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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Hexengegcnd, Hamlet als schwermüthigen Träumer in der Hofscene nach dem
nächtlichen Zusammenstoß der - Wachen mit dem Geist, Othellos Gewaltthat
in stürmischer Nachtscene und gleich darauf die schöne Darlegung seiner biedern
Feldherrnnatur. Sehr charakteristisch ist der Anfang Richard des Dritten. Dieses
Stück ist mehr auf einen Charakter geschrieben, als irgend eine Tragödie, alle andern
Gestalten sind nur Nebenrollen, und da ist es sehr schön, wie der Dichter die
souveräne Herrschaft dieses Charakters schon dadurch andeutet, daß er ihn allein auf¬
treten und in der Einleitungsscene sich selbst nach so vielen Richtungen expliciren
läßt, daß diese Scene voll dramatischer Bewegung ein ewiges Muster glänzender
Introduction sein wird. Es ist kein Zufall, daß Goethes Helden: Faust
(beide Theile), Iphigenia, sogar Götz sich durch einen Monolog einführen oder
>n ruhigem Gespräch, wie Tasso, Clavigo. -- Cgmont tritt erst im zweiten Act
auf. Lessing folgt noch der alten Gewohnheit seiner Bühne, die Helden durch
ihre Vertrauten einzuführen; aber Schiller legt wieder größeres Gewicht auf
charakteristische Anfänge, so ist in Maria Stuart der Streit um die geraubten
Papiere schön erfunden, nicht nur als Prolog zu der Gesammthandluug. auch
zu dem ersten Aussprechen der Heldin; so in Teil die charakteristische Rettung
Baumgartens, in der Jungfrau das Auftreten der Heldin im hohen Rath*), ebenso
des Demetrius im Reichstag. In der Trilogie des Wallenstein wird das We¬
sen des Helden durch das Lager und Act I der Piccolomini zuerst in Zahl¬
zeichen Reflexen glänzend dargestellt. Wallenstein selbst aber erscheint durch
den Astrologen kurz eingeleitet, im Kreise seiner Familie und der Vertrauten,
eins dem er während des ganzen Stückes mir selten heraustritt.

Der zweite Theil des Stückes, die Umkehr, in welchem die gestörte Welt
des Helden gegen das befangene Wollen desselben ihren zuletzt siegreichen
Kampf beginnt, macht oft die Einführung neuer Rollen nothwendig. Solche
Rollen verlangen eine.besondere Behandlung. Der Zuschauer, bereits mit
einer großen Anzahl von Eindrücken angefüllt, in stark erregter Spannung,
'se geneigt, die Führung der Handlung durch neue Personen mit Mißtrauen
SU betrachten, der Dichter muß sich hüten zu zerstreuen oder ungeduldig zu
wachen. Deshalb bedürfen die Charaktere der Umkehr eine reichere Ausstat¬
tung, interessante Einführung, wirksamstes Detail in knapper Behandlung. Um
zu vermeiden, daß sie als Episoden erscheinen, muß der Antheil, welchen sie
"n der Handlung selbst nehmen, kräftig und eindringlich gemacht werden,
klingt das dem Dichter, so mögen grade solche Nebenrollen ein willkommener
Schmuck des Drama's werden, Licblingsausgabcn selbst für große Schau¬
spieler. Bekannte Beispiele vortrefflicher Ausführung sind: Riccaut in Minna
Barnhelm; Wrangel und der schwedische Hauptmann, ferner Deveroux



') Vom Prolog, der die durch ihn bezweckte Wirkung, -- die Jungfrau menschlich näher
SU rücken - doch nicht erfüllt, so wenig er entbehrt werden kann, ist hier abgesehen.

Hexengegcnd, Hamlet als schwermüthigen Träumer in der Hofscene nach dem
nächtlichen Zusammenstoß der - Wachen mit dem Geist, Othellos Gewaltthat
in stürmischer Nachtscene und gleich darauf die schöne Darlegung seiner biedern
Feldherrnnatur. Sehr charakteristisch ist der Anfang Richard des Dritten. Dieses
Stück ist mehr auf einen Charakter geschrieben, als irgend eine Tragödie, alle andern
Gestalten sind nur Nebenrollen, und da ist es sehr schön, wie der Dichter die
souveräne Herrschaft dieses Charakters schon dadurch andeutet, daß er ihn allein auf¬
treten und in der Einleitungsscene sich selbst nach so vielen Richtungen expliciren
läßt, daß diese Scene voll dramatischer Bewegung ein ewiges Muster glänzender
Introduction sein wird. Es ist kein Zufall, daß Goethes Helden: Faust
(beide Theile), Iphigenia, sogar Götz sich durch einen Monolog einführen oder
>n ruhigem Gespräch, wie Tasso, Clavigo. — Cgmont tritt erst im zweiten Act
auf. Lessing folgt noch der alten Gewohnheit seiner Bühne, die Helden durch
ihre Vertrauten einzuführen; aber Schiller legt wieder größeres Gewicht auf
charakteristische Anfänge, so ist in Maria Stuart der Streit um die geraubten
Papiere schön erfunden, nicht nur als Prolog zu der Gesammthandluug. auch
zu dem ersten Aussprechen der Heldin; so in Teil die charakteristische Rettung
Baumgartens, in der Jungfrau das Auftreten der Heldin im hohen Rath*), ebenso
des Demetrius im Reichstag. In der Trilogie des Wallenstein wird das We¬
sen des Helden durch das Lager und Act I der Piccolomini zuerst in Zahl¬
zeichen Reflexen glänzend dargestellt. Wallenstein selbst aber erscheint durch
den Astrologen kurz eingeleitet, im Kreise seiner Familie und der Vertrauten,
eins dem er während des ganzen Stückes mir selten heraustritt.

Der zweite Theil des Stückes, die Umkehr, in welchem die gestörte Welt
des Helden gegen das befangene Wollen desselben ihren zuletzt siegreichen
Kampf beginnt, macht oft die Einführung neuer Rollen nothwendig. Solche
Rollen verlangen eine.besondere Behandlung. Der Zuschauer, bereits mit
einer großen Anzahl von Eindrücken angefüllt, in stark erregter Spannung,
'se geneigt, die Führung der Handlung durch neue Personen mit Mißtrauen
SU betrachten, der Dichter muß sich hüten zu zerstreuen oder ungeduldig zu
wachen. Deshalb bedürfen die Charaktere der Umkehr eine reichere Ausstat¬
tung, interessante Einführung, wirksamstes Detail in knapper Behandlung. Um
zu vermeiden, daß sie als Episoden erscheinen, muß der Antheil, welchen sie
"n der Handlung selbst nehmen, kräftig und eindringlich gemacht werden,
klingt das dem Dichter, so mögen grade solche Nebenrollen ein willkommener
Schmuck des Drama's werden, Licblingsausgabcn selbst für große Schau¬
spieler. Bekannte Beispiele vortrefflicher Ausführung sind: Riccaut in Minna
Barnhelm; Wrangel und der schwedische Hauptmann, ferner Deveroux



') Vom Prolog, der die durch ihn bezweckte Wirkung, — die Jungfrau menschlich näher
SU rücken - doch nicht erfüllt, so wenig er entbehrt werden kann, ist hier abgesehen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/191>, abgerufen am 22.07.2024.