer, die den strengen Befehl haben, im englischen Interesse, und nach
ihren Jnstructionen zu wirken, und über den Sachverhalt nach eigener gründ¬
licher Anschauung zu berichten. Es könnte mitunter sür die preußische Regie¬
rung von großem Nutzen sem, diese Berichte, die nicht in die Blaubücher kom¬
men, zu lesen.

Die preußische Regierung hat in den beiden letzten Jahren an Credit
nicht gewonnen, sondern verloren. Das ist ein um so größeres Uebel, da
von denen, auf die es zunächst hauptsächlich ankommt, nicht zu erwarten
steht, daß die Sache auf eine geschicktere Weise in Angriff genommen wird.

Mangel an Credit ist ein großes Uebel, hauptsächlich in unruhigen Zeiten,
wo man das Capital nicht leicht flüssig machen kann und wo die Forderungen
sich drängen. Aber -- und nun wenden wir uns gegen die andere Seite --
der Mangel ist nicht unersetzlich, wo wirkliche Fonds vorhanden sind. Und
das ist in Preußen der Fall. Es muß das gegen diejenigen hervorgehoben
werden, die bereits jetzt wieder zum Pessimismus geneigt sind.

Zwar stimmen wir vollständig mit denjenigen überein, welche nicht bloß
der Regierung, sondern auch dem Volke und namentlich den Volksvertretern
die Pflicht auferlegen, an dem Fortschritt Preußens mitzuwirken, gleichviel
ob das Ministerium damit einverstanden ist oder nicht. Nicht bloß die Re¬
gierung, sondern auch das Volk war an der Reaction der Jahre 1850 -- 58
schuld: es hat nicht alles gethan, was es konnte, um auf gesetzlichem Wege
der Reaction Widerstand zu leisten. Aber mit denen können wir nicht über¬
einstimmen, die in dem Zögern und Abwarten der letzten drei Jahre ein
Zeichen von Schwäche sehen. Es wäre ein viel schlimmeres Zeichen gewesen,
wenn die Abspannung der Neactiousjahre. nun das Feld frei gegeben wurde,
plötzlich in die entgegengesetzte Stimmung umgeschlagen wäre; ganz abgesehn
von den zweifelhaften Wirkungen, wäre dieser Umschlag gerade das Zeichen
°wer knechtischen Gesinnung gewesen. Mit Vertrauen und äußerst gemäßigten
Ansprüchen kam man der neuen Regierung entgegen; mehr und mehr hat


Die Hauptsache aber sind jetzt die Berliner Geschichten, und hier finden
wir gar feine Worte, weder parlamentarische noch unparlamentarische, das
auszudrücken, was uns auf der Seele liegt! Ohnehin thun darin die Berliner
Blätter, soweit sie nicht confiscire werden, völlig ihre Schuldigkeit.

Wo glaubt nun die preußische Regierung, daß das englische Ministerium
seine Vorstellung von den preußischen Zuständen hernimmt? Etwa — aus
der „Preußischen Zeitung"? — Der berliner Glaube ist groß, aber bis zu die¬
sem Fanatismus hat er sich doch noch nicht gesteigert! — Die englische Ne¬
gierung schöpft ihre Vorstellung aus den Berichten ihrer diplomatischen Agen¬
ten, und das sind nicht vornehme junge Herren von eleganter Tournüre und
altem Stammbaum, denen der Stand über das Vaterland geht, sondern echte
Engländer, die den strengen Befehl haben, im englischen Interesse, und nach
ihren Jnstructionen zu wirken, und über den Sachverhalt nach eigener gründ¬
licher Anschauung zu berichten. Es könnte mitunter sür die preußische Regie¬
rung von großem Nutzen sem, diese Berichte, die nicht in die Blaubücher kom¬
men, zu lesen.

Die preußische Regierung hat in den beiden letzten Jahren an Credit
nicht gewonnen, sondern verloren. Das ist ein um so größeres Uebel, da
von denen, auf die es zunächst hauptsächlich ankommt, nicht zu erwarten
steht, daß die Sache auf eine geschicktere Weise in Angriff genommen wird.

Mangel an Credit ist ein großes Uebel, hauptsächlich in unruhigen Zeiten,
wo man das Capital nicht leicht flüssig machen kann und wo die Forderungen
sich drängen. Aber — und nun wenden wir uns gegen die andere Seite —
der Mangel ist nicht unersetzlich, wo wirkliche Fonds vorhanden sind. Und
das ist in Preußen der Fall. Es muß das gegen diejenigen hervorgehoben
werden, die bereits jetzt wieder zum Pessimismus geneigt sind.

Zwar stimmen wir vollständig mit denjenigen überein, welche nicht bloß
der Regierung, sondern auch dem Volke und namentlich den Volksvertretern
die Pflicht auferlegen, an dem Fortschritt Preußens mitzuwirken, gleichviel
ob das Ministerium damit einverstanden ist oder nicht. Nicht bloß die Re¬
gierung, sondern auch das Volk war an der Reaction der Jahre 1850 — 58
schuld: es hat nicht alles gethan, was es konnte, um auf gesetzlichem Wege
der Reaction Widerstand zu leisten. Aber mit denen können wir nicht über¬
einstimmen, die in dem Zögern und Abwarten der letzten drei Jahre ein
Zeichen von Schwäche sehen. Es wäre ein viel schlimmeres Zeichen gewesen,
wenn die Abspannung der Neactiousjahre. nun das Feld frei gegeben wurde,
plötzlich in die entgegengesetzte Stimmung umgeschlagen wäre; ganz abgesehn
von den zweifelhaften Wirkungen, wäre dieser Umschlag gerade das Zeichen
°wer knechtischen Gesinnung gewesen. Mit Vertrauen und äußerst gemäßigten
Ansprüchen kam man der neuen Regierung entgegen; mehr und mehr hat


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[0247] Die Hauptsache aber sind jetzt die Berliner Geschichten, und hier finden wir gar feine Worte, weder parlamentarische noch unparlamentarische, das auszudrücken, was uns auf der Seele liegt! Ohnehin thun darin die Berliner Blätter, soweit sie nicht confiscire werden, völlig ihre Schuldigkeit. Wo glaubt nun die preußische Regierung, daß das englische Ministerium seine Vorstellung von den preußischen Zuständen hernimmt? Etwa — aus der „Preußischen Zeitung"? — Der berliner Glaube ist groß, aber bis zu die¬ sem Fanatismus hat er sich doch noch nicht gesteigert! — Die englische Ne¬ gierung schöpft ihre Vorstellung aus den Berichten ihrer diplomatischen Agen¬ ten, und das sind nicht vornehme junge Herren von eleganter Tournüre und altem Stammbaum, denen der Stand über das Vaterland geht, sondern echte Engländer, die den strengen Befehl haben, im englischen Interesse, und nach ihren Jnstructionen zu wirken, und über den Sachverhalt nach eigener gründ¬ licher Anschauung zu berichten. Es könnte mitunter sür die preußische Regie¬ rung von großem Nutzen sem, diese Berichte, die nicht in die Blaubücher kom¬ men, zu lesen. Die preußische Regierung hat in den beiden letzten Jahren an Credit nicht gewonnen, sondern verloren. Das ist ein um so größeres Uebel, da von denen, auf die es zunächst hauptsächlich ankommt, nicht zu erwarten steht, daß die Sache auf eine geschicktere Weise in Angriff genommen wird. Mangel an Credit ist ein großes Uebel, hauptsächlich in unruhigen Zeiten, wo man das Capital nicht leicht flüssig machen kann und wo die Forderungen sich drängen. Aber — und nun wenden wir uns gegen die andere Seite — der Mangel ist nicht unersetzlich, wo wirkliche Fonds vorhanden sind. Und das ist in Preußen der Fall. Es muß das gegen diejenigen hervorgehoben werden, die bereits jetzt wieder zum Pessimismus geneigt sind. Zwar stimmen wir vollständig mit denjenigen überein, welche nicht bloß der Regierung, sondern auch dem Volke und namentlich den Volksvertretern die Pflicht auferlegen, an dem Fortschritt Preußens mitzuwirken, gleichviel ob das Ministerium damit einverstanden ist oder nicht. Nicht bloß die Re¬ gierung, sondern auch das Volk war an der Reaction der Jahre 1850 — 58 schuld: es hat nicht alles gethan, was es konnte, um auf gesetzlichem Wege der Reaction Widerstand zu leisten. Aber mit denen können wir nicht über¬ einstimmen, die in dem Zögern und Abwarten der letzten drei Jahre ein Zeichen von Schwäche sehen. Es wäre ein viel schlimmeres Zeichen gewesen, wenn die Abspannung der Neactiousjahre. nun das Feld frei gegeben wurde, plötzlich in die entgegengesetzte Stimmung umgeschlagen wäre; ganz abgesehn von den zweifelhaften Wirkungen, wäre dieser Umschlag gerade das Zeichen °wer knechtischen Gesinnung gewesen. Mit Vertrauen und äußerst gemäßigten Ansprüchen kam man der neuen Regierung entgegen; mehr und mehr hat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/247>, abgerufen am 03.07.2024.