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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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schen Reichs willen geführt, nicht um dem deutschen Reich eine verlorene Pro¬
vinz wieder zu erobern, sondern um dem Hause Habsburg die Krone Spa¬
niens zu verschaffen, womit dem deutschen Reich gewiß nicht gedient war.
Das Blut dieses Krieges floß nicht für Deutschland, sondern für den unver¬
ständigen Ehrgeiz des Hauses Habsburg: für den unverständigen, denn es
wußte nicht, was es mit dem Erbe Spaniens anfangen solle.

Während der Regierung Friedrich des Großen hat Frankreich von Deutsch¬
land nichts erworben, denn die Uebertragung Lothringens von Sobiesky an
Frankreich war nur noch ein formeller Act.

Die Fremden hausten mehr als nöthig in Deutschland. Die Schweden
waren in Pommern; als der große Kurfürst sie daraus vertreiben wollte,
hinderte ihn der Kaiser im Einverständnis; mit dem Erbfeind, denn es lag
ihm nichts daran, "daß im Norden ein neues Königreich der Vandalen sich
bildete." Die deutschen Fürsten, die in Deutschland selber sich nicht ausbreiten
konnten, suchten fremde Kronen, und da ihr Schwerpunkt dann nach Außen
fiel, wurde Deutschland durch fremde Interessen bald hie bald dahin, immer
auseinander gerissen. Der Herzog von Holstein war zugleich König von Däne¬
mark, der Kurfürst von Hannover König von England, der Erzherzog von Oestreich
König von Ungarn, der Kurfürst von Sachsen König von Polen. Wie sorgsam auch
das englische Parlament sich hütete, für hannoversche Interessen einzutreten,
sobald England einen Krieg führte, war doch durch die Lage der Dinge Han¬
nover bedroht und mit ihm Deutschland. Die sächsischen Auguste hatten in
Warschau nichts Weiler als eine hohle Krone ohne alle Bedeutung, aber
um dieser Krone willen wurde Sachsen ein Jahr lang von Karl dem Zwölften
geplündert und ausgesogen, um dieser Krone willen ging das deutsche Loth¬
ringen an Frankreich verloren. Von einer deutschen Nation, von einer ent¬
wickelungsfähigen Verfassung war nicht die Rede; die Kaiser hatten die Idee.
Deutschland wirklich zu beherrschen, für immer aufgegeben; sie benutzten das
Reich nur. um Hilfstruppen für die Kriege zu erhalten, die sie um ihrer
Hausmacht willen führten: in Italien, in Belgien, in Ungarn, wenn sie die
dortigen Protestanten durch Verfolgungen zum Aufruhr gereizt hatten. Es ist
hier nicht der Einzelne anzuklagen; die Verfassung war von der Art. daß einer
nur den andern hinderte. Nichts Gutes konnte gethan, wenig Böses konnte
gehindert werden. Jede Reform, auch die nöthigste, wurde durch den Wider¬
spruch des einen oder des andern hintertrieben. Zu groß, um Oestreichs Va¬
sallen zu sei,,, zu klein, um etwas für sich zu bedeuten, stellten die Fürsten
dein Kaiser Hülfstruppen, und auch das nur, wenn sie guter Laune waren,,


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schen Reichs willen geführt, nicht um dem deutschen Reich eine verlorene Pro¬
vinz wieder zu erobern, sondern um dem Hause Habsburg die Krone Spa¬
niens zu verschaffen, womit dem deutschen Reich gewiß nicht gedient war.
Das Blut dieses Krieges floß nicht für Deutschland, sondern für den unver¬
ständigen Ehrgeiz des Hauses Habsburg: für den unverständigen, denn es
wußte nicht, was es mit dem Erbe Spaniens anfangen solle.

Während der Regierung Friedrich des Großen hat Frankreich von Deutsch¬
land nichts erworben, denn die Uebertragung Lothringens von Sobiesky an
Frankreich war nur noch ein formeller Act.

Die Fremden hausten mehr als nöthig in Deutschland. Die Schweden
waren in Pommern; als der große Kurfürst sie daraus vertreiben wollte,
hinderte ihn der Kaiser im Einverständnis; mit dem Erbfeind, denn es lag
ihm nichts daran, „daß im Norden ein neues Königreich der Vandalen sich
bildete." Die deutschen Fürsten, die in Deutschland selber sich nicht ausbreiten
konnten, suchten fremde Kronen, und da ihr Schwerpunkt dann nach Außen
fiel, wurde Deutschland durch fremde Interessen bald hie bald dahin, immer
auseinander gerissen. Der Herzog von Holstein war zugleich König von Däne¬
mark, der Kurfürst von Hannover König von England, der Erzherzog von Oestreich
König von Ungarn, der Kurfürst von Sachsen König von Polen. Wie sorgsam auch
das englische Parlament sich hütete, für hannoversche Interessen einzutreten,
sobald England einen Krieg führte, war doch durch die Lage der Dinge Han¬
nover bedroht und mit ihm Deutschland. Die sächsischen Auguste hatten in
Warschau nichts Weiler als eine hohle Krone ohne alle Bedeutung, aber
um dieser Krone willen wurde Sachsen ein Jahr lang von Karl dem Zwölften
geplündert und ausgesogen, um dieser Krone willen ging das deutsche Loth¬
ringen an Frankreich verloren. Von einer deutschen Nation, von einer ent¬
wickelungsfähigen Verfassung war nicht die Rede; die Kaiser hatten die Idee.
Deutschland wirklich zu beherrschen, für immer aufgegeben; sie benutzten das
Reich nur. um Hilfstruppen für die Kriege zu erhalten, die sie um ihrer
Hausmacht willen führten: in Italien, in Belgien, in Ungarn, wenn sie die
dortigen Protestanten durch Verfolgungen zum Aufruhr gereizt hatten. Es ist
hier nicht der Einzelne anzuklagen; die Verfassung war von der Art. daß einer
nur den andern hinderte. Nichts Gutes konnte gethan, wenig Böses konnte
gehindert werden. Jede Reform, auch die nöthigste, wurde durch den Wider¬
spruch des einen oder des andern hintertrieben. Zu groß, um Oestreichs Va¬
sallen zu sei,,, zu klein, um etwas für sich zu bedeuten, stellten die Fürsten
dein Kaiser Hülfstruppen, und auch das nur, wenn sie guter Laune waren,,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/85>, abgerufen am 27.08.2024.