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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Wien in der europäischen Türkei ist schwer festzustellen, da die Türken beständig
die Griechen von Geburt und die Bekenner des griechischen Glaubens ver¬
wechseln. Für die wahrscheinlichsten Zahlen hält Lcjean folgende:

Griechen in Konstantin opel und in den Orten am Bosporus 110,000 Seelen
Griechen auf Candia............. 80,000
Griechen in Thessalien, Rumelien und Bulgarien .... 800,000 -
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Dazu kommen in Kleinasien und auf dessen Inseln noch ungefähr 2 Mil¬
lionen, von denen indeß ein großer Theil nur türkisch spricht, in Syrien und
Acgypten noch 60 bis 80,000 und die Bewohner der jonischen Inseln und
des Königreichs Hellas, die zusammen 1'/" Million betragen, so daß die ganze
hellenische Nation jetzt auf etwas mehr als 4'/" Millionen Köpfe geschätzt wer¬
den mag.

Die Skipetaren. Anmuten oder Albaner sind ein illyrischer Stamm mit
eigner Sprache, der allmälig von den Slaven weiter nach Süden gedrängt
wurde und seinerseits die Griechen und deren Sprache bis an den Busen von
Korinth drängte und seine vordersten Abtheilungen sogar bis in den Pelopon-
nes und auf die Cykladen vorschob. Der Fluß Schkum trennt sie in eine
nördliche Abtheilung (Ghegen) und eine südliche (Tosken). Der Religion nach
zerfallen sie in Katholiken. Orthodoxe und Mohammedaner, aber wie viele von
ihnen diesen verschiedenen Bekenntnissen angehören, läßt sich nicht einmal an¬
nähernd bestimmen. Kolonien von ihnen sind über das ganze ottomanische
Reich zerstreut. Voll kriegerischen Sinnes lassen sie sich von den Paschas der
entferntesten Bezirke anwerben; nach einer gewissen Dienstzeit ziehen sie sich
willig in Dörfer zurück, die man ihnen anweist, und so kommt es, daß die
Karte der Türkei eine Menge von Punkten zeigt, welche mit Arnciut Koi oder
Arvanito Chorio bezeichnet sind. In Folge von Aufständen gegen die Rekruten¬
aushebung wurden ferner über 25,000 Arnauten nach Rumelien deportirt.
woher sich der Name der Bergkette Arnaud Planina im Rhodope-Gebirg erklärt.
Bor beinahe zwei Jahrhunderten wanderten die Serben aus dem Becken der
bulgarischen Morawa, der Türkenherrschaft überdrüssig, auf östreichisches Ge¬
biet aus, wo sie rasch gediehen. Das leer gewordene Land wurde mohamme¬
danischen Albanern überlassen: das sind die den Reisenden fast unbekannten
Arnauten von Novobrdo und im Nordwesten von Vranja. Unter den weiter gegen
Norden zerstreuten albanesischen Colonien führt Lejean das schöne Dorf Ar¬
naud Koi bei Tirnowa, das von arnautischen Ackerbauern mit griechischer
Sprache und Religion bewohnt ist, und das Dorf Bolkonesti in Bessarabien
an, welches türkisch oder albanesisch spricht, aber sich zum griechischen Glau¬
ben bekennt. Die Tosken sowie die südlichen Ghegen sind der Pforte voll¬
kommen unterworfen; dagegen erfreuen sich die nördlichen Ghegen einer ge-


Wien in der europäischen Türkei ist schwer festzustellen, da die Türken beständig
die Griechen von Geburt und die Bekenner des griechischen Glaubens ver¬
wechseln. Für die wahrscheinlichsten Zahlen hält Lcjean folgende:

Griechen in Konstantin opel und in den Orten am Bosporus 110,000 Seelen
Griechen auf Candia............. 80,000
Griechen in Thessalien, Rumelien und Bulgarien .... 800,000 -
^0^00^cien7

Dazu kommen in Kleinasien und auf dessen Inseln noch ungefähr 2 Mil¬
lionen, von denen indeß ein großer Theil nur türkisch spricht, in Syrien und
Acgypten noch 60 bis 80,000 und die Bewohner der jonischen Inseln und
des Königreichs Hellas, die zusammen 1'/« Million betragen, so daß die ganze
hellenische Nation jetzt auf etwas mehr als 4'/» Millionen Köpfe geschätzt wer¬
den mag.

Die Skipetaren. Anmuten oder Albaner sind ein illyrischer Stamm mit
eigner Sprache, der allmälig von den Slaven weiter nach Süden gedrängt
wurde und seinerseits die Griechen und deren Sprache bis an den Busen von
Korinth drängte und seine vordersten Abtheilungen sogar bis in den Pelopon-
nes und auf die Cykladen vorschob. Der Fluß Schkum trennt sie in eine
nördliche Abtheilung (Ghegen) und eine südliche (Tosken). Der Religion nach
zerfallen sie in Katholiken. Orthodoxe und Mohammedaner, aber wie viele von
ihnen diesen verschiedenen Bekenntnissen angehören, läßt sich nicht einmal an¬
nähernd bestimmen. Kolonien von ihnen sind über das ganze ottomanische
Reich zerstreut. Voll kriegerischen Sinnes lassen sie sich von den Paschas der
entferntesten Bezirke anwerben; nach einer gewissen Dienstzeit ziehen sie sich
willig in Dörfer zurück, die man ihnen anweist, und so kommt es, daß die
Karte der Türkei eine Menge von Punkten zeigt, welche mit Arnciut Koi oder
Arvanito Chorio bezeichnet sind. In Folge von Aufständen gegen die Rekruten¬
aushebung wurden ferner über 25,000 Arnauten nach Rumelien deportirt.
woher sich der Name der Bergkette Arnaud Planina im Rhodope-Gebirg erklärt.
Bor beinahe zwei Jahrhunderten wanderten die Serben aus dem Becken der
bulgarischen Morawa, der Türkenherrschaft überdrüssig, auf östreichisches Ge¬
biet aus, wo sie rasch gediehen. Das leer gewordene Land wurde mohamme¬
danischen Albanern überlassen: das sind die den Reisenden fast unbekannten
Arnauten von Novobrdo und im Nordwesten von Vranja. Unter den weiter gegen
Norden zerstreuten albanesischen Colonien führt Lejean das schöne Dorf Ar¬
naud Koi bei Tirnowa, das von arnautischen Ackerbauern mit griechischer
Sprache und Religion bewohnt ist, und das Dorf Bolkonesti in Bessarabien
an, welches türkisch oder albanesisch spricht, aber sich zum griechischen Glau¬
ben bekennt. Die Tosken sowie die südlichen Ghegen sind der Pforte voll¬
kommen unterworfen; dagegen erfreuen sich die nördlichen Ghegen einer ge-


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[0124] Wien in der europäischen Türkei ist schwer festzustellen, da die Türken beständig die Griechen von Geburt und die Bekenner des griechischen Glaubens ver¬ wechseln. Für die wahrscheinlichsten Zahlen hält Lcjean folgende: Griechen in Konstantin opel und in den Orten am Bosporus 110,000 Seelen Griechen auf Candia............. 80,000 Griechen in Thessalien, Rumelien und Bulgarien .... 800,000 - ^0^00^cien7 Dazu kommen in Kleinasien und auf dessen Inseln noch ungefähr 2 Mil¬ lionen, von denen indeß ein großer Theil nur türkisch spricht, in Syrien und Acgypten noch 60 bis 80,000 und die Bewohner der jonischen Inseln und des Königreichs Hellas, die zusammen 1'/« Million betragen, so daß die ganze hellenische Nation jetzt auf etwas mehr als 4'/» Millionen Köpfe geschätzt wer¬ den mag. Die Skipetaren. Anmuten oder Albaner sind ein illyrischer Stamm mit eigner Sprache, der allmälig von den Slaven weiter nach Süden gedrängt wurde und seinerseits die Griechen und deren Sprache bis an den Busen von Korinth drängte und seine vordersten Abtheilungen sogar bis in den Pelopon- nes und auf die Cykladen vorschob. Der Fluß Schkum trennt sie in eine nördliche Abtheilung (Ghegen) und eine südliche (Tosken). Der Religion nach zerfallen sie in Katholiken. Orthodoxe und Mohammedaner, aber wie viele von ihnen diesen verschiedenen Bekenntnissen angehören, läßt sich nicht einmal an¬ nähernd bestimmen. Kolonien von ihnen sind über das ganze ottomanische Reich zerstreut. Voll kriegerischen Sinnes lassen sie sich von den Paschas der entferntesten Bezirke anwerben; nach einer gewissen Dienstzeit ziehen sie sich willig in Dörfer zurück, die man ihnen anweist, und so kommt es, daß die Karte der Türkei eine Menge von Punkten zeigt, welche mit Arnciut Koi oder Arvanito Chorio bezeichnet sind. In Folge von Aufständen gegen die Rekruten¬ aushebung wurden ferner über 25,000 Arnauten nach Rumelien deportirt. woher sich der Name der Bergkette Arnaud Planina im Rhodope-Gebirg erklärt. Bor beinahe zwei Jahrhunderten wanderten die Serben aus dem Becken der bulgarischen Morawa, der Türkenherrschaft überdrüssig, auf östreichisches Ge¬ biet aus, wo sie rasch gediehen. Das leer gewordene Land wurde mohamme¬ danischen Albanern überlassen: das sind die den Reisenden fast unbekannten Arnauten von Novobrdo und im Nordwesten von Vranja. Unter den weiter gegen Norden zerstreuten albanesischen Colonien führt Lejean das schöne Dorf Ar¬ naud Koi bei Tirnowa, das von arnautischen Ackerbauern mit griechischer Sprache und Religion bewohnt ist, und das Dorf Bolkonesti in Bessarabien an, welches türkisch oder albanesisch spricht, aber sich zum griechischen Glau¬ ben bekennt. Die Tosken sowie die südlichen Ghegen sind der Pforte voll¬ kommen unterworfen; dagegen erfreuen sich die nördlichen Ghegen einer ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/124>, abgerufen am 27.09.2024.