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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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schaftliche Bewegung. Und wieder, auch während er das innerlich fertig Ge¬
wordene in die That umsetzt und diese That auf die Umgebung wirkt, wer¬
den gerade durch die Action in der Seele des Helden selbst neue Be¬
wegungen und Wandlungen vorbereitet. Dennoch ist ein Unterschied in der
Wirkung beider eng verbundener Processe. Den höchsten Reiz hat immer das
erste, der innere Kampf des Individuums bis zur That. Der zweite fordert mehr
äußerliche Bewegung, ein stärkeres Zusammenwirken verschiedener Kräfte; fast
Alles, was die Schaulust vergnügt, gehört ihm an, und doch ist er, wie un¬
entbehrlich er dem Drama sei, nur die Befriedigung erregter Spannung, und
leicht eilt über ihn hinweg die Ungeduld des nachschaffenden Hörers, eine
neue leidenschaftliche Spannung im Innern der Charaktere suchend. Was wird,
nicht was geworden ist oder geschieht, reizt am meisten.

Aus vielen dramatischen Einzelheiten ist die Handlung zusammengesetzt.
Sie besteht aus einer Anzahl dramatischer Momente, welche durch die Idee zu
innerer Einheit verbunden, durch die Charaktere dargestellt, nach einander in
gesetzlicher Gliederung wirksam werden. Die Gliederung aber ist keine zu¬
fällige.

Im Anfang des Drama's müssen die Hauptpersonen, die Helden des Stückes
so eingeführt werden, daß sich Wesen und Eigenthümlichkeit derselben noch un¬
befangen ausspricht, gewöhnlich in den Momenten, wo durch eine äußere
Anregung oder innere Gedankenverbindung in ihnen der Beginn eines gewaltigen
Gefühls oder Wollens zur Darstellung kommt. Diese äußere Anregung oder
Gedankenverbindung, welche die Helden veranlaßt, beim Beginn des Stückes
ihr Inneres zu öffnen, wird hier das aufregende Moment genannt. -- Die
innere Bewegung, die leidenschaftliche Spannung, das Begehren der Helden
wird immer stärker, neue Momente, fördernd oder hemmend, verstärken ihre
Befangenheit und den Kampf, siegreich schreiten die Charaktere vor bis zu
einem imponirenden Moment, dem Höhenpunkte des Stückes, in welchem die volle
Energie ihres Gefühls und Wollens sich zu einer "That" concentrirt, durch welche
die hohe Spannung des Individuums für den Augenblick gelöst wird. Von
da an beginnt eine Umkehr der Handlung; die Charaktere erschienen bis da¬
hin in einseitigem, aber erfolgreichem Begehren, von innen nach außen wirkend,
die Lebensverhältnisse, in denen sie auftreten, mit sich verändernd. Von dem
Höhenpunkt an wirkt das, was sie gethan haben, auf sie selbst zurück und
gewinnt eine Macht über sie; die Außenwelt, welche im Aussteigen des
leidenschaftlichen Kampfes durch die Helden besiegt wurde, erhebt sich
zum Kampfe gegen sie, die gestörte sittliche Ordnung macht diese Reaction
immer stärker und siegreicher, bis sie sich zuletzt in der Schlußkatastrophe mit
unwiderstehlicher Gewalt die Helden unterwirft. Auf solche Katastrophe
folgt schnell der Schluß des Stückes, die Situation, wo die'Versöhnung


schaftliche Bewegung. Und wieder, auch während er das innerlich fertig Ge¬
wordene in die That umsetzt und diese That auf die Umgebung wirkt, wer¬
den gerade durch die Action in der Seele des Helden selbst neue Be¬
wegungen und Wandlungen vorbereitet. Dennoch ist ein Unterschied in der
Wirkung beider eng verbundener Processe. Den höchsten Reiz hat immer das
erste, der innere Kampf des Individuums bis zur That. Der zweite fordert mehr
äußerliche Bewegung, ein stärkeres Zusammenwirken verschiedener Kräfte; fast
Alles, was die Schaulust vergnügt, gehört ihm an, und doch ist er, wie un¬
entbehrlich er dem Drama sei, nur die Befriedigung erregter Spannung, und
leicht eilt über ihn hinweg die Ungeduld des nachschaffenden Hörers, eine
neue leidenschaftliche Spannung im Innern der Charaktere suchend. Was wird,
nicht was geworden ist oder geschieht, reizt am meisten.

Aus vielen dramatischen Einzelheiten ist die Handlung zusammengesetzt.
Sie besteht aus einer Anzahl dramatischer Momente, welche durch die Idee zu
innerer Einheit verbunden, durch die Charaktere dargestellt, nach einander in
gesetzlicher Gliederung wirksam werden. Die Gliederung aber ist keine zu¬
fällige.

Im Anfang des Drama's müssen die Hauptpersonen, die Helden des Stückes
so eingeführt werden, daß sich Wesen und Eigenthümlichkeit derselben noch un¬
befangen ausspricht, gewöhnlich in den Momenten, wo durch eine äußere
Anregung oder innere Gedankenverbindung in ihnen der Beginn eines gewaltigen
Gefühls oder Wollens zur Darstellung kommt. Diese äußere Anregung oder
Gedankenverbindung, welche die Helden veranlaßt, beim Beginn des Stückes
ihr Inneres zu öffnen, wird hier das aufregende Moment genannt. — Die
innere Bewegung, die leidenschaftliche Spannung, das Begehren der Helden
wird immer stärker, neue Momente, fördernd oder hemmend, verstärken ihre
Befangenheit und den Kampf, siegreich schreiten die Charaktere vor bis zu
einem imponirenden Moment, dem Höhenpunkte des Stückes, in welchem die volle
Energie ihres Gefühls und Wollens sich zu einer „That" concentrirt, durch welche
die hohe Spannung des Individuums für den Augenblick gelöst wird. Von
da an beginnt eine Umkehr der Handlung; die Charaktere erschienen bis da¬
hin in einseitigem, aber erfolgreichem Begehren, von innen nach außen wirkend,
die Lebensverhältnisse, in denen sie auftreten, mit sich verändernd. Von dem
Höhenpunkt an wirkt das, was sie gethan haben, auf sie selbst zurück und
gewinnt eine Macht über sie; die Außenwelt, welche im Aussteigen des
leidenschaftlichen Kampfes durch die Helden besiegt wurde, erhebt sich
zum Kampfe gegen sie, die gestörte sittliche Ordnung macht diese Reaction
immer stärker und siegreicher, bis sie sich zuletzt in der Schlußkatastrophe mit
unwiderstehlicher Gewalt die Helden unterwirft. Auf solche Katastrophe
folgt schnell der Schluß des Stückes, die Situation, wo die'Versöhnung


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[0232] schaftliche Bewegung. Und wieder, auch während er das innerlich fertig Ge¬ wordene in die That umsetzt und diese That auf die Umgebung wirkt, wer¬ den gerade durch die Action in der Seele des Helden selbst neue Be¬ wegungen und Wandlungen vorbereitet. Dennoch ist ein Unterschied in der Wirkung beider eng verbundener Processe. Den höchsten Reiz hat immer das erste, der innere Kampf des Individuums bis zur That. Der zweite fordert mehr äußerliche Bewegung, ein stärkeres Zusammenwirken verschiedener Kräfte; fast Alles, was die Schaulust vergnügt, gehört ihm an, und doch ist er, wie un¬ entbehrlich er dem Drama sei, nur die Befriedigung erregter Spannung, und leicht eilt über ihn hinweg die Ungeduld des nachschaffenden Hörers, eine neue leidenschaftliche Spannung im Innern der Charaktere suchend. Was wird, nicht was geworden ist oder geschieht, reizt am meisten. Aus vielen dramatischen Einzelheiten ist die Handlung zusammengesetzt. Sie besteht aus einer Anzahl dramatischer Momente, welche durch die Idee zu innerer Einheit verbunden, durch die Charaktere dargestellt, nach einander in gesetzlicher Gliederung wirksam werden. Die Gliederung aber ist keine zu¬ fällige. Im Anfang des Drama's müssen die Hauptpersonen, die Helden des Stückes so eingeführt werden, daß sich Wesen und Eigenthümlichkeit derselben noch un¬ befangen ausspricht, gewöhnlich in den Momenten, wo durch eine äußere Anregung oder innere Gedankenverbindung in ihnen der Beginn eines gewaltigen Gefühls oder Wollens zur Darstellung kommt. Diese äußere Anregung oder Gedankenverbindung, welche die Helden veranlaßt, beim Beginn des Stückes ihr Inneres zu öffnen, wird hier das aufregende Moment genannt. — Die innere Bewegung, die leidenschaftliche Spannung, das Begehren der Helden wird immer stärker, neue Momente, fördernd oder hemmend, verstärken ihre Befangenheit und den Kampf, siegreich schreiten die Charaktere vor bis zu einem imponirenden Moment, dem Höhenpunkte des Stückes, in welchem die volle Energie ihres Gefühls und Wollens sich zu einer „That" concentrirt, durch welche die hohe Spannung des Individuums für den Augenblick gelöst wird. Von da an beginnt eine Umkehr der Handlung; die Charaktere erschienen bis da¬ hin in einseitigem, aber erfolgreichem Begehren, von innen nach außen wirkend, die Lebensverhältnisse, in denen sie auftreten, mit sich verändernd. Von dem Höhenpunkt an wirkt das, was sie gethan haben, auf sie selbst zurück und gewinnt eine Macht über sie; die Außenwelt, welche im Aussteigen des leidenschaftlichen Kampfes durch die Helden besiegt wurde, erhebt sich zum Kampfe gegen sie, die gestörte sittliche Ordnung macht diese Reaction immer stärker und siegreicher, bis sie sich zuletzt in der Schlußkatastrophe mit unwiderstehlicher Gewalt die Helden unterwirft. Auf solche Katastrophe folgt schnell der Schluß des Stückes, die Situation, wo die'Versöhnung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/232>, abgerufen am 22.07.2024.