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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Wort, der Bittende zu sein. Der Drohende oder der Bittende, gleichviel!
ich kann, als der Stärkere, den Schwächeren auch zu Drohungen nöthigen,
ihn nöthigen, mir Gewalt anzuthun!

Und das ist der Grund, warum diese Schriftstücke in der That einen
höchst peinlichen Eindruck auf uns machen; das ist der Punkt, in dem wir
vollständig mit Ouro Klopp Harmoniren. Es ist eine societ-gs leonius.,
und der Löwe gibt sich den Anschein, daß sie nicht von ihm ausgeht! --
Sollte einmal die geheime Korrespondenz zwischen Napoleon und Victor Ema-
nuel der Nachwelt vorgelegt werden, so wird der Eindruck auch kein erbaulicher
sein. -- Deshalb wird die Nachwelt doch über den ersten König von Italien
nicht den Stab brechen.

Werfen wir die Urkunden bei Seite und sehen wir auf die Sache. --
Wir sitzen als Jury; der formale Beweis hat nicht ausgereicht, wir sollen
nach moralischer Ueberzeugung sprechen. -- Wer ist schuldig, die erste Theilung
Polens gewollt zu haben? -- Ohne Zögern antworten wir: Friedrich!

Mehr als alle Documente spricht für Smitt's Ansicht, was er II. S. 45
von Nußland bemerkt: Clever clef xreteutious g. urnz xortiou xgrtieuMrö
xour soi, -- on u'v peu8g.it xg.s; ne Z0uverug.it.-on xg.s le tout iuclireete-
ineut? -- Aehnlich drückte sich Graf Nesselrode vor 5 Jahren über die
Zerstückelung der Türkei aus; damit ist freilich noch nicht bewiesen, daß man
sie nicht stückweise einverleiben wollte. Nicolaus der Erste beherrschte die
Türkei indirect, deshalb bemühte er sich doch, sie Stück für Stück seinem
Reich einzuverleiben; Katharina beherrschte Polen indirect; deshalb konnte sie
doch darauf denken, die directe Einverleibung allmälig zu beginnen. Darauf
aber konnte sie nicht denken, freiwillig Preußen einen Antheil zu lassen: wenn
sie sich dazu verstand, so mußten sehr dringende Umstände obwalten.

Dagegen Friedrich! -- Wenn man von der Theilung Polens redet, so
malt man sich ein unglückliches Volk aus, das man gegen allen sittlichen Zu¬
sammenhang zerfetzte und fremden Tyrannen unterwarf. -- Das paßt aber
nicht im Mindesten auf den Antheil Preußens an der erstem Theilung
Polens. -- Was Preußen 1772 von Polen erwarb, war Westpreußen, und
dieses nicht einmal ganz -- d. h. ein deutsches, von den Polen erobertes
und im Sinn polnisch - jesuitischer Propaganda schmählich unterdrücktes Land.
Wenn Preußen diesen seinen alten Besitz nicht wiedererobcrte, so war Ostpreußen
im Lauf der Zeit mit Nothwendigkeit gleichfalls verloren, eine Beute der Po¬
len oder der Russen. Diese herrliche deutsche Kolonie war im 15. und 16.
Jahrhundert von Kaiser und Reich schmählich an die Polen verrothen. Kai¬
ser und Reich konnten nicht helfen. Oestreich that Alles, was in seinen Kräf¬
ten stand, um eine Verstärkung seines Rivalen zu hindern. Preußen mußte
also jede Combination benutzen, um -- durch Erweiterung -- existiren zu


Wort, der Bittende zu sein. Der Drohende oder der Bittende, gleichviel!
ich kann, als der Stärkere, den Schwächeren auch zu Drohungen nöthigen,
ihn nöthigen, mir Gewalt anzuthun!

Und das ist der Grund, warum diese Schriftstücke in der That einen
höchst peinlichen Eindruck auf uns machen; das ist der Punkt, in dem wir
vollständig mit Ouro Klopp Harmoniren. Es ist eine societ-gs leonius.,
und der Löwe gibt sich den Anschein, daß sie nicht von ihm ausgeht! —
Sollte einmal die geheime Korrespondenz zwischen Napoleon und Victor Ema-
nuel der Nachwelt vorgelegt werden, so wird der Eindruck auch kein erbaulicher
sein. — Deshalb wird die Nachwelt doch über den ersten König von Italien
nicht den Stab brechen.

Werfen wir die Urkunden bei Seite und sehen wir auf die Sache. —
Wir sitzen als Jury; der formale Beweis hat nicht ausgereicht, wir sollen
nach moralischer Ueberzeugung sprechen. — Wer ist schuldig, die erste Theilung
Polens gewollt zu haben? — Ohne Zögern antworten wir: Friedrich!

Mehr als alle Documente spricht für Smitt's Ansicht, was er II. S. 45
von Nußland bemerkt: Clever clef xreteutious g. urnz xortiou xgrtieuMrö
xour soi, — on u'v peu8g.it xg.s; ne Z0uverug.it.-on xg.s le tout iuclireete-
ineut? — Aehnlich drückte sich Graf Nesselrode vor 5 Jahren über die
Zerstückelung der Türkei aus; damit ist freilich noch nicht bewiesen, daß man
sie nicht stückweise einverleiben wollte. Nicolaus der Erste beherrschte die
Türkei indirect, deshalb bemühte er sich doch, sie Stück für Stück seinem
Reich einzuverleiben; Katharina beherrschte Polen indirect; deshalb konnte sie
doch darauf denken, die directe Einverleibung allmälig zu beginnen. Darauf
aber konnte sie nicht denken, freiwillig Preußen einen Antheil zu lassen: wenn
sie sich dazu verstand, so mußten sehr dringende Umstände obwalten.

Dagegen Friedrich! — Wenn man von der Theilung Polens redet, so
malt man sich ein unglückliches Volk aus, das man gegen allen sittlichen Zu¬
sammenhang zerfetzte und fremden Tyrannen unterwarf. — Das paßt aber
nicht im Mindesten auf den Antheil Preußens an der erstem Theilung
Polens. — Was Preußen 1772 von Polen erwarb, war Westpreußen, und
dieses nicht einmal ganz — d. h. ein deutsches, von den Polen erobertes
und im Sinn polnisch - jesuitischer Propaganda schmählich unterdrücktes Land.
Wenn Preußen diesen seinen alten Besitz nicht wiedererobcrte, so war Ostpreußen
im Lauf der Zeit mit Nothwendigkeit gleichfalls verloren, eine Beute der Po¬
len oder der Russen. Diese herrliche deutsche Kolonie war im 15. und 16.
Jahrhundert von Kaiser und Reich schmählich an die Polen verrothen. Kai¬
ser und Reich konnten nicht helfen. Oestreich that Alles, was in seinen Kräf¬
ten stand, um eine Verstärkung seines Rivalen zu hindern. Preußen mußte
also jede Combination benutzen, um — durch Erweiterung — existiren zu


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[0134] Wort, der Bittende zu sein. Der Drohende oder der Bittende, gleichviel! ich kann, als der Stärkere, den Schwächeren auch zu Drohungen nöthigen, ihn nöthigen, mir Gewalt anzuthun! Und das ist der Grund, warum diese Schriftstücke in der That einen höchst peinlichen Eindruck auf uns machen; das ist der Punkt, in dem wir vollständig mit Ouro Klopp Harmoniren. Es ist eine societ-gs leonius., und der Löwe gibt sich den Anschein, daß sie nicht von ihm ausgeht! — Sollte einmal die geheime Korrespondenz zwischen Napoleon und Victor Ema- nuel der Nachwelt vorgelegt werden, so wird der Eindruck auch kein erbaulicher sein. — Deshalb wird die Nachwelt doch über den ersten König von Italien nicht den Stab brechen. Werfen wir die Urkunden bei Seite und sehen wir auf die Sache. — Wir sitzen als Jury; der formale Beweis hat nicht ausgereicht, wir sollen nach moralischer Ueberzeugung sprechen. — Wer ist schuldig, die erste Theilung Polens gewollt zu haben? — Ohne Zögern antworten wir: Friedrich! Mehr als alle Documente spricht für Smitt's Ansicht, was er II. S. 45 von Nußland bemerkt: Clever clef xreteutious g. urnz xortiou xgrtieuMrö xour soi, — on u'v peu8g.it xg.s; ne Z0uverug.it.-on xg.s le tout iuclireete- ineut? — Aehnlich drückte sich Graf Nesselrode vor 5 Jahren über die Zerstückelung der Türkei aus; damit ist freilich noch nicht bewiesen, daß man sie nicht stückweise einverleiben wollte. Nicolaus der Erste beherrschte die Türkei indirect, deshalb bemühte er sich doch, sie Stück für Stück seinem Reich einzuverleiben; Katharina beherrschte Polen indirect; deshalb konnte sie doch darauf denken, die directe Einverleibung allmälig zu beginnen. Darauf aber konnte sie nicht denken, freiwillig Preußen einen Antheil zu lassen: wenn sie sich dazu verstand, so mußten sehr dringende Umstände obwalten. Dagegen Friedrich! — Wenn man von der Theilung Polens redet, so malt man sich ein unglückliches Volk aus, das man gegen allen sittlichen Zu¬ sammenhang zerfetzte und fremden Tyrannen unterwarf. — Das paßt aber nicht im Mindesten auf den Antheil Preußens an der erstem Theilung Polens. — Was Preußen 1772 von Polen erwarb, war Westpreußen, und dieses nicht einmal ganz — d. h. ein deutsches, von den Polen erobertes und im Sinn polnisch - jesuitischer Propaganda schmählich unterdrücktes Land. Wenn Preußen diesen seinen alten Besitz nicht wiedererobcrte, so war Ostpreußen im Lauf der Zeit mit Nothwendigkeit gleichfalls verloren, eine Beute der Po¬ len oder der Russen. Diese herrliche deutsche Kolonie war im 15. und 16. Jahrhundert von Kaiser und Reich schmählich an die Polen verrothen. Kai¬ ser und Reich konnten nicht helfen. Oestreich that Alles, was in seinen Kräf¬ ten stand, um eine Verstärkung seines Rivalen zu hindern. Preußen mußte also jede Combination benutzen, um — durch Erweiterung — existiren zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/134>, abgerufen am 27.09.2024.