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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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fürstenthümern, in Serbien, an der obern Maritza und in Albanien zahlreich
sind. Man zählt deren in der Moldau etwa 60,000, in der Walachei 130,000.
während in Serbien, Bulgarien und den übrigen Theilen des Reichs vielleicht
200,000 leben. Sie zerfallen in den Fürstenthümern in fünf Klassen: Lingu-,
rari. Lautari, Ursari. Aurari und Netotsi. Die Lingurari sind Holzarbeiter,
die Lautari Musikanten, die Ursari Bärenführer, die Aurari Goldwäscher.
Diese vier Klassen haben alle Merkmale der vier oberen Kasten der Hindu
und sind bis zu einem gewissen Grade civilisirt. während die Netotsi durch
ihren Typus und ihre Erniedrigung (sie schweifen wie Wilde in den Wäldern
umher, leben von Diebstahl, essen unreine Thiere und bestatten ihre Todten
nicht) an die von den Aryas unterjochten tamulischen Völkerstämme Indiens
erinnern.

Dahin gehören ferner die über die ganze Türkei verbreiteten Juden,
die besonders stark in Salonik, wo sie sich großentheils zum Islam bekennen,
in Konstantinopel, in den Donaufürstenthümern, wo ihr Stamm in Adschiut
die Mehrheit der Bewohner bildet, und in Philippopolis vertreten sind. Sie
zerfallen in zwei große Abtheilungen: Aschkenasim, aus Deutschland (woher
der Name), Polen und Siebenbürgen eingewandert, ein verdorbenes Deutsch
sprechend, meist ärmlich und von Kleinhandel, Schenkwirthschaft und Kutscher¬
dienst lebend, und Sephardim, im 15. Jahrhundert aus Spanien gekommen
und ein verkümmertes Spanisch redend. Manche der letztern Klasse sind sehr
wohlhabend, und einige von ihnen üben in der Walachei als Bankiers einen
gewissen Einfluß aus.

Russen wohnen in Bessarabien, wo sie als Ackerbauer gedeihen, in der
Moldau, und in der Dobrudscha. Die in der Moldau angesiedelten sind An¬
hänger der unter dem Namen "Skoptzi" (Selbstverstümmler) bekannten Secte.
Sie treiben meist Handel und stehen im Rufe rechtschaffner und ehrbarer Leute.
Die Moldauer nennen sie Lipoweni. Man erkennt sie leicht an dem slavischen Typus,
der Bartlosigkeit und ihrer Tracht. Nach ihren Satzungen ist ihnen die Ehe
untersagt, sie erhalten sich aber durch stete Zuwanderung. Die Russen in
der Dobrudscha sind aus religiösen Gründen hierher geflüchtet? altgläubige
Kosaken, die an der Donau von Hirsowa bis Dunawctz wohnen und wieder¬
holt der Pforte tapfer gegen ihre ehemaligen Landsleute beigestanden haben.

Von Polen existirt in der Türkei nur eine einzige Colonie, die von Re-
schid Pascha vor fünf Jahren auf seinen Gütern an der Mündung der Salam-
vria gegründet wurde und 70 Familien zählt.

Deutsche finden sich als Kaufleute und Handwerker in starken Colonien
in den serbischen und rumänischen Städten, sowie als Ackerbauer in der
Dobrudscha, wo deren in den Dörfern Malkotschu, Akmedscha und Tekeli etwa
1200 leben. Auch in Konstantinopel gibt es einige tausend'Deutsche. M a-


fürstenthümern, in Serbien, an der obern Maritza und in Albanien zahlreich
sind. Man zählt deren in der Moldau etwa 60,000, in der Walachei 130,000.
während in Serbien, Bulgarien und den übrigen Theilen des Reichs vielleicht
200,000 leben. Sie zerfallen in den Fürstenthümern in fünf Klassen: Lingu-,
rari. Lautari, Ursari. Aurari und Netotsi. Die Lingurari sind Holzarbeiter,
die Lautari Musikanten, die Ursari Bärenführer, die Aurari Goldwäscher.
Diese vier Klassen haben alle Merkmale der vier oberen Kasten der Hindu
und sind bis zu einem gewissen Grade civilisirt. während die Netotsi durch
ihren Typus und ihre Erniedrigung (sie schweifen wie Wilde in den Wäldern
umher, leben von Diebstahl, essen unreine Thiere und bestatten ihre Todten
nicht) an die von den Aryas unterjochten tamulischen Völkerstämme Indiens
erinnern.

Dahin gehören ferner die über die ganze Türkei verbreiteten Juden,
die besonders stark in Salonik, wo sie sich großentheils zum Islam bekennen,
in Konstantinopel, in den Donaufürstenthümern, wo ihr Stamm in Adschiut
die Mehrheit der Bewohner bildet, und in Philippopolis vertreten sind. Sie
zerfallen in zwei große Abtheilungen: Aschkenasim, aus Deutschland (woher
der Name), Polen und Siebenbürgen eingewandert, ein verdorbenes Deutsch
sprechend, meist ärmlich und von Kleinhandel, Schenkwirthschaft und Kutscher¬
dienst lebend, und Sephardim, im 15. Jahrhundert aus Spanien gekommen
und ein verkümmertes Spanisch redend. Manche der letztern Klasse sind sehr
wohlhabend, und einige von ihnen üben in der Walachei als Bankiers einen
gewissen Einfluß aus.

Russen wohnen in Bessarabien, wo sie als Ackerbauer gedeihen, in der
Moldau, und in der Dobrudscha. Die in der Moldau angesiedelten sind An¬
hänger der unter dem Namen „Skoptzi" (Selbstverstümmler) bekannten Secte.
Sie treiben meist Handel und stehen im Rufe rechtschaffner und ehrbarer Leute.
Die Moldauer nennen sie Lipoweni. Man erkennt sie leicht an dem slavischen Typus,
der Bartlosigkeit und ihrer Tracht. Nach ihren Satzungen ist ihnen die Ehe
untersagt, sie erhalten sich aber durch stete Zuwanderung. Die Russen in
der Dobrudscha sind aus religiösen Gründen hierher geflüchtet? altgläubige
Kosaken, die an der Donau von Hirsowa bis Dunawctz wohnen und wieder¬
holt der Pforte tapfer gegen ihre ehemaligen Landsleute beigestanden haben.

Von Polen existirt in der Türkei nur eine einzige Colonie, die von Re-
schid Pascha vor fünf Jahren auf seinen Gütern an der Mündung der Salam-
vria gegründet wurde und 70 Familien zählt.

Deutsche finden sich als Kaufleute und Handwerker in starken Colonien
in den serbischen und rumänischen Städten, sowie als Ackerbauer in der
Dobrudscha, wo deren in den Dörfern Malkotschu, Akmedscha und Tekeli etwa
1200 leben. Auch in Konstantinopel gibt es einige tausend'Deutsche. M a-


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[0126] fürstenthümern, in Serbien, an der obern Maritza und in Albanien zahlreich sind. Man zählt deren in der Moldau etwa 60,000, in der Walachei 130,000. während in Serbien, Bulgarien und den übrigen Theilen des Reichs vielleicht 200,000 leben. Sie zerfallen in den Fürstenthümern in fünf Klassen: Lingu-, rari. Lautari, Ursari. Aurari und Netotsi. Die Lingurari sind Holzarbeiter, die Lautari Musikanten, die Ursari Bärenführer, die Aurari Goldwäscher. Diese vier Klassen haben alle Merkmale der vier oberen Kasten der Hindu und sind bis zu einem gewissen Grade civilisirt. während die Netotsi durch ihren Typus und ihre Erniedrigung (sie schweifen wie Wilde in den Wäldern umher, leben von Diebstahl, essen unreine Thiere und bestatten ihre Todten nicht) an die von den Aryas unterjochten tamulischen Völkerstämme Indiens erinnern. Dahin gehören ferner die über die ganze Türkei verbreiteten Juden, die besonders stark in Salonik, wo sie sich großentheils zum Islam bekennen, in Konstantinopel, in den Donaufürstenthümern, wo ihr Stamm in Adschiut die Mehrheit der Bewohner bildet, und in Philippopolis vertreten sind. Sie zerfallen in zwei große Abtheilungen: Aschkenasim, aus Deutschland (woher der Name), Polen und Siebenbürgen eingewandert, ein verdorbenes Deutsch sprechend, meist ärmlich und von Kleinhandel, Schenkwirthschaft und Kutscher¬ dienst lebend, und Sephardim, im 15. Jahrhundert aus Spanien gekommen und ein verkümmertes Spanisch redend. Manche der letztern Klasse sind sehr wohlhabend, und einige von ihnen üben in der Walachei als Bankiers einen gewissen Einfluß aus. Russen wohnen in Bessarabien, wo sie als Ackerbauer gedeihen, in der Moldau, und in der Dobrudscha. Die in der Moldau angesiedelten sind An¬ hänger der unter dem Namen „Skoptzi" (Selbstverstümmler) bekannten Secte. Sie treiben meist Handel und stehen im Rufe rechtschaffner und ehrbarer Leute. Die Moldauer nennen sie Lipoweni. Man erkennt sie leicht an dem slavischen Typus, der Bartlosigkeit und ihrer Tracht. Nach ihren Satzungen ist ihnen die Ehe untersagt, sie erhalten sich aber durch stete Zuwanderung. Die Russen in der Dobrudscha sind aus religiösen Gründen hierher geflüchtet? altgläubige Kosaken, die an der Donau von Hirsowa bis Dunawctz wohnen und wieder¬ holt der Pforte tapfer gegen ihre ehemaligen Landsleute beigestanden haben. Von Polen existirt in der Türkei nur eine einzige Colonie, die von Re- schid Pascha vor fünf Jahren auf seinen Gütern an der Mündung der Salam- vria gegründet wurde und 70 Familien zählt. Deutsche finden sich als Kaufleute und Handwerker in starken Colonien in den serbischen und rumänischen Städten, sowie als Ackerbauer in der Dobrudscha, wo deren in den Dörfern Malkotschu, Akmedscha und Tekeli etwa 1200 leben. Auch in Konstantinopel gibt es einige tausend'Deutsche. M a-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/126>, abgerufen am 27.09.2024.