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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Noch unbeholfener sehen die Versuche von Thomasius und andern braven und
ehrlichen Denkern aus. Nicht blos die Worte fehlten, man hatte auch den
Satzbau verlernt. Es wurde erst besser, als zwei einseitige aber consequente
Schulmeister, Wolf und Gottsched, Deutschland förmlich in Zucht nahmen
und ihm das ABC beibrachten. Nachher, als die Deutschen das ABC gelernt,
und ihre Schulmeister verlangten, sie sollten dabei stehn bleiben, wurden sie
mit Recht abgesetzt. Im Jahr 1740 aber, als Friedrich 28 Jahr alt und
der Schule längst entwachsen zur Regierung kam, saßen die Deutschen noch aus
den Schulbänken.

Die andern Nationen. Italiener, Spanier, Franzosen und Engländer, er¬
freuten sich bereits einer reichen und in ihrer Art vortrefflichen Literatur, an
welcher die Großen in Deutschland ihre Neigung zum gebildeten Genuß be¬
friedigten. Das Haus Oestreich führte seiner Verbindung wegen bald die spa¬
nische, bald die italienische Sprache bei Hofe ein; da es aber mit der geisti¬
gen Bewegung der deutscheu Nation in keiner oder nur in geringer Verbin¬
dung stand, so fanden diese Sprachen keine Verbreitung. Die Höfe von
Berlin, Dresden, Hannover, Heidelberg sprachen französisch. Diese Sprache
war in der That damals am meisten geeignet, den Weltverkehr zu unterhalten.
Sie ließ sich erlernen, denn ihre Gesetze waren durch die Akademie streng
geordnet, sie verstattete einen genauen und raschen Ausdruck, sie war so weit
gebildet, daß man eine ganze Reihe sittlicher und ästhetischer Vorstellungen
gewissermaßen mit in den Kauf nahm, sobald man nur die Grammatik lernte.
In keiner Sprache war es möglich, so viel Salbung mit so viel Vernunft zu
verbinden. Die Franzosen -- die Bossuet, Racine u. s. w. -- waren katholisch
und orthodox, aber ihre Sprache zwang sie, den offenbaren Unsinn zu ver¬
meiden. Außerdem besaß die Sprache Geschmeidigkeit genug, durch Witz und
Scharfsinn die hergebrachten Begriffe zu zersetzen, und einen Geist, der nach
Freiheit strebte, ohne zu große Anstrengung in das Spiel ungewöhnlicher Re¬
flexionen einzuführen. Endlich, sie lehrte mit Anstand höflich sein; sie konnte
die unerhörtesten Schmeicheleien aussprechen, ohne in der Form dem Selbst¬
gefühl etwas zu vergeben, während die damalige deutsche Canzleisprache, auch
wo in den Gedanken und Empfindungen sich große Kühnheit versteckt, in der
Form, wie eine Sprache von Knechten aussah.

Friedrichs Vater haßte die Franzosen und ihre Sprache; aber er hatte
es doch nicht gehindert, daß Friedrich selbst im Geist seiner Großmutter So¬
phie Charlotte schon als Kind französisch erzogen wurde. Mit der fran¬
zösischen Sprache nahm er zugleich die gestempelten sittlichen Begriffe der Fran¬
zosen in sein Gedächtniß aus und lernte nach der Analogie derselben reden,
in Versen wie in Prosa -- über Tugend. Ehre, Bildung, Sittlichkeit. Des¬
potismus u. s. w. Ob er auch so zu denken und zu empfinden lernte, ist


Noch unbeholfener sehen die Versuche von Thomasius und andern braven und
ehrlichen Denkern aus. Nicht blos die Worte fehlten, man hatte auch den
Satzbau verlernt. Es wurde erst besser, als zwei einseitige aber consequente
Schulmeister, Wolf und Gottsched, Deutschland förmlich in Zucht nahmen
und ihm das ABC beibrachten. Nachher, als die Deutschen das ABC gelernt,
und ihre Schulmeister verlangten, sie sollten dabei stehn bleiben, wurden sie
mit Recht abgesetzt. Im Jahr 1740 aber, als Friedrich 28 Jahr alt und
der Schule längst entwachsen zur Regierung kam, saßen die Deutschen noch aus
den Schulbänken.

Die andern Nationen. Italiener, Spanier, Franzosen und Engländer, er¬
freuten sich bereits einer reichen und in ihrer Art vortrefflichen Literatur, an
welcher die Großen in Deutschland ihre Neigung zum gebildeten Genuß be¬
friedigten. Das Haus Oestreich führte seiner Verbindung wegen bald die spa¬
nische, bald die italienische Sprache bei Hofe ein; da es aber mit der geisti¬
gen Bewegung der deutscheu Nation in keiner oder nur in geringer Verbin¬
dung stand, so fanden diese Sprachen keine Verbreitung. Die Höfe von
Berlin, Dresden, Hannover, Heidelberg sprachen französisch. Diese Sprache
war in der That damals am meisten geeignet, den Weltverkehr zu unterhalten.
Sie ließ sich erlernen, denn ihre Gesetze waren durch die Akademie streng
geordnet, sie verstattete einen genauen und raschen Ausdruck, sie war so weit
gebildet, daß man eine ganze Reihe sittlicher und ästhetischer Vorstellungen
gewissermaßen mit in den Kauf nahm, sobald man nur die Grammatik lernte.
In keiner Sprache war es möglich, so viel Salbung mit so viel Vernunft zu
verbinden. Die Franzosen — die Bossuet, Racine u. s. w. — waren katholisch
und orthodox, aber ihre Sprache zwang sie, den offenbaren Unsinn zu ver¬
meiden. Außerdem besaß die Sprache Geschmeidigkeit genug, durch Witz und
Scharfsinn die hergebrachten Begriffe zu zersetzen, und einen Geist, der nach
Freiheit strebte, ohne zu große Anstrengung in das Spiel ungewöhnlicher Re¬
flexionen einzuführen. Endlich, sie lehrte mit Anstand höflich sein; sie konnte
die unerhörtesten Schmeicheleien aussprechen, ohne in der Form dem Selbst¬
gefühl etwas zu vergeben, während die damalige deutsche Canzleisprache, auch
wo in den Gedanken und Empfindungen sich große Kühnheit versteckt, in der
Form, wie eine Sprache von Knechten aussah.

Friedrichs Vater haßte die Franzosen und ihre Sprache; aber er hatte
es doch nicht gehindert, daß Friedrich selbst im Geist seiner Großmutter So¬
phie Charlotte schon als Kind französisch erzogen wurde. Mit der fran¬
zösischen Sprache nahm er zugleich die gestempelten sittlichen Begriffe der Fran¬
zosen in sein Gedächtniß aus und lernte nach der Analogie derselben reden,
in Versen wie in Prosa — über Tugend. Ehre, Bildung, Sittlichkeit. Des¬
potismus u. s. w. Ob er auch so zu denken und zu empfinden lernte, ist


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/80>, abgerufen am 27.08.2024.