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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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hat. sehr gefördert worden; aber für ein Zeitalter der Kritik sind diese Bon¬
mots wieder sehr bedenklich.

Indessen verzeiht man auch die Härte, wenn sie mit einer gewissen Gran¬
dezza auftritt. Ein Mongolenfürst, dem eine halbe Million folgt, kann viele
Greuelthaten begehen: da er gegen seine Umgebung allmächtig ist, so nimmt
seine Willkür etwas Göttliches an und äußert sich mitunter auch wol als
Großmuth. Schwerer verzeiht man vom ästhetischen Standpunkt die List.
Die Anfänge mongolischer Herrschaft verlieren sich ins Dunkle. Durch welche
Winkelzüge sich der Eroberer an die Spitze seiner halben Million gestellt, ist
nicht bekannt: sobald er in Scene tritt, ist er der Herr, der Allmächtige. Wo
aber der Schwächere zu großer Macht emporstrebe, da wird er das Hilfsmittel
der Politik nicht entbehren können, und soviel der Mythus gearbeitet haben
mag. die Spuren des Kleinlichen zu verwischen, die Kritik entdeckt sie doch.
Die Empfindung also, welche Friedrichs Geschichte erregt, wird je nach dem
Gesichtspunkt, den der Beschauer einnimmt, sehr verschieden ausfallen. Aber
es kommt noch ein ganz eigenthümlicher Umstand hinzu.

Wir hatten in Prima einen geistvollen Lehrer, der sich bei dem deutschen
Aufsatz nicht blos auf die äußere Correctur beschränkte, sondern uns in die
richtige Methode einzuführen suchte. Er nahm u. a. die Charakteristik Fried¬
rich des Großen mit uns durch. Zuerst zeigte er. daß wir das gesammte
Material nach einer bestimmten Ordnung classificiren müßten: Friedrichs Eigen¬
schaften als Staatsmann, als Feldherr u. f. w.; wenn wir hier in den einzel¬
nen Fächern alles zusammen hätten, müßten wir untersuchen, welches für uns
das wichtigste sei? dieses müßte der leitende Gesichtspunkt für den ganzen Auf¬
satz sein, und alle andere Fächer müßten sich demselben unterordnen, alle von
dieser Perspective aus betrachtet werden. Unter den verschiedenen Eigenschaften
Friedrichs wurde auch erwähnt, daß er Poet und Schriftsteller gewesen. In¬
dem wir nun itnser Gutachten abzugeben und zu begründen hatten, welche
von Friedrichs Eigenschaften in den Mittelpunkt zu stellen sei. kamen wir alle
darin überein. daß es die Schriftstellerei entschieden nicht sein könne. Zu unsrer
äußersten Verwunderung bemerkte der Lehrer, daß es doch wol geschehen könne,
wenn man es nur geschickt anzufangen wisse.

Er gab dem Einfall keine weitere Folge. Gewiß wäre er aber nicht
weniger verwundert gewesen, als wir. wenn er gewußt hätte, daß noch in
demselben Jahre oder ein bis zwei Jahre später der Einfall wirklich von einem
großen Schriftsteller durchgeführt werden sollte. Denn das ist das Charakte¬
ristische von Macaulay's Aufsatz, daß ihm Friedrichs Schriftstellerei den Ge¬
sichtspunkt für die Würdigung des ganzen Menschen gibt.

Unmittelbare schriftliche Auszeichnungen gehören gewiß zu den wichtigsten
Momenten in der Beurtheilung einer historischen Person; theils um die That-


hat. sehr gefördert worden; aber für ein Zeitalter der Kritik sind diese Bon¬
mots wieder sehr bedenklich.

Indessen verzeiht man auch die Härte, wenn sie mit einer gewissen Gran¬
dezza auftritt. Ein Mongolenfürst, dem eine halbe Million folgt, kann viele
Greuelthaten begehen: da er gegen seine Umgebung allmächtig ist, so nimmt
seine Willkür etwas Göttliches an und äußert sich mitunter auch wol als
Großmuth. Schwerer verzeiht man vom ästhetischen Standpunkt die List.
Die Anfänge mongolischer Herrschaft verlieren sich ins Dunkle. Durch welche
Winkelzüge sich der Eroberer an die Spitze seiner halben Million gestellt, ist
nicht bekannt: sobald er in Scene tritt, ist er der Herr, der Allmächtige. Wo
aber der Schwächere zu großer Macht emporstrebe, da wird er das Hilfsmittel
der Politik nicht entbehren können, und soviel der Mythus gearbeitet haben
mag. die Spuren des Kleinlichen zu verwischen, die Kritik entdeckt sie doch.
Die Empfindung also, welche Friedrichs Geschichte erregt, wird je nach dem
Gesichtspunkt, den der Beschauer einnimmt, sehr verschieden ausfallen. Aber
es kommt noch ein ganz eigenthümlicher Umstand hinzu.

Wir hatten in Prima einen geistvollen Lehrer, der sich bei dem deutschen
Aufsatz nicht blos auf die äußere Correctur beschränkte, sondern uns in die
richtige Methode einzuführen suchte. Er nahm u. a. die Charakteristik Fried¬
rich des Großen mit uns durch. Zuerst zeigte er. daß wir das gesammte
Material nach einer bestimmten Ordnung classificiren müßten: Friedrichs Eigen¬
schaften als Staatsmann, als Feldherr u. f. w.; wenn wir hier in den einzel¬
nen Fächern alles zusammen hätten, müßten wir untersuchen, welches für uns
das wichtigste sei? dieses müßte der leitende Gesichtspunkt für den ganzen Auf¬
satz sein, und alle andere Fächer müßten sich demselben unterordnen, alle von
dieser Perspective aus betrachtet werden. Unter den verschiedenen Eigenschaften
Friedrichs wurde auch erwähnt, daß er Poet und Schriftsteller gewesen. In¬
dem wir nun itnser Gutachten abzugeben und zu begründen hatten, welche
von Friedrichs Eigenschaften in den Mittelpunkt zu stellen sei. kamen wir alle
darin überein. daß es die Schriftstellerei entschieden nicht sein könne. Zu unsrer
äußersten Verwunderung bemerkte der Lehrer, daß es doch wol geschehen könne,
wenn man es nur geschickt anzufangen wisse.

Er gab dem Einfall keine weitere Folge. Gewiß wäre er aber nicht
weniger verwundert gewesen, als wir. wenn er gewußt hätte, daß noch in
demselben Jahre oder ein bis zwei Jahre später der Einfall wirklich von einem
großen Schriftsteller durchgeführt werden sollte. Denn das ist das Charakte¬
ristische von Macaulay's Aufsatz, daß ihm Friedrichs Schriftstellerei den Ge¬
sichtspunkt für die Würdigung des ganzen Menschen gibt.

Unmittelbare schriftliche Auszeichnungen gehören gewiß zu den wichtigsten
Momenten in der Beurtheilung einer historischen Person; theils um die That-


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[0078] hat. sehr gefördert worden; aber für ein Zeitalter der Kritik sind diese Bon¬ mots wieder sehr bedenklich. Indessen verzeiht man auch die Härte, wenn sie mit einer gewissen Gran¬ dezza auftritt. Ein Mongolenfürst, dem eine halbe Million folgt, kann viele Greuelthaten begehen: da er gegen seine Umgebung allmächtig ist, so nimmt seine Willkür etwas Göttliches an und äußert sich mitunter auch wol als Großmuth. Schwerer verzeiht man vom ästhetischen Standpunkt die List. Die Anfänge mongolischer Herrschaft verlieren sich ins Dunkle. Durch welche Winkelzüge sich der Eroberer an die Spitze seiner halben Million gestellt, ist nicht bekannt: sobald er in Scene tritt, ist er der Herr, der Allmächtige. Wo aber der Schwächere zu großer Macht emporstrebe, da wird er das Hilfsmittel der Politik nicht entbehren können, und soviel der Mythus gearbeitet haben mag. die Spuren des Kleinlichen zu verwischen, die Kritik entdeckt sie doch. Die Empfindung also, welche Friedrichs Geschichte erregt, wird je nach dem Gesichtspunkt, den der Beschauer einnimmt, sehr verschieden ausfallen. Aber es kommt noch ein ganz eigenthümlicher Umstand hinzu. Wir hatten in Prima einen geistvollen Lehrer, der sich bei dem deutschen Aufsatz nicht blos auf die äußere Correctur beschränkte, sondern uns in die richtige Methode einzuführen suchte. Er nahm u. a. die Charakteristik Fried¬ rich des Großen mit uns durch. Zuerst zeigte er. daß wir das gesammte Material nach einer bestimmten Ordnung classificiren müßten: Friedrichs Eigen¬ schaften als Staatsmann, als Feldherr u. f. w.; wenn wir hier in den einzel¬ nen Fächern alles zusammen hätten, müßten wir untersuchen, welches für uns das wichtigste sei? dieses müßte der leitende Gesichtspunkt für den ganzen Auf¬ satz sein, und alle andere Fächer müßten sich demselben unterordnen, alle von dieser Perspective aus betrachtet werden. Unter den verschiedenen Eigenschaften Friedrichs wurde auch erwähnt, daß er Poet und Schriftsteller gewesen. In¬ dem wir nun itnser Gutachten abzugeben und zu begründen hatten, welche von Friedrichs Eigenschaften in den Mittelpunkt zu stellen sei. kamen wir alle darin überein. daß es die Schriftstellerei entschieden nicht sein könne. Zu unsrer äußersten Verwunderung bemerkte der Lehrer, daß es doch wol geschehen könne, wenn man es nur geschickt anzufangen wisse. Er gab dem Einfall keine weitere Folge. Gewiß wäre er aber nicht weniger verwundert gewesen, als wir. wenn er gewußt hätte, daß noch in demselben Jahre oder ein bis zwei Jahre später der Einfall wirklich von einem großen Schriftsteller durchgeführt werden sollte. Denn das ist das Charakte¬ ristische von Macaulay's Aufsatz, daß ihm Friedrichs Schriftstellerei den Ge¬ sichtspunkt für die Würdigung des ganzen Menschen gibt. Unmittelbare schriftliche Auszeichnungen gehören gewiß zu den wichtigsten Momenten in der Beurtheilung einer historischen Person; theils um die That-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/78>, abgerufen am 27.08.2024.