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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Darum ist es mit der bloßen Ermahnung, gemäßigt zu sein, noch nicht
gethan. Der Verfasser von: Ungarn und die Reichsvertretung in
Deutschland spricht zu den Magyaren sehr liebevoll, verheißt ihnen alles Mög¬
liche; aber er wird schwerlich Gehör bei ihnen finden,'denn er umgeht die
Cardinalsrage, die wir im vorigen Heft signalisirt haben: was ist der recht¬
liche A us ga n göp un le der weiteren Rechtsentwickelung? Die alte ungarische
Verfassung sammt der pragmatischen Sanction, oder das Diplom? Wohin?
darüber werden sich die Liberalen der verschiedenen Zungen vielleicht einigen;
aber von wo aus? das ist ein Punkt, in dem die Ungarn nicht nachgeben
werden, weil sie sich sonst den Boden unter den Füßen entziehen.

Ernster faßt die Schrift: Die Aufgaben Deutschöstreichs nach dem
26. Febr. 1861, die Sache auf. "Da die Reichsverfassung vom 26. Febr.
wesentliche Verfassungsrechte der ungarischen Nation verletzt, der Natur der
Dinge nach verletzen muß, so darf es Niemand Wunder nehmen, wenn
dieselbe nicht mit Befriedigung aufgenommen wurde." "Oestreich muß einen
.hinterhaltlosen Frieden mit Ungarn schließen, ehe an eine Besserung seiner
Macht- und Finanzverhältnisse auch nur gedacht werden kann; und dieser
Friede kann einzig und allei" durch eine Transaction mit dem gesetzlichen
Organ der ungarischen Nation, dein Landtag, zu Stande gebracht werden."
Deshalb ist es die "die erste Aufgabe jedes östreichischen Patrioten, jene ge-
sammtöstreichischen Ideologen zu bekämpfen, welche das ungarische Volk
auch mit "sanfter Gewalt" zur bedingungslosen Anerkennung der Reichsver-
fassung zu vermögen geneigt wären," "die gefährlichsten Feinde des Gesammt-
staats, weil sie einen Bürgerkrieg predigen, der unter allen Umstünden das
Ende Oestreichs zur Folge haben müßte." -- Die Hauptsache -- und auch
darin stimmen wir von Herzen mit dem Verfasser überein -- wonach jeder
Patriot zu streben hat, ist: eine sichere Garantie der persönlichen Freiheit. --
Das-bisherige System "hat uns nicht nur um die Liebe unserer Stammgenossen,
es hat uns auch um die Achtung aller freien Völker gebracht; wir waren
seine Werkzeuge, und in diesem Sinn wird das östreichische Deutschthum nicht
mit Umecht mit ihm identificirt." "Aber hegen wir für Deutschland auch
die wärmsten Sympathien, müssen wir im Interesse Oestreichs auch
wünschen, daß es einig, binnen Kurzem schon einig werde: wir selbst, wir
verfolgen keine deutsche Politik, wir nähren keine schwarzrothgolonen Träume,
wir schielen nicht über Oestreich hinaus, weil wir von, der Ueberzeugung durch¬
drungen sind, daß Deutschöstreich, wenn ein Gesammtöstreich bestehen soll, in
ein neuconstituirtes Deutschland nicht aufgenommen werden kann und sich
nicht aufnehmen lassen darf.

Aber werden wir zu Deutschland auch nur "in einem völkerrechtlichen
Verhältniß stehen: eine geistige Einigung mit Deutschland, welche uns in


Darum ist es mit der bloßen Ermahnung, gemäßigt zu sein, noch nicht
gethan. Der Verfasser von: Ungarn und die Reichsvertretung in
Deutschland spricht zu den Magyaren sehr liebevoll, verheißt ihnen alles Mög¬
liche; aber er wird schwerlich Gehör bei ihnen finden,'denn er umgeht die
Cardinalsrage, die wir im vorigen Heft signalisirt haben: was ist der recht¬
liche A us ga n göp un le der weiteren Rechtsentwickelung? Die alte ungarische
Verfassung sammt der pragmatischen Sanction, oder das Diplom? Wohin?
darüber werden sich die Liberalen der verschiedenen Zungen vielleicht einigen;
aber von wo aus? das ist ein Punkt, in dem die Ungarn nicht nachgeben
werden, weil sie sich sonst den Boden unter den Füßen entziehen.

Ernster faßt die Schrift: Die Aufgaben Deutschöstreichs nach dem
26. Febr. 1861, die Sache auf. „Da die Reichsverfassung vom 26. Febr.
wesentliche Verfassungsrechte der ungarischen Nation verletzt, der Natur der
Dinge nach verletzen muß, so darf es Niemand Wunder nehmen, wenn
dieselbe nicht mit Befriedigung aufgenommen wurde." „Oestreich muß einen
.hinterhaltlosen Frieden mit Ungarn schließen, ehe an eine Besserung seiner
Macht- und Finanzverhältnisse auch nur gedacht werden kann; und dieser
Friede kann einzig und allei» durch eine Transaction mit dem gesetzlichen
Organ der ungarischen Nation, dein Landtag, zu Stande gebracht werden."
Deshalb ist es die „die erste Aufgabe jedes östreichischen Patrioten, jene ge-
sammtöstreichischen Ideologen zu bekämpfen, welche das ungarische Volk
auch mit „sanfter Gewalt" zur bedingungslosen Anerkennung der Reichsver-
fassung zu vermögen geneigt wären," „die gefährlichsten Feinde des Gesammt-
staats, weil sie einen Bürgerkrieg predigen, der unter allen Umstünden das
Ende Oestreichs zur Folge haben müßte." — Die Hauptsache — und auch
darin stimmen wir von Herzen mit dem Verfasser überein — wonach jeder
Patriot zu streben hat, ist: eine sichere Garantie der persönlichen Freiheit. —
Das-bisherige System „hat uns nicht nur um die Liebe unserer Stammgenossen,
es hat uns auch um die Achtung aller freien Völker gebracht; wir waren
seine Werkzeuge, und in diesem Sinn wird das östreichische Deutschthum nicht
mit Umecht mit ihm identificirt." „Aber hegen wir für Deutschland auch
die wärmsten Sympathien, müssen wir im Interesse Oestreichs auch
wünschen, daß es einig, binnen Kurzem schon einig werde: wir selbst, wir
verfolgen keine deutsche Politik, wir nähren keine schwarzrothgolonen Träume,
wir schielen nicht über Oestreich hinaus, weil wir von, der Ueberzeugung durch¬
drungen sind, daß Deutschöstreich, wenn ein Gesammtöstreich bestehen soll, in
ein neuconstituirtes Deutschland nicht aufgenommen werden kann und sich
nicht aufnehmen lassen darf.

Aber werden wir zu Deutschland auch nur „in einem völkerrechtlichen
Verhältniß stehen: eine geistige Einigung mit Deutschland, welche uns in


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[0116] Darum ist es mit der bloßen Ermahnung, gemäßigt zu sein, noch nicht gethan. Der Verfasser von: Ungarn und die Reichsvertretung in Deutschland spricht zu den Magyaren sehr liebevoll, verheißt ihnen alles Mög¬ liche; aber er wird schwerlich Gehör bei ihnen finden,'denn er umgeht die Cardinalsrage, die wir im vorigen Heft signalisirt haben: was ist der recht¬ liche A us ga n göp un le der weiteren Rechtsentwickelung? Die alte ungarische Verfassung sammt der pragmatischen Sanction, oder das Diplom? Wohin? darüber werden sich die Liberalen der verschiedenen Zungen vielleicht einigen; aber von wo aus? das ist ein Punkt, in dem die Ungarn nicht nachgeben werden, weil sie sich sonst den Boden unter den Füßen entziehen. Ernster faßt die Schrift: Die Aufgaben Deutschöstreichs nach dem 26. Febr. 1861, die Sache auf. „Da die Reichsverfassung vom 26. Febr. wesentliche Verfassungsrechte der ungarischen Nation verletzt, der Natur der Dinge nach verletzen muß, so darf es Niemand Wunder nehmen, wenn dieselbe nicht mit Befriedigung aufgenommen wurde." „Oestreich muß einen .hinterhaltlosen Frieden mit Ungarn schließen, ehe an eine Besserung seiner Macht- und Finanzverhältnisse auch nur gedacht werden kann; und dieser Friede kann einzig und allei» durch eine Transaction mit dem gesetzlichen Organ der ungarischen Nation, dein Landtag, zu Stande gebracht werden." Deshalb ist es die „die erste Aufgabe jedes östreichischen Patrioten, jene ge- sammtöstreichischen Ideologen zu bekämpfen, welche das ungarische Volk auch mit „sanfter Gewalt" zur bedingungslosen Anerkennung der Reichsver- fassung zu vermögen geneigt wären," „die gefährlichsten Feinde des Gesammt- staats, weil sie einen Bürgerkrieg predigen, der unter allen Umstünden das Ende Oestreichs zur Folge haben müßte." — Die Hauptsache — und auch darin stimmen wir von Herzen mit dem Verfasser überein — wonach jeder Patriot zu streben hat, ist: eine sichere Garantie der persönlichen Freiheit. — Das-bisherige System „hat uns nicht nur um die Liebe unserer Stammgenossen, es hat uns auch um die Achtung aller freien Völker gebracht; wir waren seine Werkzeuge, und in diesem Sinn wird das östreichische Deutschthum nicht mit Umecht mit ihm identificirt." „Aber hegen wir für Deutschland auch die wärmsten Sympathien, müssen wir im Interesse Oestreichs auch wünschen, daß es einig, binnen Kurzem schon einig werde: wir selbst, wir verfolgen keine deutsche Politik, wir nähren keine schwarzrothgolonen Träume, wir schielen nicht über Oestreich hinaus, weil wir von, der Ueberzeugung durch¬ drungen sind, daß Deutschöstreich, wenn ein Gesammtöstreich bestehen soll, in ein neuconstituirtes Deutschland nicht aufgenommen werden kann und sich nicht aufnehmen lassen darf. Aber werden wir zu Deutschland auch nur „in einem völkerrechtlichen Verhältniß stehen: eine geistige Einigung mit Deutschland, welche uns in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/116>, abgerufen am 27.09.2024.