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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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und Macdonald im Wallenstein, während Butler in demselben Stück wieder
als Muster gelten kann, wie ein Charakter, dessen thätiges Eingreifen für den
letzten Theil des Stückes ausgespart ist, als Theilnehmer der Handlung durch
die ersten Theile nicht geschleppt, sondern durch seine inneren Wandlungen
verflochten wird. Shakespeare liebt es nicht, neuen Rollen im zweiten Theil
der Tragödien einen wesentlichen Antheil an der Handlung einzuräumen, nur
selten hat er sie mit Liebe behandelt, wie den Todtengrüber im Hamlet, allenfalls
noch den Apotheker in Romeo, aber nicht immer gönnt er ihnen die Sorg¬
falt, welche sie zu beanspruchen haben, so ist sein Octavius im Cäsar eine
uninteressante Gestalt, die Scene der Lady Macduff im Macbeth eine nicht
nachzuahmende Episode. -- Endlich wird sich der ungeübte Bühnendichter hüten,
wenn er Andere über seinen Helden sprechen lassen muß, großen Werth auf
solche Erläuterung des Charakters zu legen, er wird auch den Helden selbst
nur wo es durchaus charakteristisch ist, ein Urtheil über sich selbst abgeben
lassen, denn Alles, was Andere von einer Person sagen, ja auch was sie selbst
von sich sagt, hat im Drama geringes Gewicht gegen das, was man in
ihr werden sieht, im Gegenspiele gegen Andere, im Zusammenhange der
Handlung. Ja. es mag tödtlich wirken, wenn der eifrige Dichter seine Hel¬
den als erhaben, als lustig, als klug empfiehlt, während ihnen in dem Stücke
selbst trotz dem Wunsche des Dichters nicht immer vergönnt wird, sich so zu
erweisen.

Die Charaktere des Dramas dürfen nur diejenigen Seiten der mensch¬
lichen Natur zeigen, durch welche die Handlung erklärt und motivirt wird.
-- Kein Geiziger, kein Heuchler ist immer geizig, immer falsch, kein Bö¬
sewicht verräth seine niederträchtige Seele bei jeder That, welche er be¬
geht; Niemand handelt immer consequent, unendlich vielfach sind die Ge¬
danken, welche in der Menschenseele gegen einander kämpfen, die verschiedenen
Richtungen, in welchen sich Geist, Gemüth, Willenskraft ausdrücken. Das
Drama aber, wie jedes Kunstgebilde, hat nicht das Recht, aus der Summe der
Lebensäußerungen eines Menschen mit Freiheit auszuwählen und zusammen
zu stellen; nur was der Idee und Handlung dient, gehört der Kunst. Der Hand¬
lung aber werden nur solche gewählte Momente in den Charakteren dienen, welche
als zusammengehörig leicht verständlich sind. Richard der Dritte von England war
ein blutiger und rücksichtsloser Tyrann, er war es aber durchaus nicht immer,
nicht gegen Jeden, wie sich ja von selbst versteht; er war außerdem ein
staatskluger Fürst, und es ist möglich, daß seine Negierung dem Geschicht¬
schreiber nach vielen Richtungen ein Segen für England.war. Wenn ein
Dichter sich die Aufgabe stellt, die blutige Härte und Falschheit einer souve¬
ränen, menschcnverachtendcn Heldennatur in diesem Charakter verkörpert zu
zeigen, so versteht sich von selbst, daß er Züge von Wohlwollen, vielleicht von


und Macdonald im Wallenstein, während Butler in demselben Stück wieder
als Muster gelten kann, wie ein Charakter, dessen thätiges Eingreifen für den
letzten Theil des Stückes ausgespart ist, als Theilnehmer der Handlung durch
die ersten Theile nicht geschleppt, sondern durch seine inneren Wandlungen
verflochten wird. Shakespeare liebt es nicht, neuen Rollen im zweiten Theil
der Tragödien einen wesentlichen Antheil an der Handlung einzuräumen, nur
selten hat er sie mit Liebe behandelt, wie den Todtengrüber im Hamlet, allenfalls
noch den Apotheker in Romeo, aber nicht immer gönnt er ihnen die Sorg¬
falt, welche sie zu beanspruchen haben, so ist sein Octavius im Cäsar eine
uninteressante Gestalt, die Scene der Lady Macduff im Macbeth eine nicht
nachzuahmende Episode. — Endlich wird sich der ungeübte Bühnendichter hüten,
wenn er Andere über seinen Helden sprechen lassen muß, großen Werth auf
solche Erläuterung des Charakters zu legen, er wird auch den Helden selbst
nur wo es durchaus charakteristisch ist, ein Urtheil über sich selbst abgeben
lassen, denn Alles, was Andere von einer Person sagen, ja auch was sie selbst
von sich sagt, hat im Drama geringes Gewicht gegen das, was man in
ihr werden sieht, im Gegenspiele gegen Andere, im Zusammenhange der
Handlung. Ja. es mag tödtlich wirken, wenn der eifrige Dichter seine Hel¬
den als erhaben, als lustig, als klug empfiehlt, während ihnen in dem Stücke
selbst trotz dem Wunsche des Dichters nicht immer vergönnt wird, sich so zu
erweisen.

Die Charaktere des Dramas dürfen nur diejenigen Seiten der mensch¬
lichen Natur zeigen, durch welche die Handlung erklärt und motivirt wird.
— Kein Geiziger, kein Heuchler ist immer geizig, immer falsch, kein Bö¬
sewicht verräth seine niederträchtige Seele bei jeder That, welche er be¬
geht; Niemand handelt immer consequent, unendlich vielfach sind die Ge¬
danken, welche in der Menschenseele gegen einander kämpfen, die verschiedenen
Richtungen, in welchen sich Geist, Gemüth, Willenskraft ausdrücken. Das
Drama aber, wie jedes Kunstgebilde, hat nicht das Recht, aus der Summe der
Lebensäußerungen eines Menschen mit Freiheit auszuwählen und zusammen
zu stellen; nur was der Idee und Handlung dient, gehört der Kunst. Der Hand¬
lung aber werden nur solche gewählte Momente in den Charakteren dienen, welche
als zusammengehörig leicht verständlich sind. Richard der Dritte von England war
ein blutiger und rücksichtsloser Tyrann, er war es aber durchaus nicht immer,
nicht gegen Jeden, wie sich ja von selbst versteht; er war außerdem ein
staatskluger Fürst, und es ist möglich, daß seine Negierung dem Geschicht¬
schreiber nach vielen Richtungen ein Segen für England.war. Wenn ein
Dichter sich die Aufgabe stellt, die blutige Härte und Falschheit einer souve¬
ränen, menschcnverachtendcn Heldennatur in diesem Charakter verkörpert zu
zeigen, so versteht sich von selbst, daß er Züge von Wohlwollen, vielleicht von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/192>, abgerufen am 22.07.2024.