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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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einen System hat Friedrich durch seinen ersten Frevel, durch die Eroberung
Schlesiens seine Zukunft gebunden; er war zu beständigem Mißtraun gegen
das beleidigte Oestreich genöthigt, und dieses Mißtraun erstickte bei ihm alle
andern politischen Gedanken. Nach dem andern System ging er auf sein
Wintervergnügen aus, sobald er genug zusammen gespart; so 1756, so 1778,
so 1785. Der siebenjährige Krieg sei nicht ein Krieg der Abwehr, sondern
ein Eroberungskrieg gewesen, ebenso" der baycrschc Erbfolgekrieg; in beiden
Fällen habe er sich aber verrechnet und daher seinen Zweck verfehlt.
Es ist richtig, daß Herzbcrgs Denkschrift von 1756 den juristischen Beweis für
den beabsichtigten Friedensbruch von Seiten Oestreichs nicht führt; aber daraus
kommt es auch nicht an. Friedrich erklärte selbst, daß seine Feinde den Krieg
nicht jetzt, sondern später wollten, und daß er ihnen zuvorkam, bevor sie ge¬
rüstet wären. Von dieser Absicht war er moralisch überzeugt: die Stellen,
die Herr Klopp aus seinen spätern Briefen anführt, beweisen gar nichts.
Uebrigens sind wir keineswegs gemeint, die Maxime seines Handelns bei
dieser Gelegenheit als allgemein giltige Maxime aufstellen zu wollen. Was
aber denbaycrschen Erbfolgekrieg betrifft, so thut der Versasser dem König ent¬
schiedenes Unrecht; denn durch diesen kleinen Krieg wurde verhindert, was
Friedrich allein verhindern wollte, das Wachsthum Oestreichs. Der Fürsten-
bund hatte einen ähnlichen Zweck. Gern wollen wir zugeben, daß der erste
Schritt, der Angriff gegen Oestreich und das daraus hervorgehende Mißtraun
nicht wenig dazu beitrug, seiner spätern Politik die beständige Richtung gegen
Oestreich zu geben; aber dieser Gegensatz hatte noch einen tiefern Grund.
Mit sicherm Blick erkannte Friedrich, wo er aufräumen müsse, um der neuen
Schöpfung Platz zu verschaffen. Er hat das Reich nicht zerstört, das als
solches nur auf dem Papier vorhanden war; aber er hat die Anarchie, die
er vorfand, zu einem bestimmten bleibenden Gegensatz zusammengerafft; er
hat den Weg eingeschlagen, auf welchen die Zustände ihn dringend hinwiesen,
er hat dem Gedanken, der seinen Vorfahren mehr oder minder unklar vor¬
schwebte. Leben gegeben; und dieser Weg war der einzige, auf dem für
Deutschland ein neues Leben zu hoffen war.

Die Vorwürfe, er habe Deutschland den Fremden geöffnet, so oft sie sich
wiederholen, sind völlig aus der Luft gegriffen. Die Fremden waren schon
vor Friedrich genug in Deutschland. Frankreich hat vor Friedrich von 1535 bis
1735 dem sogenannten deutschen Reich eine Provinz nach der andern genommen.
Alle diese Provinzen hatte der deutsche Kaiser abgetreten, theils aus Noth,
theils um seinem Haus Erwerbungen zu verschaffen. Die letzte Provinz, die
er abtrat, Lothringen, war ein Austausch gegen Toscana, welches sein Schwieger-
ohn erhielt. Der blutige Krieg, der 1714 endigte, wurde nicht um des denk-


einen System hat Friedrich durch seinen ersten Frevel, durch die Eroberung
Schlesiens seine Zukunft gebunden; er war zu beständigem Mißtraun gegen
das beleidigte Oestreich genöthigt, und dieses Mißtraun erstickte bei ihm alle
andern politischen Gedanken. Nach dem andern System ging er auf sein
Wintervergnügen aus, sobald er genug zusammen gespart; so 1756, so 1778,
so 1785. Der siebenjährige Krieg sei nicht ein Krieg der Abwehr, sondern
ein Eroberungskrieg gewesen, ebenso" der baycrschc Erbfolgekrieg; in beiden
Fällen habe er sich aber verrechnet und daher seinen Zweck verfehlt.
Es ist richtig, daß Herzbcrgs Denkschrift von 1756 den juristischen Beweis für
den beabsichtigten Friedensbruch von Seiten Oestreichs nicht führt; aber daraus
kommt es auch nicht an. Friedrich erklärte selbst, daß seine Feinde den Krieg
nicht jetzt, sondern später wollten, und daß er ihnen zuvorkam, bevor sie ge¬
rüstet wären. Von dieser Absicht war er moralisch überzeugt: die Stellen,
die Herr Klopp aus seinen spätern Briefen anführt, beweisen gar nichts.
Uebrigens sind wir keineswegs gemeint, die Maxime seines Handelns bei
dieser Gelegenheit als allgemein giltige Maxime aufstellen zu wollen. Was
aber denbaycrschen Erbfolgekrieg betrifft, so thut der Versasser dem König ent¬
schiedenes Unrecht; denn durch diesen kleinen Krieg wurde verhindert, was
Friedrich allein verhindern wollte, das Wachsthum Oestreichs. Der Fürsten-
bund hatte einen ähnlichen Zweck. Gern wollen wir zugeben, daß der erste
Schritt, der Angriff gegen Oestreich und das daraus hervorgehende Mißtraun
nicht wenig dazu beitrug, seiner spätern Politik die beständige Richtung gegen
Oestreich zu geben; aber dieser Gegensatz hatte noch einen tiefern Grund.
Mit sicherm Blick erkannte Friedrich, wo er aufräumen müsse, um der neuen
Schöpfung Platz zu verschaffen. Er hat das Reich nicht zerstört, das als
solches nur auf dem Papier vorhanden war; aber er hat die Anarchie, die
er vorfand, zu einem bestimmten bleibenden Gegensatz zusammengerafft; er
hat den Weg eingeschlagen, auf welchen die Zustände ihn dringend hinwiesen,
er hat dem Gedanken, der seinen Vorfahren mehr oder minder unklar vor¬
schwebte. Leben gegeben; und dieser Weg war der einzige, auf dem für
Deutschland ein neues Leben zu hoffen war.

Die Vorwürfe, er habe Deutschland den Fremden geöffnet, so oft sie sich
wiederholen, sind völlig aus der Luft gegriffen. Die Fremden waren schon
vor Friedrich genug in Deutschland. Frankreich hat vor Friedrich von 1535 bis
1735 dem sogenannten deutschen Reich eine Provinz nach der andern genommen.
Alle diese Provinzen hatte der deutsche Kaiser abgetreten, theils aus Noth,
theils um seinem Haus Erwerbungen zu verschaffen. Die letzte Provinz, die
er abtrat, Lothringen, war ein Austausch gegen Toscana, welches sein Schwieger-
ohn erhielt. Der blutige Krieg, der 1714 endigte, wurde nicht um des denk-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/84>, abgerufen am 27.08.2024.