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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Sallon hervorgegangen. Man hielt die Landwehr für unbrauchbar, weil man
ihren Geist heruntergedrückt hatte, weil man den doch nur durch große Fehler
seit 1815 geweckten Geist, der 1848 manches Schlimme hervorgerufen, fälsch¬
lich für den eigentlichen Geist der Landwehr hielt. Man glaubte nur in den
stehenden Regimentern eine gute Truppe zu haben und wußte nichts Besseres
zu thun als "diese zu verdoppeln, und weil man dafür hielt, daß drei Jahre
unbedingt nöthig seien, einen brauchbaren Soldaten zu erziehen, so wurde der
Militürctat auf eine Hohe hinaufgetrieben, welche die Finanzen des Staats
zu Grunde zu richten droht. Dafür hat man nun eine Armee, welche, da
die Landwehr aus den Truppen für das offene Feld ausgeschieden ist. keine
größere numerische Stärke hat als die frühere, und von der es sich noch sehr
fragt, ob sie besser als jene ist. wenn man bedenkt, daß man sich durch das
Zurückdrängen der Landwehr zur Bcsatzungstruppe des Kerns der Mannschaften
als Feldtruppe beraubt hat. und die Armee jetzt in zwei verschiedene Trnppcn-
atten zerfällt, von welchen jeder ein wesentlicher Mangel anhängt. Die Linie
besteht nur aus ganz jungen Leuten und ans Recruten mit einem wahrschein¬
lich vortrefflichen Offizier- und einem brauchbaren Unteroffizier-Corps, die
Landwehr aus dem Kerne der Mannschaft, den kräftigsten Männern von 26
bis 32 Jahren, ist aber ziemlich ohne Offiziere und Unteroffiziere, ein Nachtheil,
der um so mehr in die Augen springt, wenn man bedenkt, daß diese ausge¬
bildeten, -zu Männern gewordenen Soldaten auch die beste Führung, beanspru¬
chen, wenn sie sich gegen eine mangelhafte nicht überheben und so 'der so
unentbehrlichen Disciplin die Spitze ihrer Wirksamkeit abbrechen sollen. Ist
aber die neue Organisation weder eine Verstärkung noch eine Verbesserung,
so ist sie nur eine ungeheure Geldverschwendung, und sie ist das bloß um
einiger militärischen rein aus Friedensanschauungen hervorgegangenen Ansichten
willen, welche ebensowenig den Prüfstein wirklich kriegerischer Erfahrung, wie
den einer tiefer gehenden kriegswissenschaftlichen Betrachtung aushalten. Oder
sollen wir zugestehen, daß die Erfolge der Franzosen, welche unsere militäri¬
schen Größen in solche Unruhe versetzen, daß sie glaube" von dem Volke jedes
Opfer fordern zu dürfen, bloß der größeren Fertigkeit, Beweglichkeit und Ge-
schicklichkeit der Einzelne" zu verdanken seien, welche man also auch zu erreichen
trachte" müsse und die nur allenfalls in einer dreijährigen Dienstzeit zu er¬
langen seien? Uns erscheint das als kolossaler Irrthum. Jene Virtuosität
der Einzelnen, wie sie sich etwa bei den Zuaven und den Jägern findet, ist weder
in der Masse der französischen Truppen vorhanden, wovon sich jeder überzeugen
kann, der größere Massen ihrer Infanterie sieht, noch hat sie auf den Gang
der Kriege und Schlachten den Einfluß geübt, den man ihr so gern zuschreibt,
um seine gesteigerten Anforderungen ans Dressur und Friedensstärke der Truppe"
zu rechtfertigen. Oder ist die Schuld der Mißerfolge der Russen 1854 und


Sallon hervorgegangen. Man hielt die Landwehr für unbrauchbar, weil man
ihren Geist heruntergedrückt hatte, weil man den doch nur durch große Fehler
seit 1815 geweckten Geist, der 1848 manches Schlimme hervorgerufen, fälsch¬
lich für den eigentlichen Geist der Landwehr hielt. Man glaubte nur in den
stehenden Regimentern eine gute Truppe zu haben und wußte nichts Besseres
zu thun als "diese zu verdoppeln, und weil man dafür hielt, daß drei Jahre
unbedingt nöthig seien, einen brauchbaren Soldaten zu erziehen, so wurde der
Militürctat auf eine Hohe hinaufgetrieben, welche die Finanzen des Staats
zu Grunde zu richten droht. Dafür hat man nun eine Armee, welche, da
die Landwehr aus den Truppen für das offene Feld ausgeschieden ist. keine
größere numerische Stärke hat als die frühere, und von der es sich noch sehr
fragt, ob sie besser als jene ist. wenn man bedenkt, daß man sich durch das
Zurückdrängen der Landwehr zur Bcsatzungstruppe des Kerns der Mannschaften
als Feldtruppe beraubt hat. und die Armee jetzt in zwei verschiedene Trnppcn-
atten zerfällt, von welchen jeder ein wesentlicher Mangel anhängt. Die Linie
besteht nur aus ganz jungen Leuten und ans Recruten mit einem wahrschein¬
lich vortrefflichen Offizier- und einem brauchbaren Unteroffizier-Corps, die
Landwehr aus dem Kerne der Mannschaft, den kräftigsten Männern von 26
bis 32 Jahren, ist aber ziemlich ohne Offiziere und Unteroffiziere, ein Nachtheil,
der um so mehr in die Augen springt, wenn man bedenkt, daß diese ausge¬
bildeten, -zu Männern gewordenen Soldaten auch die beste Führung, beanspru¬
chen, wenn sie sich gegen eine mangelhafte nicht überheben und so 'der so
unentbehrlichen Disciplin die Spitze ihrer Wirksamkeit abbrechen sollen. Ist
aber die neue Organisation weder eine Verstärkung noch eine Verbesserung,
so ist sie nur eine ungeheure Geldverschwendung, und sie ist das bloß um
einiger militärischen rein aus Friedensanschauungen hervorgegangenen Ansichten
willen, welche ebensowenig den Prüfstein wirklich kriegerischer Erfahrung, wie
den einer tiefer gehenden kriegswissenschaftlichen Betrachtung aushalten. Oder
sollen wir zugestehen, daß die Erfolge der Franzosen, welche unsere militäri¬
schen Größen in solche Unruhe versetzen, daß sie glaube» von dem Volke jedes
Opfer fordern zu dürfen, bloß der größeren Fertigkeit, Beweglichkeit und Ge-
schicklichkeit der Einzelne» zu verdanken seien, welche man also auch zu erreichen
trachte» müsse und die nur allenfalls in einer dreijährigen Dienstzeit zu er¬
langen seien? Uns erscheint das als kolossaler Irrthum. Jene Virtuosität
der Einzelnen, wie sie sich etwa bei den Zuaven und den Jägern findet, ist weder
in der Masse der französischen Truppen vorhanden, wovon sich jeder überzeugen
kann, der größere Massen ihrer Infanterie sieht, noch hat sie auf den Gang
der Kriege und Schlachten den Einfluß geübt, den man ihr so gern zuschreibt,
um seine gesteigerten Anforderungen ans Dressur und Friedensstärke der Truppe»
zu rechtfertigen. Oder ist die Schuld der Mißerfolge der Russen 1854 und


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[0224] Sallon hervorgegangen. Man hielt die Landwehr für unbrauchbar, weil man ihren Geist heruntergedrückt hatte, weil man den doch nur durch große Fehler seit 1815 geweckten Geist, der 1848 manches Schlimme hervorgerufen, fälsch¬ lich für den eigentlichen Geist der Landwehr hielt. Man glaubte nur in den stehenden Regimentern eine gute Truppe zu haben und wußte nichts Besseres zu thun als "diese zu verdoppeln, und weil man dafür hielt, daß drei Jahre unbedingt nöthig seien, einen brauchbaren Soldaten zu erziehen, so wurde der Militürctat auf eine Hohe hinaufgetrieben, welche die Finanzen des Staats zu Grunde zu richten droht. Dafür hat man nun eine Armee, welche, da die Landwehr aus den Truppen für das offene Feld ausgeschieden ist. keine größere numerische Stärke hat als die frühere, und von der es sich noch sehr fragt, ob sie besser als jene ist. wenn man bedenkt, daß man sich durch das Zurückdrängen der Landwehr zur Bcsatzungstruppe des Kerns der Mannschaften als Feldtruppe beraubt hat. und die Armee jetzt in zwei verschiedene Trnppcn- atten zerfällt, von welchen jeder ein wesentlicher Mangel anhängt. Die Linie besteht nur aus ganz jungen Leuten und ans Recruten mit einem wahrschein¬ lich vortrefflichen Offizier- und einem brauchbaren Unteroffizier-Corps, die Landwehr aus dem Kerne der Mannschaft, den kräftigsten Männern von 26 bis 32 Jahren, ist aber ziemlich ohne Offiziere und Unteroffiziere, ein Nachtheil, der um so mehr in die Augen springt, wenn man bedenkt, daß diese ausge¬ bildeten, -zu Männern gewordenen Soldaten auch die beste Führung, beanspru¬ chen, wenn sie sich gegen eine mangelhafte nicht überheben und so 'der so unentbehrlichen Disciplin die Spitze ihrer Wirksamkeit abbrechen sollen. Ist aber die neue Organisation weder eine Verstärkung noch eine Verbesserung, so ist sie nur eine ungeheure Geldverschwendung, und sie ist das bloß um einiger militärischen rein aus Friedensanschauungen hervorgegangenen Ansichten willen, welche ebensowenig den Prüfstein wirklich kriegerischer Erfahrung, wie den einer tiefer gehenden kriegswissenschaftlichen Betrachtung aushalten. Oder sollen wir zugestehen, daß die Erfolge der Franzosen, welche unsere militäri¬ schen Größen in solche Unruhe versetzen, daß sie glaube» von dem Volke jedes Opfer fordern zu dürfen, bloß der größeren Fertigkeit, Beweglichkeit und Ge- schicklichkeit der Einzelne» zu verdanken seien, welche man also auch zu erreichen trachte» müsse und die nur allenfalls in einer dreijährigen Dienstzeit zu er¬ langen seien? Uns erscheint das als kolossaler Irrthum. Jene Virtuosität der Einzelnen, wie sie sich etwa bei den Zuaven und den Jägern findet, ist weder in der Masse der französischen Truppen vorhanden, wovon sich jeder überzeugen kann, der größere Massen ihrer Infanterie sieht, noch hat sie auf den Gang der Kriege und Schlachten den Einfluß geübt, den man ihr so gern zuschreibt, um seine gesteigerten Anforderungen ans Dressur und Friedensstärke der Truppe» zu rechtfertigen. Oder ist die Schuld der Mißerfolge der Russen 1854 und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/224>, abgerufen am 22.07.2024.