Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

fehlen und ebenso wenig an Waffen, da deren in den letzten sechs Jahren
sehr viele in diese Länder eingeschmuggelt worden sind. Die Gründung eines
bulgarischen Staates ist ein Unding. Das Volk müßte sich im Norden und
Osten den Serben, im Süden den Griechen anschließen.

Von Charakter schon kräftiger, dann aber auch reifer zum Anschluß an
eine revolutionäre Erhebung sind die Bosnier. Es gibt hier fast eb.ensoviele
Katholiken als Orthodoxe, und wegen dieser Getheiltheit in Betreff des Be¬
kenntnisses hatten die russischen Consuln Hilfcrding und Schulepnikoff mit ihren
Agitationen einen ziemlich harten Stand, indem die ziemlich zahlreichen
Franziskaner für Oestreich wühlten und den Consuln dieser Macht, den Herren
Atanaskvwitsch und Nößler als, Sendboten und Kundschafter gute Dienste
leisteten. Der jetzige k. k. Generalconsul in Bosnien, Conte Giorgi, ist der¬
selbe, der beim Sturz des serbischen Fürsten Alexander Karageorgewitsch in
Belgrad fungirte und dort keine besonders glänzende Befähigung entwickelte.

Die Hauptrolle bei der Revolutionirung der illyrischen Halbinsel würden
Serbien und Montenegro spielen, die wir deshalb genauer betrachten werden.

Seit mehr als dreißig Jahren im Besitz von Freiheiten, die es fast ganz
unabhängig von der Pforte machen, hat sich das zwar gebirgige, aber in
seinen Thälern fruchtbare Serbien, in welchem etwa eine Million Menschen
(darunter ungefähr 120,000 Rumänen) wohnen, in der Cultur bedeutend ge¬
hoben. Bis 1838 von Milosch in patriarchalisch willkürlicher Weise regiert,
erhielt es in diesem Jahre eine Verfassung (Ustav), die als Schutz gegen- die
selbstsüchtigen Gelüste des Fürsten dienen sollte und, als er sich nicht an sie
kehrte, seinen Sturz veranlaßte. Er abdicirte zu Gunsten seines Sohnes
Milan. Diesem folgte, als er schon nach drei Wochen starb, sein Bruder Mi¬
chael. Auch dieser machte sich, namentlich durch die üble Wahl seiner Räthe,
verhaßt, und so wurde er 1842 vertrieben und Alexander, der Sohn des
Schwarzen Georg, zum Fürsten gewühlt. Unter letzterem, der ein schwacher,
ziemlich selbstsüchtiger, fremden, namentlich östreichischen Einflüssen zugänglicher
Charakter war, aber doch Sinn für Reformen besaß, begann die geregelte
innere Entwickelung des Landes. Gesetze, den östreichischen nachgebildet, wur¬
den erlassen, die Finanzverwaltung geordnet, die ganze Administration den
Zeitverhältnissen gemäß eingerichtet. Man gründete Volksschulen, Gymnasien,
eine Handelsschule und ein Lyceum mit einer juristischen und einer natur¬
historischen Facultät. Ein Straßennetz wurde angelegt, und wenn die Denkschrift
nicht zu viel behauptet (was ihr bisweilen zu Passiren scheint), so hätte Ser¬
bien jetzt schon über 400 Stunden recht guter Chausseen. Städte und Dör¬
fer sind, wenn auch noch immer gemischt mit Häusern von unordentlicher
türkischer Bauart, doch recht freundlich und wohnlich.

Indem das Volk sich aus der Barbarei erhob, Bildung sich verbreitete


fehlen und ebenso wenig an Waffen, da deren in den letzten sechs Jahren
sehr viele in diese Länder eingeschmuggelt worden sind. Die Gründung eines
bulgarischen Staates ist ein Unding. Das Volk müßte sich im Norden und
Osten den Serben, im Süden den Griechen anschließen.

Von Charakter schon kräftiger, dann aber auch reifer zum Anschluß an
eine revolutionäre Erhebung sind die Bosnier. Es gibt hier fast eb.ensoviele
Katholiken als Orthodoxe, und wegen dieser Getheiltheit in Betreff des Be¬
kenntnisses hatten die russischen Consuln Hilfcrding und Schulepnikoff mit ihren
Agitationen einen ziemlich harten Stand, indem die ziemlich zahlreichen
Franziskaner für Oestreich wühlten und den Consuln dieser Macht, den Herren
Atanaskvwitsch und Nößler als, Sendboten und Kundschafter gute Dienste
leisteten. Der jetzige k. k. Generalconsul in Bosnien, Conte Giorgi, ist der¬
selbe, der beim Sturz des serbischen Fürsten Alexander Karageorgewitsch in
Belgrad fungirte und dort keine besonders glänzende Befähigung entwickelte.

Die Hauptrolle bei der Revolutionirung der illyrischen Halbinsel würden
Serbien und Montenegro spielen, die wir deshalb genauer betrachten werden.

Seit mehr als dreißig Jahren im Besitz von Freiheiten, die es fast ganz
unabhängig von der Pforte machen, hat sich das zwar gebirgige, aber in
seinen Thälern fruchtbare Serbien, in welchem etwa eine Million Menschen
(darunter ungefähr 120,000 Rumänen) wohnen, in der Cultur bedeutend ge¬
hoben. Bis 1838 von Milosch in patriarchalisch willkürlicher Weise regiert,
erhielt es in diesem Jahre eine Verfassung (Ustav), die als Schutz gegen- die
selbstsüchtigen Gelüste des Fürsten dienen sollte und, als er sich nicht an sie
kehrte, seinen Sturz veranlaßte. Er abdicirte zu Gunsten seines Sohnes
Milan. Diesem folgte, als er schon nach drei Wochen starb, sein Bruder Mi¬
chael. Auch dieser machte sich, namentlich durch die üble Wahl seiner Räthe,
verhaßt, und so wurde er 1842 vertrieben und Alexander, der Sohn des
Schwarzen Georg, zum Fürsten gewühlt. Unter letzterem, der ein schwacher,
ziemlich selbstsüchtiger, fremden, namentlich östreichischen Einflüssen zugänglicher
Charakter war, aber doch Sinn für Reformen besaß, begann die geregelte
innere Entwickelung des Landes. Gesetze, den östreichischen nachgebildet, wur¬
den erlassen, die Finanzverwaltung geordnet, die ganze Administration den
Zeitverhältnissen gemäß eingerichtet. Man gründete Volksschulen, Gymnasien,
eine Handelsschule und ein Lyceum mit einer juristischen und einer natur¬
historischen Facultät. Ein Straßennetz wurde angelegt, und wenn die Denkschrift
nicht zu viel behauptet (was ihr bisweilen zu Passiren scheint), so hätte Ser¬
bien jetzt schon über 400 Stunden recht guter Chausseen. Städte und Dör¬
fer sind, wenn auch noch immer gemischt mit Häusern von unordentlicher
türkischer Bauart, doch recht freundlich und wohnlich.

Indem das Volk sich aus der Barbarei erhob, Bildung sich verbreitete


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0138" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111570"/>
            <p xml:id="ID_433" prev="#ID_432"> fehlen und ebenso wenig an Waffen, da deren in den letzten sechs Jahren<lb/>
sehr viele in diese Länder eingeschmuggelt worden sind. Die Gründung eines<lb/>
bulgarischen Staates ist ein Unding. Das Volk müßte sich im Norden und<lb/>
Osten den Serben, im Süden den Griechen anschließen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_434"> Von Charakter schon kräftiger, dann aber auch reifer zum Anschluß an<lb/>
eine revolutionäre Erhebung sind die Bosnier. Es gibt hier fast eb.ensoviele<lb/>
Katholiken als Orthodoxe, und wegen dieser Getheiltheit in Betreff des Be¬<lb/>
kenntnisses hatten die russischen Consuln Hilfcrding und Schulepnikoff mit ihren<lb/>
Agitationen einen ziemlich harten Stand, indem die ziemlich zahlreichen<lb/>
Franziskaner für Oestreich wühlten und den Consuln dieser Macht, den Herren<lb/>
Atanaskvwitsch und Nößler als, Sendboten und Kundschafter gute Dienste<lb/>
leisteten. Der jetzige k. k. Generalconsul in Bosnien, Conte Giorgi, ist der¬<lb/>
selbe, der beim Sturz des serbischen Fürsten Alexander Karageorgewitsch in<lb/>
Belgrad fungirte und dort keine besonders glänzende Befähigung entwickelte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_435"> Die Hauptrolle bei der Revolutionirung der illyrischen Halbinsel würden<lb/>
Serbien und Montenegro spielen, die wir deshalb genauer betrachten werden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_436"> Seit mehr als dreißig Jahren im Besitz von Freiheiten, die es fast ganz<lb/>
unabhängig von der Pforte machen, hat sich das zwar gebirgige, aber in<lb/>
seinen Thälern fruchtbare Serbien, in welchem etwa eine Million Menschen<lb/>
(darunter ungefähr 120,000 Rumänen) wohnen, in der Cultur bedeutend ge¬<lb/>
hoben. Bis 1838 von Milosch in patriarchalisch willkürlicher Weise regiert,<lb/>
erhielt es in diesem Jahre eine Verfassung (Ustav), die als Schutz gegen- die<lb/>
selbstsüchtigen Gelüste des Fürsten dienen sollte und, als er sich nicht an sie<lb/>
kehrte, seinen Sturz veranlaßte. Er abdicirte zu Gunsten seines Sohnes<lb/>
Milan. Diesem folgte, als er schon nach drei Wochen starb, sein Bruder Mi¬<lb/>
chael. Auch dieser machte sich, namentlich durch die üble Wahl seiner Räthe,<lb/>
verhaßt, und so wurde er 1842 vertrieben und Alexander, der Sohn des<lb/>
Schwarzen Georg, zum Fürsten gewühlt. Unter letzterem, der ein schwacher,<lb/>
ziemlich selbstsüchtiger, fremden, namentlich östreichischen Einflüssen zugänglicher<lb/>
Charakter war, aber doch Sinn für Reformen besaß, begann die geregelte<lb/>
innere Entwickelung des Landes. Gesetze, den östreichischen nachgebildet, wur¬<lb/>
den erlassen, die Finanzverwaltung geordnet, die ganze Administration den<lb/>
Zeitverhältnissen gemäß eingerichtet. Man gründete Volksschulen, Gymnasien,<lb/>
eine Handelsschule und ein Lyceum mit einer juristischen und einer natur¬<lb/>
historischen Facultät. Ein Straßennetz wurde angelegt, und wenn die Denkschrift<lb/>
nicht zu viel behauptet (was ihr bisweilen zu Passiren scheint), so hätte Ser¬<lb/>
bien jetzt schon über 400 Stunden recht guter Chausseen. Städte und Dör¬<lb/>
fer sind, wenn auch noch immer gemischt mit Häusern von unordentlicher<lb/>
türkischer Bauart, doch recht freundlich und wohnlich.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_437" next="#ID_438"> Indem das Volk sich aus der Barbarei erhob, Bildung sich verbreitete</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0138] fehlen und ebenso wenig an Waffen, da deren in den letzten sechs Jahren sehr viele in diese Länder eingeschmuggelt worden sind. Die Gründung eines bulgarischen Staates ist ein Unding. Das Volk müßte sich im Norden und Osten den Serben, im Süden den Griechen anschließen. Von Charakter schon kräftiger, dann aber auch reifer zum Anschluß an eine revolutionäre Erhebung sind die Bosnier. Es gibt hier fast eb.ensoviele Katholiken als Orthodoxe, und wegen dieser Getheiltheit in Betreff des Be¬ kenntnisses hatten die russischen Consuln Hilfcrding und Schulepnikoff mit ihren Agitationen einen ziemlich harten Stand, indem die ziemlich zahlreichen Franziskaner für Oestreich wühlten und den Consuln dieser Macht, den Herren Atanaskvwitsch und Nößler als, Sendboten und Kundschafter gute Dienste leisteten. Der jetzige k. k. Generalconsul in Bosnien, Conte Giorgi, ist der¬ selbe, der beim Sturz des serbischen Fürsten Alexander Karageorgewitsch in Belgrad fungirte und dort keine besonders glänzende Befähigung entwickelte. Die Hauptrolle bei der Revolutionirung der illyrischen Halbinsel würden Serbien und Montenegro spielen, die wir deshalb genauer betrachten werden. Seit mehr als dreißig Jahren im Besitz von Freiheiten, die es fast ganz unabhängig von der Pforte machen, hat sich das zwar gebirgige, aber in seinen Thälern fruchtbare Serbien, in welchem etwa eine Million Menschen (darunter ungefähr 120,000 Rumänen) wohnen, in der Cultur bedeutend ge¬ hoben. Bis 1838 von Milosch in patriarchalisch willkürlicher Weise regiert, erhielt es in diesem Jahre eine Verfassung (Ustav), die als Schutz gegen- die selbstsüchtigen Gelüste des Fürsten dienen sollte und, als er sich nicht an sie kehrte, seinen Sturz veranlaßte. Er abdicirte zu Gunsten seines Sohnes Milan. Diesem folgte, als er schon nach drei Wochen starb, sein Bruder Mi¬ chael. Auch dieser machte sich, namentlich durch die üble Wahl seiner Räthe, verhaßt, und so wurde er 1842 vertrieben und Alexander, der Sohn des Schwarzen Georg, zum Fürsten gewühlt. Unter letzterem, der ein schwacher, ziemlich selbstsüchtiger, fremden, namentlich östreichischen Einflüssen zugänglicher Charakter war, aber doch Sinn für Reformen besaß, begann die geregelte innere Entwickelung des Landes. Gesetze, den östreichischen nachgebildet, wur¬ den erlassen, die Finanzverwaltung geordnet, die ganze Administration den Zeitverhältnissen gemäß eingerichtet. Man gründete Volksschulen, Gymnasien, eine Handelsschule und ein Lyceum mit einer juristischen und einer natur¬ historischen Facultät. Ein Straßennetz wurde angelegt, und wenn die Denkschrift nicht zu viel behauptet (was ihr bisweilen zu Passiren scheint), so hätte Ser¬ bien jetzt schon über 400 Stunden recht guter Chausseen. Städte und Dör¬ fer sind, wenn auch noch immer gemischt mit Häusern von unordentlicher türkischer Bauart, doch recht freundlich und wohnlich. Indem das Volk sich aus der Barbarei erhob, Bildung sich verbreitete

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/138
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/138>, abgerufen am 27.09.2024.