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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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der Pforte in ihren Maßnahmen öfters sehr entschieden-entgegentrat und schon
aus seiner früheren Stellung in Athen als ausgesprochener Philhcllene be¬
kannt ist.

Italiens Interesse in dieser Beziehung liegt so auf der Hand, daß das
oben Angedeutete genügt.

Die schwierigste Stellung zu dieser Frage nimmt Oestreich ein. Seine
Politik ist dieselbe wie die Englands, wenn auch aus anderen Beweggründen.
Abgesehen davon, daß es wiederholt verrieth, Pläne auf Bosnien, Serbien
und die Donaufürstenthümer im Schilde zu führen, kann es nicht dulden,
daß sich an seiner Südgrenze ein mächtiges Serbenreich bildet, welches auf
einen bedeutenden Theil seiner Unterthanen eine sehr starke Anziehung aus¬
üben und höchst wahrscheinlich bald zum Verbündeten Italiens werden würde.
Ist es schon deshalb bei den südslavischen Patrioten gehaßt, so kommen dazu
noch die Reibungen, welche durch seine Konsuln in den unteren Donaulän¬
dern und vorzüglich durch deren Stellung als alleinige Richter über die dort
wohnenden, sehr zahlreichen östreichischen Unterthanen hervorgerufen wurden,
sowie die Erinnerungen an das brüske Auftreten der Truppen, mit denen
während des Krimkrieges die Donaufürstenthümer besetzt gehalten wurden.
Durch die große Anzahl östreichischer Unterthanen in jenen Gegenden werden
die Konsuln zwar über die Zustände und Ereignisse unterrichtet, aber meist
f.ilsch, oder doch nur theilweise genau, und so kommt es zu vielfachen Mi߬
griffen; auch scheint man in der Wahl dieser Herren nicht immer mit Glück
verfahren zu sein. Vor Allem aber sind es die wiederholt an der Grenze
vorgenommenen militärischen Aufstellungen und die damit verbundenen Dro¬
hungen einzurücken, wodurch jener eingewurzelte Haß der Südslaven gegen
Oestreich, der sich auch auf dessen Unterthanen erstreckt und den Namen
"Schwaba" geradezu als Schimpfwort braucht, stets neue Nahrung erhielt.
Daß derartige Interventionen nicht bloße Drohungen waren, kann nicht be¬
zweifelt werden. Es ist Thatsache, daß die Division, welche im December
1858 eiligst bei Semlin zusammengezogen worden war. nur auf den Ruf des
Paschas von Belgrad wartete, um über die Donau zu rücken, ein Act, der
nur durch den lebhaften Protest der übrigen Mächte unterblieb. Wenn jetzt
wieder von einer Intervention i" Bosnien die Rede ist, so dürfte das bis
' auf Weiteres als leeres Gerücht zu betrachten sein. Oestreich hat mit sich
selbst gerade genug zu thun und wird es unterlassen oder auf gelegenere
Zeit verschieben müssen, außerhalb seiner Grenzen den Ruhcstifter zu spielen.

Wir geben jetzt nach Lejean einen Ueberblick über die Vertheilung der
einzelnen Völkerschaften in der europäischen Türkei und lassen dann einen
Auszug dessen folgen, was die Denkschrift über die Entwickelung der Dinge
in den von Serben bewohnten Provinzen mittheilt. Die Bewohner der illy-


der Pforte in ihren Maßnahmen öfters sehr entschieden-entgegentrat und schon
aus seiner früheren Stellung in Athen als ausgesprochener Philhcllene be¬
kannt ist.

Italiens Interesse in dieser Beziehung liegt so auf der Hand, daß das
oben Angedeutete genügt.

Die schwierigste Stellung zu dieser Frage nimmt Oestreich ein. Seine
Politik ist dieselbe wie die Englands, wenn auch aus anderen Beweggründen.
Abgesehen davon, daß es wiederholt verrieth, Pläne auf Bosnien, Serbien
und die Donaufürstenthümer im Schilde zu führen, kann es nicht dulden,
daß sich an seiner Südgrenze ein mächtiges Serbenreich bildet, welches auf
einen bedeutenden Theil seiner Unterthanen eine sehr starke Anziehung aus¬
üben und höchst wahrscheinlich bald zum Verbündeten Italiens werden würde.
Ist es schon deshalb bei den südslavischen Patrioten gehaßt, so kommen dazu
noch die Reibungen, welche durch seine Konsuln in den unteren Donaulän¬
dern und vorzüglich durch deren Stellung als alleinige Richter über die dort
wohnenden, sehr zahlreichen östreichischen Unterthanen hervorgerufen wurden,
sowie die Erinnerungen an das brüske Auftreten der Truppen, mit denen
während des Krimkrieges die Donaufürstenthümer besetzt gehalten wurden.
Durch die große Anzahl östreichischer Unterthanen in jenen Gegenden werden
die Konsuln zwar über die Zustände und Ereignisse unterrichtet, aber meist
f.ilsch, oder doch nur theilweise genau, und so kommt es zu vielfachen Mi߬
griffen; auch scheint man in der Wahl dieser Herren nicht immer mit Glück
verfahren zu sein. Vor Allem aber sind es die wiederholt an der Grenze
vorgenommenen militärischen Aufstellungen und die damit verbundenen Dro¬
hungen einzurücken, wodurch jener eingewurzelte Haß der Südslaven gegen
Oestreich, der sich auch auf dessen Unterthanen erstreckt und den Namen
„Schwaba" geradezu als Schimpfwort braucht, stets neue Nahrung erhielt.
Daß derartige Interventionen nicht bloße Drohungen waren, kann nicht be¬
zweifelt werden. Es ist Thatsache, daß die Division, welche im December
1858 eiligst bei Semlin zusammengezogen worden war. nur auf den Ruf des
Paschas von Belgrad wartete, um über die Donau zu rücken, ein Act, der
nur durch den lebhaften Protest der übrigen Mächte unterblieb. Wenn jetzt
wieder von einer Intervention i» Bosnien die Rede ist, so dürfte das bis
' auf Weiteres als leeres Gerücht zu betrachten sein. Oestreich hat mit sich
selbst gerade genug zu thun und wird es unterlassen oder auf gelegenere
Zeit verschieben müssen, außerhalb seiner Grenzen den Ruhcstifter zu spielen.

Wir geben jetzt nach Lejean einen Ueberblick über die Vertheilung der
einzelnen Völkerschaften in der europäischen Türkei und lassen dann einen
Auszug dessen folgen, was die Denkschrift über die Entwickelung der Dinge
in den von Serben bewohnten Provinzen mittheilt. Die Bewohner der illy-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/120>, abgerufen am 19.10.2024.