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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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daß 1) eine Gesammtverfassung ein Unding sei, weil constitutionell
regieren nichts Anderes heißt als nach dem gesetzlich ausgesprochenen Willen
der Mehrheit regieren, die Mehrheit in Oestreich aber auseinander null,

daß 2) nicht die Einführung einer constitutionellen Regierungsform "ni
liberalen Grundsätzen das, der Zeit nach dringendste Bedürfniß sei; denn so
gerecht auch das Verlangen darnach, dringlicher sei die Erledigung der inter¬
nationalen Frage: Wie soll die Einigung Deutschlands mit den
Forderungen der verschiedenen slavischen Stämme, des magyarischen, des ru¬
mänischen Volkes und der italienischen Nation in Einklang gebracht, wie soll
bei möglichster Schonung der letzteren die erstere erreicht werden?

Die Dynastie in Oestreich, unter deren Kopfkissen die Fäden dieser Na¬
tionalitätsfragen verworren durcheinanderlaufen, hatte, um sich bequemer zu
betten als bisher, nur folgende Wege.

Entweder mußte sie, sobald sie, von der UnHaltbarkeit des bisherigen
Systems überzeugt, sich zu einer neuen Richtung entschloß -- erklärein
Es ist ein Unding, daß die einzelnen Theile Deutschlands constitutionell
regiert werden, während in den obersten gemeinschaftlichen Angelegenheiten aller
deutschen Lande, beim Bundestage das diplomatisch-büreaukratische Gebahren
beibehalten wird. Ich, Oestreich, beantrage als Mitglied des deutschen
Bundes, daß dem Bundestage eine Volksvertretung beigegeben werde.
Sollte irgend ein Beschluß dieser umgebildeten gesetzgebenden Körperschaft
(Bundestag mit Volksvertretung) einer bewaffneten Macht zu seiner Durch-
führung bedürfen, so biete ich die meinige im Voraus an. Deutschland würde
allerdings gestutzt haben, aus dem Concordatstaate, aus dem finanziell zer¬
rütteten Staate Oestreich diese Sprache zu hören; allein wenn Germanien
einer überreifen Jungfrau zu vergleichen ist, so würde der Entschluß dieser
Jungfrau gelautet haben, bis der Freier sich entschließt, von dem ich's er¬
wartete, daß er um mich komme, dauert's zu lange -- es thut mir leid um
ihn -- aber, um endlich unter die Haube zu kommen, nehme ich den Antrag
des mir minder lieben, aber eher aufgetretenen Bewerbers an.

Im Innern hätte Oestreich Provinzial-Landtage verleihen können,
wie es dies ohnehin gethan hat. Es hätte aber diesen Landtagen nicht zu-
gemuthet, aus ihrer Mitte ReichsVertreter nach Wien zu senden, sondern
seinen deutschen Provinzen hätte es die Befugniß verliehen, zur Vertretung
beim Bundestage zu wählen. Den drei Fünftel der Bewohner von Böhmen
bildenden Czechen und den Polen hätte es einen gemeinschaftlichen nordslavi¬
schen Landtag und in der Person eines kaiserlichen Prinzen einen Statthalter
geben können. In Ungarn hätte es versuchen müssen den xartibus acluexis,
den Nebenländern, je eine selbständige Vertretung -- (eine südslavische, eine
sächsisch-deutsche und eine rumänische) neben der magyarisch.Szekler'schen durch-


daß 1) eine Gesammtverfassung ein Unding sei, weil constitutionell
regieren nichts Anderes heißt als nach dem gesetzlich ausgesprochenen Willen
der Mehrheit regieren, die Mehrheit in Oestreich aber auseinander null,

daß 2) nicht die Einführung einer constitutionellen Regierungsform »ni
liberalen Grundsätzen das, der Zeit nach dringendste Bedürfniß sei; denn so
gerecht auch das Verlangen darnach, dringlicher sei die Erledigung der inter¬
nationalen Frage: Wie soll die Einigung Deutschlands mit den
Forderungen der verschiedenen slavischen Stämme, des magyarischen, des ru¬
mänischen Volkes und der italienischen Nation in Einklang gebracht, wie soll
bei möglichster Schonung der letzteren die erstere erreicht werden?

Die Dynastie in Oestreich, unter deren Kopfkissen die Fäden dieser Na¬
tionalitätsfragen verworren durcheinanderlaufen, hatte, um sich bequemer zu
betten als bisher, nur folgende Wege.

Entweder mußte sie, sobald sie, von der UnHaltbarkeit des bisherigen
Systems überzeugt, sich zu einer neuen Richtung entschloß — erklärein
Es ist ein Unding, daß die einzelnen Theile Deutschlands constitutionell
regiert werden, während in den obersten gemeinschaftlichen Angelegenheiten aller
deutschen Lande, beim Bundestage das diplomatisch-büreaukratische Gebahren
beibehalten wird. Ich, Oestreich, beantrage als Mitglied des deutschen
Bundes, daß dem Bundestage eine Volksvertretung beigegeben werde.
Sollte irgend ein Beschluß dieser umgebildeten gesetzgebenden Körperschaft
(Bundestag mit Volksvertretung) einer bewaffneten Macht zu seiner Durch-
führung bedürfen, so biete ich die meinige im Voraus an. Deutschland würde
allerdings gestutzt haben, aus dem Concordatstaate, aus dem finanziell zer¬
rütteten Staate Oestreich diese Sprache zu hören; allein wenn Germanien
einer überreifen Jungfrau zu vergleichen ist, so würde der Entschluß dieser
Jungfrau gelautet haben, bis der Freier sich entschließt, von dem ich's er¬
wartete, daß er um mich komme, dauert's zu lange — es thut mir leid um
ihn — aber, um endlich unter die Haube zu kommen, nehme ich den Antrag
des mir minder lieben, aber eher aufgetretenen Bewerbers an.

Im Innern hätte Oestreich Provinzial-Landtage verleihen können,
wie es dies ohnehin gethan hat. Es hätte aber diesen Landtagen nicht zu-
gemuthet, aus ihrer Mitte ReichsVertreter nach Wien zu senden, sondern
seinen deutschen Provinzen hätte es die Befugniß verliehen, zur Vertretung
beim Bundestage zu wählen. Den drei Fünftel der Bewohner von Böhmen
bildenden Czechen und den Polen hätte es einen gemeinschaftlichen nordslavi¬
schen Landtag und in der Person eines kaiserlichen Prinzen einen Statthalter
geben können. In Ungarn hätte es versuchen müssen den xartibus acluexis,
den Nebenländern, je eine selbständige Vertretung — (eine südslavische, eine
sächsisch-deutsche und eine rumänische) neben der magyarisch.Szekler'schen durch-


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[0113] daß 1) eine Gesammtverfassung ein Unding sei, weil constitutionell regieren nichts Anderes heißt als nach dem gesetzlich ausgesprochenen Willen der Mehrheit regieren, die Mehrheit in Oestreich aber auseinander null, daß 2) nicht die Einführung einer constitutionellen Regierungsform »ni liberalen Grundsätzen das, der Zeit nach dringendste Bedürfniß sei; denn so gerecht auch das Verlangen darnach, dringlicher sei die Erledigung der inter¬ nationalen Frage: Wie soll die Einigung Deutschlands mit den Forderungen der verschiedenen slavischen Stämme, des magyarischen, des ru¬ mänischen Volkes und der italienischen Nation in Einklang gebracht, wie soll bei möglichster Schonung der letzteren die erstere erreicht werden? Die Dynastie in Oestreich, unter deren Kopfkissen die Fäden dieser Na¬ tionalitätsfragen verworren durcheinanderlaufen, hatte, um sich bequemer zu betten als bisher, nur folgende Wege. Entweder mußte sie, sobald sie, von der UnHaltbarkeit des bisherigen Systems überzeugt, sich zu einer neuen Richtung entschloß — erklärein Es ist ein Unding, daß die einzelnen Theile Deutschlands constitutionell regiert werden, während in den obersten gemeinschaftlichen Angelegenheiten aller deutschen Lande, beim Bundestage das diplomatisch-büreaukratische Gebahren beibehalten wird. Ich, Oestreich, beantrage als Mitglied des deutschen Bundes, daß dem Bundestage eine Volksvertretung beigegeben werde. Sollte irgend ein Beschluß dieser umgebildeten gesetzgebenden Körperschaft (Bundestag mit Volksvertretung) einer bewaffneten Macht zu seiner Durch- führung bedürfen, so biete ich die meinige im Voraus an. Deutschland würde allerdings gestutzt haben, aus dem Concordatstaate, aus dem finanziell zer¬ rütteten Staate Oestreich diese Sprache zu hören; allein wenn Germanien einer überreifen Jungfrau zu vergleichen ist, so würde der Entschluß dieser Jungfrau gelautet haben, bis der Freier sich entschließt, von dem ich's er¬ wartete, daß er um mich komme, dauert's zu lange — es thut mir leid um ihn — aber, um endlich unter die Haube zu kommen, nehme ich den Antrag des mir minder lieben, aber eher aufgetretenen Bewerbers an. Im Innern hätte Oestreich Provinzial-Landtage verleihen können, wie es dies ohnehin gethan hat. Es hätte aber diesen Landtagen nicht zu- gemuthet, aus ihrer Mitte ReichsVertreter nach Wien zu senden, sondern seinen deutschen Provinzen hätte es die Befugniß verliehen, zur Vertretung beim Bundestage zu wählen. Den drei Fünftel der Bewohner von Böhmen bildenden Czechen und den Polen hätte es einen gemeinschaftlichen nordslavi¬ schen Landtag und in der Person eines kaiserlichen Prinzen einen Statthalter geben können. In Ungarn hätte es versuchen müssen den xartibus acluexis, den Nebenländern, je eine selbständige Vertretung — (eine südslavische, eine sächsisch-deutsche und eine rumänische) neben der magyarisch.Szekler'schen durch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/113>, abgerufen am 24.08.2024.