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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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hörige' aus G. Lejeans "Ethnographie der Türkei", einer werthvollen Arbeit,
welche als Ergänzungsheft Ur. 4 zu Petermanns "Geographischen Mitthei¬
lungen" soeben zu Gotha bei Justus Perthes die Presse verlasse" hat.

Als bekannt setzen wir voraus, daß das ganze Gebiet zwischen dem
schwarzen und adriatischen Meere schon seit Jahren in Wahrung ist, und daß
nur durch Oestreichs und Englands Bemühen die dort wohnenden Stämme
bisher verhindert wurden, sich von der Türkenhenschast zu befreien; daß serner
für deu Norden Serbien und Montenegro, für den Süden das Königreich
Hellas die Haupthcrde* und Centralpunkte für die Bewegung sind, und daß.
während früher Rußlands Agenten die Hauptschürer derselben waren, jetzt auch
Frankreich hier seine Ränke spinnt und zugleich italienischer Einfluß sich geltend
zu machen beginnt.

Die Völker gähren, weil die gebildete Klasse an die Wiederaufrichtung
der alten, durch die Türken niedergcbrochenen nationalen Reiche denkt, die un¬
gebildete über Steuerdruck seufzt, von der herrschenden Race in socialer Be¬
ziehung beeinträchtigt wird und zugleich den Osmanen als Ungläubigen haßt.
Die Mächte wühlen für ihr Interesse: NWand mit dem Gedanken an den
Besitz Konstantinopels, Frankreich, um sich Basalten, oder wenigstens zu Dank
verpflichtete Freunde zu schaffen für den Fall des Kampfes mit England um
das Mittelmeer, Italien zunächst mit dem Hintergedanken an Oestreich. Je
mehr Bildung sich unter den Völkern der illynschen Halbinsel verbreitet, desto
mehr muß der Einfluß Rußlands dort abnehmen, indem einerseits mit ihr
die Zahl derer, die nationale Reiche erstreben, wächst, andererseits bei ihrem
Licht der Nebel verschwindet, der den Eroberungstrieb der russischen Politik
verhüllt.

Rußlands Streben ging von jeher dahin, den geistigen Fortschritt der
Voller in der europäischen Türkei zu hemmen, auf der anderen Seite aber
als.deren Beschützer aufzutreten. Man förderte nuf alle Weise den griechisch
nichtnnirten Ritus und kettete jene bigotten Stämme durch die verschiedensten
Mittel an die Glaubensgemeinschaft, deren Oberhaupt der Czar ist. Man
erwarb sich den Dank derselben, indem ümm in Verträgen mit der Pforte
mancherlei Erleichterungen ihrer Lage erwirkte und durch wiederholte Mah¬
nungen und Einsprüche aus Abstellung von Mißbräuchen ,drang. Bei allen
Beschwerden und Oppositionsfragen der Rajah gegen die osmanischen Behörden
und die feudalen Zwingherren betheiligten sich russische Consuln als Sachwalter.
Geschenke an Heiligenbildern, prächtigen Kirchenbüchern und Meßgewändern
für die orthodoxen Gemeinden, Stiftungen und Geldsubveutionen waren und
sind noch immer an der Tagesordnung, Bereitwillig übernimmt man die
unentgeldliche Ausbildung der für den geistlichen Stand bestimmten Jugend
der türkischen Slaven in russischen Schulen und Universitäten, da man sich


hörige' aus G. Lejeans „Ethnographie der Türkei", einer werthvollen Arbeit,
welche als Ergänzungsheft Ur. 4 zu Petermanns „Geographischen Mitthei¬
lungen" soeben zu Gotha bei Justus Perthes die Presse verlasse» hat.

Als bekannt setzen wir voraus, daß das ganze Gebiet zwischen dem
schwarzen und adriatischen Meere schon seit Jahren in Wahrung ist, und daß
nur durch Oestreichs und Englands Bemühen die dort wohnenden Stämme
bisher verhindert wurden, sich von der Türkenhenschast zu befreien; daß serner
für deu Norden Serbien und Montenegro, für den Süden das Königreich
Hellas die Haupthcrde* und Centralpunkte für die Bewegung sind, und daß.
während früher Rußlands Agenten die Hauptschürer derselben waren, jetzt auch
Frankreich hier seine Ränke spinnt und zugleich italienischer Einfluß sich geltend
zu machen beginnt.

Die Völker gähren, weil die gebildete Klasse an die Wiederaufrichtung
der alten, durch die Türken niedergcbrochenen nationalen Reiche denkt, die un¬
gebildete über Steuerdruck seufzt, von der herrschenden Race in socialer Be¬
ziehung beeinträchtigt wird und zugleich den Osmanen als Ungläubigen haßt.
Die Mächte wühlen für ihr Interesse: NWand mit dem Gedanken an den
Besitz Konstantinopels, Frankreich, um sich Basalten, oder wenigstens zu Dank
verpflichtete Freunde zu schaffen für den Fall des Kampfes mit England um
das Mittelmeer, Italien zunächst mit dem Hintergedanken an Oestreich. Je
mehr Bildung sich unter den Völkern der illynschen Halbinsel verbreitet, desto
mehr muß der Einfluß Rußlands dort abnehmen, indem einerseits mit ihr
die Zahl derer, die nationale Reiche erstreben, wächst, andererseits bei ihrem
Licht der Nebel verschwindet, der den Eroberungstrieb der russischen Politik
verhüllt.

Rußlands Streben ging von jeher dahin, den geistigen Fortschritt der
Voller in der europäischen Türkei zu hemmen, auf der anderen Seite aber
als.deren Beschützer aufzutreten. Man förderte nuf alle Weise den griechisch
nichtnnirten Ritus und kettete jene bigotten Stämme durch die verschiedensten
Mittel an die Glaubensgemeinschaft, deren Oberhaupt der Czar ist. Man
erwarb sich den Dank derselben, indem ümm in Verträgen mit der Pforte
mancherlei Erleichterungen ihrer Lage erwirkte und durch wiederholte Mah¬
nungen und Einsprüche aus Abstellung von Mißbräuchen ,drang. Bei allen
Beschwerden und Oppositionsfragen der Rajah gegen die osmanischen Behörden
und die feudalen Zwingherren betheiligten sich russische Consuln als Sachwalter.
Geschenke an Heiligenbildern, prächtigen Kirchenbüchern und Meßgewändern
für die orthodoxen Gemeinden, Stiftungen und Geldsubveutionen waren und
sind noch immer an der Tagesordnung, Bereitwillig übernimmt man die
unentgeldliche Ausbildung der für den geistlichen Stand bestimmten Jugend
der türkischen Slaven in russischen Schulen und Universitäten, da man sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/118>, abgerufen am 19.10.2024.