Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

machten um des Vergnügens willen Kriegszüge ohne Zweck in fremden Dien¬
sten, vergeudeten das Geld des Landes in Venedig oder nchtetenZim eignen
Lande eine Maitressenwirthschaft nach dem Vorbilde Ludwig des Vierzehnten
ein. durch welche das ganze Land bis ins innerste Mark vergiftet wurde.
Frankreich hatte doch nur einen Hof der, Art. Deutschland aber, das durch
den dreißigjährigen Krieg ausgesogene, ein Dutzend. -- Das alles sind nicht
neue Dinge, sie müssen aber so oft wiederholt werden, als ein beliebiger Herr
Klopp auftritt mit der Behauptung das Reich sei im herrlichsten Zustande
gewesen, bis der böse Friedrich es zerriß.

' Dieses Elend der großthuenden Kleinstaaterei, dieses Hinsiechen des deutschen
Staatskörpers konnte nicht durch Palliativmittel, sondern nur durch einen kühnen
Schnitt geheilt werden. -- Souveräne Staaten zu bilden, war die leitende
Idee der neuen Zeit. Der Feudalstaat hatte sich überlebt, eine neue Form
war noch nicht gefunden. -- Die europäischen Reiche waren durchweg vom
alten römischen Reich losgerissen; die Lehnsfürsten hatten sich souverän ge¬
macht, ihre Vasallen mehr und mehr niedergedrückt, und an ihnen'herauf
bildete sich allmälig eine Raton. Nur Deutschland und Italien erlagen dem
unseligen Wahn, das Cäsarenreich sei wiederherzustellen. Um römische Kaiser
zu sein, versäumten die deutschen Könige, sich zu Hause einzurichten. Der große
Welse hatte vergebens versucht, einen deutschen Staat zu gründen; nach seinem
Untergang herrschte die Kleinstaaterei. Noch einmal unternahm Karl der Fünfte --
in dessen Monarchie die Sonne nicht unterging -- das alte Werk; es mißlang,
und der westfälische Friede besiegelte die Auflösung des deutschen Reichs.
"Ich tun Kaiser in meinen Staaten!" sagte ein Menschenalter darauf Johann
Friedrich von Hannover. -- Diese vielen "Kaiser" waren so ineinander ver¬
flochten, daß keiner sich fre.i regen konnte, daß jeder den andern hinderte. --
Nur ein Fürst hatte freie Bewegung. -- Die Markgrafen hatten die Hut
Deutschlands gegen die östlichen Barbaren, im Süden hatte Oestreich die
Aufgabe übernommen, im Norden siel sie Preußen zu. Der große Kurfürst'
war der einzige, dn' selbständige Kriege führte; die andern dienten im kaiser¬
lichen Heer; Friedrich Wilhelm hatte es mit den Schweden, mit den Polen zu
thun; auch am Rhein gegen Frankreich focht-er für seine eigne" Besitzungen.
Nach dem Abfall des Kurfürsten von Sachsen war er der natürliche Vertreter
des Protestantismus gegen Oestreich. Sein Staat, der unfertigste von' allen
deutschen, trieb ihn mit Naturgewalt zu dem Wunsch, sich zu arrondiren, d. h.
zu erobern. Mit seiner kleinen Macht konnte er es nur. vorsichtig thun, er
fügte sich dem Neichsverband, aber grade nur soviel, als die Umstände ihn
zwangen. Dann kam der Königstitel, dem. Namen "ach auf Pienßen, der


machten um des Vergnügens willen Kriegszüge ohne Zweck in fremden Dien¬
sten, vergeudeten das Geld des Landes in Venedig oder nchtetenZim eignen
Lande eine Maitressenwirthschaft nach dem Vorbilde Ludwig des Vierzehnten
ein. durch welche das ganze Land bis ins innerste Mark vergiftet wurde.
Frankreich hatte doch nur einen Hof der, Art. Deutschland aber, das durch
den dreißigjährigen Krieg ausgesogene, ein Dutzend. — Das alles sind nicht
neue Dinge, sie müssen aber so oft wiederholt werden, als ein beliebiger Herr
Klopp auftritt mit der Behauptung das Reich sei im herrlichsten Zustande
gewesen, bis der böse Friedrich es zerriß.

' Dieses Elend der großthuenden Kleinstaaterei, dieses Hinsiechen des deutschen
Staatskörpers konnte nicht durch Palliativmittel, sondern nur durch einen kühnen
Schnitt geheilt werden. — Souveräne Staaten zu bilden, war die leitende
Idee der neuen Zeit. Der Feudalstaat hatte sich überlebt, eine neue Form
war noch nicht gefunden. — Die europäischen Reiche waren durchweg vom
alten römischen Reich losgerissen; die Lehnsfürsten hatten sich souverän ge¬
macht, ihre Vasallen mehr und mehr niedergedrückt, und an ihnen'herauf
bildete sich allmälig eine Raton. Nur Deutschland und Italien erlagen dem
unseligen Wahn, das Cäsarenreich sei wiederherzustellen. Um römische Kaiser
zu sein, versäumten die deutschen Könige, sich zu Hause einzurichten. Der große
Welse hatte vergebens versucht, einen deutschen Staat zu gründen; nach seinem
Untergang herrschte die Kleinstaaterei. Noch einmal unternahm Karl der Fünfte —
in dessen Monarchie die Sonne nicht unterging — das alte Werk; es mißlang,
und der westfälische Friede besiegelte die Auflösung des deutschen Reichs.
„Ich tun Kaiser in meinen Staaten!" sagte ein Menschenalter darauf Johann
Friedrich von Hannover. — Diese vielen „Kaiser" waren so ineinander ver¬
flochten, daß keiner sich fre.i regen konnte, daß jeder den andern hinderte. —
Nur ein Fürst hatte freie Bewegung. — Die Markgrafen hatten die Hut
Deutschlands gegen die östlichen Barbaren, im Süden hatte Oestreich die
Aufgabe übernommen, im Norden siel sie Preußen zu. Der große Kurfürst'
war der einzige, dn' selbständige Kriege führte; die andern dienten im kaiser¬
lichen Heer; Friedrich Wilhelm hatte es mit den Schweden, mit den Polen zu
thun; auch am Rhein gegen Frankreich focht-er für seine eigne» Besitzungen.
Nach dem Abfall des Kurfürsten von Sachsen war er der natürliche Vertreter
des Protestantismus gegen Oestreich. Sein Staat, der unfertigste von' allen
deutschen, trieb ihn mit Naturgewalt zu dem Wunsch, sich zu arrondiren, d. h.
zu erobern. Mit seiner kleinen Macht konnte er es nur. vorsichtig thun, er
fügte sich dem Neichsverband, aber grade nur soviel, als die Umstände ihn
zwangen. Dann kam der Königstitel, dem. Namen »ach auf Pienßen, der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0086" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/110980"/>
          <p xml:id="ID_226" prev="#ID_225"> machten um des Vergnügens willen Kriegszüge ohne Zweck in fremden Dien¬<lb/>
sten, vergeudeten das Geld des Landes in Venedig oder nchtetenZim eignen<lb/>
Lande eine Maitressenwirthschaft nach dem Vorbilde Ludwig des Vierzehnten<lb/>
ein. durch welche das ganze Land bis ins innerste Mark vergiftet wurde.<lb/>
Frankreich hatte doch nur einen Hof der, Art. Deutschland aber, das durch<lb/>
den dreißigjährigen Krieg ausgesogene, ein Dutzend. &#x2014; Das alles sind nicht<lb/>
neue Dinge, sie müssen aber so oft wiederholt werden, als ein beliebiger Herr<lb/>
Klopp auftritt mit der Behauptung das Reich sei im herrlichsten Zustande<lb/>
gewesen, bis der böse Friedrich es zerriß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_227" next="#ID_228"> '  Dieses Elend der großthuenden Kleinstaaterei, dieses Hinsiechen des deutschen<lb/>
Staatskörpers konnte nicht durch Palliativmittel, sondern nur durch einen kühnen<lb/>
Schnitt geheilt werden. &#x2014; Souveräne Staaten zu bilden, war die leitende<lb/>
Idee der neuen Zeit.  Der Feudalstaat hatte sich überlebt, eine neue Form<lb/>
war noch nicht gefunden. &#x2014; Die europäischen Reiche waren durchweg vom<lb/>
alten römischen Reich losgerissen; die Lehnsfürsten hatten sich souverän ge¬<lb/>
macht, ihre Vasallen mehr und mehr niedergedrückt, und an ihnen'herauf<lb/>
bildete sich allmälig eine Raton.  Nur Deutschland und Italien erlagen dem<lb/>
unseligen Wahn, das Cäsarenreich sei wiederherzustellen.  Um römische Kaiser<lb/>
zu sein, versäumten die deutschen Könige, sich zu Hause einzurichten.  Der große<lb/>
Welse hatte vergebens versucht, einen deutschen Staat zu gründen; nach seinem<lb/>
Untergang herrschte die Kleinstaaterei. Noch einmal unternahm Karl der Fünfte &#x2014;<lb/>
in dessen Monarchie die Sonne nicht unterging &#x2014; das alte Werk; es mißlang,<lb/>
und der westfälische Friede besiegelte die Auflösung des deutschen Reichs.<lb/>
&#x201E;Ich tun Kaiser in meinen Staaten!" sagte ein Menschenalter darauf Johann<lb/>
Friedrich von Hannover. &#x2014; Diese vielen &#x201E;Kaiser" waren so ineinander ver¬<lb/>
flochten, daß keiner sich fre.i regen konnte, daß jeder den andern hinderte. &#x2014;<lb/>
Nur ein Fürst hatte freie Bewegung. &#x2014; Die Markgrafen hatten die Hut<lb/>
Deutschlands gegen die östlichen Barbaren, im Süden hatte Oestreich die<lb/>
Aufgabe übernommen, im Norden siel sie Preußen zu.  Der große Kurfürst'<lb/>
war der einzige, dn' selbständige Kriege führte; die andern dienten im kaiser¬<lb/>
lichen Heer; Friedrich Wilhelm hatte es mit den Schweden, mit den Polen zu<lb/>
thun; auch am Rhein gegen Frankreich focht-er für seine eigne» Besitzungen.<lb/>
Nach dem Abfall des Kurfürsten von Sachsen war er der natürliche Vertreter<lb/>
des Protestantismus gegen Oestreich.  Sein Staat, der unfertigste von' allen<lb/>
deutschen, trieb ihn mit Naturgewalt zu dem Wunsch, sich zu arrondiren, d. h.<lb/>
zu erobern.  Mit seiner kleinen Macht konnte er es nur. vorsichtig thun, er<lb/>
fügte sich dem Neichsverband, aber grade nur soviel, als die Umstände ihn<lb/>
zwangen.  Dann kam der Königstitel, dem. Namen »ach auf Pienßen, der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0086] machten um des Vergnügens willen Kriegszüge ohne Zweck in fremden Dien¬ sten, vergeudeten das Geld des Landes in Venedig oder nchtetenZim eignen Lande eine Maitressenwirthschaft nach dem Vorbilde Ludwig des Vierzehnten ein. durch welche das ganze Land bis ins innerste Mark vergiftet wurde. Frankreich hatte doch nur einen Hof der, Art. Deutschland aber, das durch den dreißigjährigen Krieg ausgesogene, ein Dutzend. — Das alles sind nicht neue Dinge, sie müssen aber so oft wiederholt werden, als ein beliebiger Herr Klopp auftritt mit der Behauptung das Reich sei im herrlichsten Zustande gewesen, bis der böse Friedrich es zerriß. ' Dieses Elend der großthuenden Kleinstaaterei, dieses Hinsiechen des deutschen Staatskörpers konnte nicht durch Palliativmittel, sondern nur durch einen kühnen Schnitt geheilt werden. — Souveräne Staaten zu bilden, war die leitende Idee der neuen Zeit. Der Feudalstaat hatte sich überlebt, eine neue Form war noch nicht gefunden. — Die europäischen Reiche waren durchweg vom alten römischen Reich losgerissen; die Lehnsfürsten hatten sich souverän ge¬ macht, ihre Vasallen mehr und mehr niedergedrückt, und an ihnen'herauf bildete sich allmälig eine Raton. Nur Deutschland und Italien erlagen dem unseligen Wahn, das Cäsarenreich sei wiederherzustellen. Um römische Kaiser zu sein, versäumten die deutschen Könige, sich zu Hause einzurichten. Der große Welse hatte vergebens versucht, einen deutschen Staat zu gründen; nach seinem Untergang herrschte die Kleinstaaterei. Noch einmal unternahm Karl der Fünfte — in dessen Monarchie die Sonne nicht unterging — das alte Werk; es mißlang, und der westfälische Friede besiegelte die Auflösung des deutschen Reichs. „Ich tun Kaiser in meinen Staaten!" sagte ein Menschenalter darauf Johann Friedrich von Hannover. — Diese vielen „Kaiser" waren so ineinander ver¬ flochten, daß keiner sich fre.i regen konnte, daß jeder den andern hinderte. — Nur ein Fürst hatte freie Bewegung. — Die Markgrafen hatten die Hut Deutschlands gegen die östlichen Barbaren, im Süden hatte Oestreich die Aufgabe übernommen, im Norden siel sie Preußen zu. Der große Kurfürst' war der einzige, dn' selbständige Kriege führte; die andern dienten im kaiser¬ lichen Heer; Friedrich Wilhelm hatte es mit den Schweden, mit den Polen zu thun; auch am Rhein gegen Frankreich focht-er für seine eigne» Besitzungen. Nach dem Abfall des Kurfürsten von Sachsen war er der natürliche Vertreter des Protestantismus gegen Oestreich. Sein Staat, der unfertigste von' allen deutschen, trieb ihn mit Naturgewalt zu dem Wunsch, sich zu arrondiren, d. h. zu erobern. Mit seiner kleinen Macht konnte er es nur. vorsichtig thun, er fügte sich dem Neichsverband, aber grade nur soviel, als die Umstände ihn zwangen. Dann kam der Königstitel, dem. Namen »ach auf Pienßen, der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/86
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/86>, abgerufen am 27.08.2024.