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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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verlaufen, Dem Publicum kann auch die genialste Kraft des Dichters und
Darstellers das beredte Schweigen und die schönsten, geheimen Schwingungen
der Leidenschaft nur durch einen größern Apparat ersetzen. Beide müssen
gerade hier eine Reichlichkeit der Production von Wort und Mimik anwenden,
die in der Natur unwahrscheinlich ist.

Es ist von hohem Interesse, die größten Liebesscenen, welche wir haben, mit
einander zu vergleichen, die drei Scenen im Romeo auf dem Maskenfest und
beim Bcilcon vor und nach der Brautnacht; und die Scene Gretchens im
Garten. In de.r ersten Romeo-Scene hat der Dichter der Kunst des Darstellers
die höchsten Aufgaben gestellt, in ihr ist die Sprache der beginnenden Leiden¬
schaft so wundervoll abgebrochen und kurz, hinter dem artigen Redenspiei. das zu
Shakespeares Zeit der guten Gesellschaft geläufig war. scheint das aufglühende
Gefühl nur in Blitzen durch. Wol empfand der Dichter, wie sehr darauf ein
vollerer Ausdruck Noth thue. Die Balconscene ist immer für ein Meister¬
stück der Poesie gehalten worden, aber wenn man die hohen Schönheiten ihrer
Verse sich analysirt, wird man vielleicht überrascht sein, wie wortreich und
souverän genießend die Seelen der Liebenden schon mit ihrem leidenschaftlichen
Gefühl zu spielen wissen. Für die Morgenscene ist die Idee alter Minne- und
Volkslieder -- "der Wächterlieder" -- in reizender Weise verwerthet. Schöne
Worte, zierliche Vergleiche sind in den ersten gehäuft, die Gefühle, welche in
solcher Situation aus zwei jungen liebenden Herzen herausbrechen, sind so kunst¬
voll verziert und mit ausgeführten Bildern geschmückt, daß wir zuweilen die
Kunst als künstlich empfinden.

Auch Goethe hat in seiner schönsten Liebesscene volksthümliche Erinnerungen
poetisch verwerthet; er hat die Liebeserklärung in seiner Weise aus kleinen
epischen und lyrischen Momenten zusammengesetzt, die er -- doch nicht ganz
günstig für eine große Wirkung -- durch den schneidenden Gegensatz Martha
und Mephisto unterbricht. Auch der Umstand erinnert an den großen lyrischen
Dichter, daß Faust darin zurücktritt und die Scenen nicht viel Anderes sind,
als Monologe Gretchens. Aber jede der drei kleinen Scenen, ans denen sich das
Bild zusammensetzt, ist von wunderbarer Schönheit durch die Einfachheit und
den knappen Ausdruck der Empfindung.

Dats man gegenüber solchen Schwierigkeiten, welche der Ausdruck hoher
Leidenschaft im Drama darbietet, dem jungen Dichter rathen, so wird ihm das
Beste sein, so dctaillirend und realistisch als sein Talent erlaubt, die einzelnen
Momente zu starker Steigerung zusammen zu schließen, und so wenig als mög¬
lich die schmückenden Reflexionen, Vergleiche, Bilder ins Breite auszuführen.
Denn während sie der Sprache Fülle g/ben. verdecken sie nur zu gern Flüch¬
tigkeit und Armuth der poetischen Empfindung. Wenn überall dem drama-
ti-schen Dichter genaues, immerwährendes Studium der Natur unentbehrlich


verlaufen, Dem Publicum kann auch die genialste Kraft des Dichters und
Darstellers das beredte Schweigen und die schönsten, geheimen Schwingungen
der Leidenschaft nur durch einen größern Apparat ersetzen. Beide müssen
gerade hier eine Reichlichkeit der Production von Wort und Mimik anwenden,
die in der Natur unwahrscheinlich ist.

Es ist von hohem Interesse, die größten Liebesscenen, welche wir haben, mit
einander zu vergleichen, die drei Scenen im Romeo auf dem Maskenfest und
beim Bcilcon vor und nach der Brautnacht; und die Scene Gretchens im
Garten. In de.r ersten Romeo-Scene hat der Dichter der Kunst des Darstellers
die höchsten Aufgaben gestellt, in ihr ist die Sprache der beginnenden Leiden¬
schaft so wundervoll abgebrochen und kurz, hinter dem artigen Redenspiei. das zu
Shakespeares Zeit der guten Gesellschaft geläufig war. scheint das aufglühende
Gefühl nur in Blitzen durch. Wol empfand der Dichter, wie sehr darauf ein
vollerer Ausdruck Noth thue. Die Balconscene ist immer für ein Meister¬
stück der Poesie gehalten worden, aber wenn man die hohen Schönheiten ihrer
Verse sich analysirt, wird man vielleicht überrascht sein, wie wortreich und
souverän genießend die Seelen der Liebenden schon mit ihrem leidenschaftlichen
Gefühl zu spielen wissen. Für die Morgenscene ist die Idee alter Minne- und
Volkslieder — „der Wächterlieder" — in reizender Weise verwerthet. Schöne
Worte, zierliche Vergleiche sind in den ersten gehäuft, die Gefühle, welche in
solcher Situation aus zwei jungen liebenden Herzen herausbrechen, sind so kunst¬
voll verziert und mit ausgeführten Bildern geschmückt, daß wir zuweilen die
Kunst als künstlich empfinden.

Auch Goethe hat in seiner schönsten Liebesscene volksthümliche Erinnerungen
poetisch verwerthet; er hat die Liebeserklärung in seiner Weise aus kleinen
epischen und lyrischen Momenten zusammengesetzt, die er — doch nicht ganz
günstig für eine große Wirkung — durch den schneidenden Gegensatz Martha
und Mephisto unterbricht. Auch der Umstand erinnert an den großen lyrischen
Dichter, daß Faust darin zurücktritt und die Scenen nicht viel Anderes sind,
als Monologe Gretchens. Aber jede der drei kleinen Scenen, ans denen sich das
Bild zusammensetzt, ist von wunderbarer Schönheit durch die Einfachheit und
den knappen Ausdruck der Empfindung.

Dats man gegenüber solchen Schwierigkeiten, welche der Ausdruck hoher
Leidenschaft im Drama darbietet, dem jungen Dichter rathen, so wird ihm das
Beste sein, so dctaillirend und realistisch als sein Talent erlaubt, die einzelnen
Momente zu starker Steigerung zusammen zu schließen, und so wenig als mög¬
lich die schmückenden Reflexionen, Vergleiche, Bilder ins Breite auszuführen.
Denn während sie der Sprache Fülle g/ben. verdecken sie nur zu gern Flüch¬
tigkeit und Armuth der poetischen Empfindung. Wenn überall dem drama-
ti-schen Dichter genaues, immerwährendes Studium der Natur unentbehrlich


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[0198] verlaufen, Dem Publicum kann auch die genialste Kraft des Dichters und Darstellers das beredte Schweigen und die schönsten, geheimen Schwingungen der Leidenschaft nur durch einen größern Apparat ersetzen. Beide müssen gerade hier eine Reichlichkeit der Production von Wort und Mimik anwenden, die in der Natur unwahrscheinlich ist. Es ist von hohem Interesse, die größten Liebesscenen, welche wir haben, mit einander zu vergleichen, die drei Scenen im Romeo auf dem Maskenfest und beim Bcilcon vor und nach der Brautnacht; und die Scene Gretchens im Garten. In de.r ersten Romeo-Scene hat der Dichter der Kunst des Darstellers die höchsten Aufgaben gestellt, in ihr ist die Sprache der beginnenden Leiden¬ schaft so wundervoll abgebrochen und kurz, hinter dem artigen Redenspiei. das zu Shakespeares Zeit der guten Gesellschaft geläufig war. scheint das aufglühende Gefühl nur in Blitzen durch. Wol empfand der Dichter, wie sehr darauf ein vollerer Ausdruck Noth thue. Die Balconscene ist immer für ein Meister¬ stück der Poesie gehalten worden, aber wenn man die hohen Schönheiten ihrer Verse sich analysirt, wird man vielleicht überrascht sein, wie wortreich und souverän genießend die Seelen der Liebenden schon mit ihrem leidenschaftlichen Gefühl zu spielen wissen. Für die Morgenscene ist die Idee alter Minne- und Volkslieder — „der Wächterlieder" — in reizender Weise verwerthet. Schöne Worte, zierliche Vergleiche sind in den ersten gehäuft, die Gefühle, welche in solcher Situation aus zwei jungen liebenden Herzen herausbrechen, sind so kunst¬ voll verziert und mit ausgeführten Bildern geschmückt, daß wir zuweilen die Kunst als künstlich empfinden. Auch Goethe hat in seiner schönsten Liebesscene volksthümliche Erinnerungen poetisch verwerthet; er hat die Liebeserklärung in seiner Weise aus kleinen epischen und lyrischen Momenten zusammengesetzt, die er — doch nicht ganz günstig für eine große Wirkung — durch den schneidenden Gegensatz Martha und Mephisto unterbricht. Auch der Umstand erinnert an den großen lyrischen Dichter, daß Faust darin zurücktritt und die Scenen nicht viel Anderes sind, als Monologe Gretchens. Aber jede der drei kleinen Scenen, ans denen sich das Bild zusammensetzt, ist von wunderbarer Schönheit durch die Einfachheit und den knappen Ausdruck der Empfindung. Dats man gegenüber solchen Schwierigkeiten, welche der Ausdruck hoher Leidenschaft im Drama darbietet, dem jungen Dichter rathen, so wird ihm das Beste sein, so dctaillirend und realistisch als sein Talent erlaubt, die einzelnen Momente zu starker Steigerung zusammen zu schließen, und so wenig als mög¬ lich die schmückenden Reflexionen, Vergleiche, Bilder ins Breite auszuführen. Denn während sie der Sprache Fülle g/ben. verdecken sie nur zu gern Flüch¬ tigkeit und Armuth der poetischen Empfindung. Wenn überall dem drama- ti-schen Dichter genaues, immerwährendes Studium der Natur unentbehrlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/198>, abgerufen am 22.07.2024.