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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Jemand leugnet, daß, was die sogenannte Dressur angeht, sechs Monate über
und über ausreichen, einen kriegsfähigen Jnfanteristen auszubilden, besonders
wenn, wie es so leicht geschehen könnte, der Recrut schon mit der Kenntniß
der Compagnieschule und mit einiger Fertigkeit im Schießen einträte. Dies
gestehen selbst eifrige Verfechter der dreijährigen Dienstzeit häusig zu. Aber,
sagen sie, es handelt sich hier gar nicht um diese Dinge, sondern darum, in
dem Recruten den soldatischen Geist so auszubilden, daß er nachher für die
Reserve und für die Landmchrjahre aushalte. Ich behaupte, daß auch dicc-
ein Irrthum ist. und zwar bürgerlich ganz entschieden, weil es so viel heißt
als die bürgerliche Gesinnung tauge überhaupt nicht dazu kriegerisch brauch¬
bar zu machen, während es entschieden richtiger ist. zu sagen, nur eine tüch¬
tige Bürgcrgesinnung mache zu einem guten Soldaten. Cäsar wenigstens
scheint dieser Meinung gewesen zu sein, als er seine aufrührerischen Soldaten
mit dem einzigen Wort "Quirites", was eben den Bürger im Gegensatz zum
Soldaten bezeichnet, zum Gehorsam zurückbrachte. Aber auch militärisch
scheint es richtig; denn worin findet denn der sogenannte soldatische Geist,
den man schaffen will, vorzugsweise seinen Ausdruck? Doch wol im unbe-
dingten Gehorsam und in der Tapferkeit, und diese beiden größten Eigen¬
schaften des Kriegers will man in der Gewohnheit suchen, in der Abrichtung,
in der Dressur, also da, wo wenigstens die Tapferkeit nicht einmal bei dem
Thiere zu erwerben ist. Der Gehorsam wurzelt beim Menschen sicher weit
tiefer in der freien Einsicht als in der Gewohnheit, deren er sich sogar
schämt, wenn es ihm zum Bewußtsein kommt, daß er ihr bloß wie das
Thier bisher gefolgt und nicht dem. was seine menschliche Würde ihm
^bietet, das Bewußtsein des freien Bürgers von ihm fordert, von ihm,
der da weiß. daß. so lange er Soldat ist. der unbedingte Gehorsam seine
erste Tugend ist. Und nun erst die Tapferkeit. Soll die auch Gewohn¬
heit werden und woher, wo geübt? Auf dem Exercierplatze, in der Kaserne, in
der Wachstube? Was hier nicht Naturgabe ist. ist Erzeugnis) der Gesinnung, der
^lebe zu Vaterland und Ehre, der Furcht vor Schande, der Aufmunterung
durch das Beispiel von Kameraden und Vorgesetzten, von lauter solcher Dinge,
welche mit einer unnöthig verlängerten Dienstzeit nichts zu thun haben, ans
welche dieselbe sogar leicht schädlich einwirkt. Man sage nicht, daß diese An¬
schauung nur auf den Gebildeten basirt ist. Es handelt sich hier um allgemein
wenschlichc Eigenschaften, um Dinge des Gefühls, um Naturgaben, denen
einfache Mensch so nahe steht wie der Gebildete, und die bei jenem nur
"uf andere Art geweckt und ausgebildet werden wie bei diesem. Dos zu
können gehört in die Kunst der Führung. Die Gewohnheit des Drittens
wird dafür nie einen Ersatz bieten.

Aus allen diesen Irrthümern ist aber vorzugsweise die neue Hcerorgani-


Jemand leugnet, daß, was die sogenannte Dressur angeht, sechs Monate über
und über ausreichen, einen kriegsfähigen Jnfanteristen auszubilden, besonders
wenn, wie es so leicht geschehen könnte, der Recrut schon mit der Kenntniß
der Compagnieschule und mit einiger Fertigkeit im Schießen einträte. Dies
gestehen selbst eifrige Verfechter der dreijährigen Dienstzeit häusig zu. Aber,
sagen sie, es handelt sich hier gar nicht um diese Dinge, sondern darum, in
dem Recruten den soldatischen Geist so auszubilden, daß er nachher für die
Reserve und für die Landmchrjahre aushalte. Ich behaupte, daß auch dicc-
ein Irrthum ist. und zwar bürgerlich ganz entschieden, weil es so viel heißt
als die bürgerliche Gesinnung tauge überhaupt nicht dazu kriegerisch brauch¬
bar zu machen, während es entschieden richtiger ist. zu sagen, nur eine tüch¬
tige Bürgcrgesinnung mache zu einem guten Soldaten. Cäsar wenigstens
scheint dieser Meinung gewesen zu sein, als er seine aufrührerischen Soldaten
mit dem einzigen Wort „Quirites", was eben den Bürger im Gegensatz zum
Soldaten bezeichnet, zum Gehorsam zurückbrachte. Aber auch militärisch
scheint es richtig; denn worin findet denn der sogenannte soldatische Geist,
den man schaffen will, vorzugsweise seinen Ausdruck? Doch wol im unbe-
dingten Gehorsam und in der Tapferkeit, und diese beiden größten Eigen¬
schaften des Kriegers will man in der Gewohnheit suchen, in der Abrichtung,
in der Dressur, also da, wo wenigstens die Tapferkeit nicht einmal bei dem
Thiere zu erwerben ist. Der Gehorsam wurzelt beim Menschen sicher weit
tiefer in der freien Einsicht als in der Gewohnheit, deren er sich sogar
schämt, wenn es ihm zum Bewußtsein kommt, daß er ihr bloß wie das
Thier bisher gefolgt und nicht dem. was seine menschliche Würde ihm
^bietet, das Bewußtsein des freien Bürgers von ihm fordert, von ihm,
der da weiß. daß. so lange er Soldat ist. der unbedingte Gehorsam seine
erste Tugend ist. Und nun erst die Tapferkeit. Soll die auch Gewohn¬
heit werden und woher, wo geübt? Auf dem Exercierplatze, in der Kaserne, in
der Wachstube? Was hier nicht Naturgabe ist. ist Erzeugnis) der Gesinnung, der
^lebe zu Vaterland und Ehre, der Furcht vor Schande, der Aufmunterung
durch das Beispiel von Kameraden und Vorgesetzten, von lauter solcher Dinge,
welche mit einer unnöthig verlängerten Dienstzeit nichts zu thun haben, ans
welche dieselbe sogar leicht schädlich einwirkt. Man sage nicht, daß diese An¬
schauung nur auf den Gebildeten basirt ist. Es handelt sich hier um allgemein
wenschlichc Eigenschaften, um Dinge des Gefühls, um Naturgaben, denen
einfache Mensch so nahe steht wie der Gebildete, und die bei jenem nur
"uf andere Art geweckt und ausgebildet werden wie bei diesem. Dos zu
können gehört in die Kunst der Führung. Die Gewohnheit des Drittens
wird dafür nie einen Ersatz bieten.

Aus allen diesen Irrthümern ist aber vorzugsweise die neue Hcerorgani-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/223>, abgerufen am 22.07.2024.