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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Die Wendung, welche der letzte Band dieser Geschichte nahm, schien dem Land-
rathscollegium von Ostfriesland nicht mehr objectiv, sondern tendentiös; es
entzog ihm die bisher bewilligte Unterstützung, wofür ihn die hannöversche
Regierung entschädigte. Gegen die ausgesprochene Tendenz der gegenwärtigen
Schrift wird Graf Borries nichts einzuwenden haben, sie wird ihm viel¬
mehr sehr genehm sein. Aber im Geist des Verfassers scheint uns ein Trieb
der Konsequenz zu liegen, die ihn auf der Bahn der "ghibellinischen" Politik
noch über den Grafen Borries hinausführen wird.

Die Tendenz der Schrift ist die Verurtheilung des Dualismus zwischen
Oestreich und Preußen, und die Anklage gegen den König, daß er einzig und
allein diesen Dualismus herbeigeführt habe. Alles andere ist Beiwerk, und
namentlich der Zorn gegen Friedrich gilt nicht dem unsittlichen Menschen, als
welcher er hier erscheint, sondern dem politischen Gegner. Diese politische
Seite der Schrift soll auch hier hauptsächlich ins Auge gefaßt werden. Doch
muß über die Art und Weise, wie das sittliche Bild Friedrichs zu Stande ge¬
bracht ist, vorher noch einiges gesagt werden.

Die größere Zahl der Männer, welchen die Geschichte den Beinamen des
Großen gibt, waren Eroberer. Jeder Eroberer verursacht seinem Zeitalter
schwere Leiden, die mit der Zeit in Vergessenheit gerathen. Die Nachwelt
sieht die Thaten des großen Mannes aus der Ferne und macht sich aus dem
Ganzen seines Lebens ein Bild, dem immer etwas Mythisches anklebt. Die
historische Kritik wird gegen dieses mythische Bild sehr viel einzuwenden ha¬
ben; wenn sie aber weise ist, so wird sie es nicht ganz außer Acht lassen,
sondern sich zu erklären suchen, woraus dasselbe sich gründet; denn sie muß
sich stets daran erinnern, daß die Genauigkeit des Details noch lange nicht
die Aehnlichkeit des Portraits bedingt, und daß sich der Geist eines großen
Menschen in der Ueberlieferung oft richtiger ausspricht, als in einzelnen au¬
thentischen Urkunden. '

Jeder Eroberer, ja im weitern Sinn jeder Gründer eines neuen Lebens¬
elements muß Altes zerstören. Dazu gehört eine gewisse Härte des Gemüths
und ein Mangel an Pietät gegen überlieferte für heilig gehaltene Satzungen.
Man erzählt von Friedrich, daß er einmal ein suchendes Bataillon mit den
Worten zurückgetrieben habe: Ihr Racker, wollt ihr denn ewig leben? --
Das klingt entsetzlich, wenn man sich auf seinem Zimmer mit den Lehren der
Weisheit und Tugend beschäftigt; auch soll die Aeußerung nicht gelobt wer¬
den. Aber genau so, ohne alle Ausnahme, empfindet jeder Feldherr in der
Schlacht. Wenn nicht jeder Feldherr so massenhaft die Menschen abschlachten
läßt wie Suworow, so ist das, weil nicht jeder mit seinem Material so ver¬
schwenderisch umgehn kann; Humanitätsrücksichten halten keinen zurück. Der
Mythus von Friedrich ist durch die zahlreichen Bonmots, die man von ihm


9*

Die Wendung, welche der letzte Band dieser Geschichte nahm, schien dem Land-
rathscollegium von Ostfriesland nicht mehr objectiv, sondern tendentiös; es
entzog ihm die bisher bewilligte Unterstützung, wofür ihn die hannöversche
Regierung entschädigte. Gegen die ausgesprochene Tendenz der gegenwärtigen
Schrift wird Graf Borries nichts einzuwenden haben, sie wird ihm viel¬
mehr sehr genehm sein. Aber im Geist des Verfassers scheint uns ein Trieb
der Konsequenz zu liegen, die ihn auf der Bahn der „ghibellinischen" Politik
noch über den Grafen Borries hinausführen wird.

Die Tendenz der Schrift ist die Verurtheilung des Dualismus zwischen
Oestreich und Preußen, und die Anklage gegen den König, daß er einzig und
allein diesen Dualismus herbeigeführt habe. Alles andere ist Beiwerk, und
namentlich der Zorn gegen Friedrich gilt nicht dem unsittlichen Menschen, als
welcher er hier erscheint, sondern dem politischen Gegner. Diese politische
Seite der Schrift soll auch hier hauptsächlich ins Auge gefaßt werden. Doch
muß über die Art und Weise, wie das sittliche Bild Friedrichs zu Stande ge¬
bracht ist, vorher noch einiges gesagt werden.

Die größere Zahl der Männer, welchen die Geschichte den Beinamen des
Großen gibt, waren Eroberer. Jeder Eroberer verursacht seinem Zeitalter
schwere Leiden, die mit der Zeit in Vergessenheit gerathen. Die Nachwelt
sieht die Thaten des großen Mannes aus der Ferne und macht sich aus dem
Ganzen seines Lebens ein Bild, dem immer etwas Mythisches anklebt. Die
historische Kritik wird gegen dieses mythische Bild sehr viel einzuwenden ha¬
ben; wenn sie aber weise ist, so wird sie es nicht ganz außer Acht lassen,
sondern sich zu erklären suchen, woraus dasselbe sich gründet; denn sie muß
sich stets daran erinnern, daß die Genauigkeit des Details noch lange nicht
die Aehnlichkeit des Portraits bedingt, und daß sich der Geist eines großen
Menschen in der Ueberlieferung oft richtiger ausspricht, als in einzelnen au¬
thentischen Urkunden. '

Jeder Eroberer, ja im weitern Sinn jeder Gründer eines neuen Lebens¬
elements muß Altes zerstören. Dazu gehört eine gewisse Härte des Gemüths
und ein Mangel an Pietät gegen überlieferte für heilig gehaltene Satzungen.
Man erzählt von Friedrich, daß er einmal ein suchendes Bataillon mit den
Worten zurückgetrieben habe: Ihr Racker, wollt ihr denn ewig leben? —
Das klingt entsetzlich, wenn man sich auf seinem Zimmer mit den Lehren der
Weisheit und Tugend beschäftigt; auch soll die Aeußerung nicht gelobt wer¬
den. Aber genau so, ohne alle Ausnahme, empfindet jeder Feldherr in der
Schlacht. Wenn nicht jeder Feldherr so massenhaft die Menschen abschlachten
läßt wie Suworow, so ist das, weil nicht jeder mit seinem Material so ver¬
schwenderisch umgehn kann; Humanitätsrücksichten halten keinen zurück. Der
Mythus von Friedrich ist durch die zahlreichen Bonmots, die man von ihm


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[0077] Die Wendung, welche der letzte Band dieser Geschichte nahm, schien dem Land- rathscollegium von Ostfriesland nicht mehr objectiv, sondern tendentiös; es entzog ihm die bisher bewilligte Unterstützung, wofür ihn die hannöversche Regierung entschädigte. Gegen die ausgesprochene Tendenz der gegenwärtigen Schrift wird Graf Borries nichts einzuwenden haben, sie wird ihm viel¬ mehr sehr genehm sein. Aber im Geist des Verfassers scheint uns ein Trieb der Konsequenz zu liegen, die ihn auf der Bahn der „ghibellinischen" Politik noch über den Grafen Borries hinausführen wird. Die Tendenz der Schrift ist die Verurtheilung des Dualismus zwischen Oestreich und Preußen, und die Anklage gegen den König, daß er einzig und allein diesen Dualismus herbeigeführt habe. Alles andere ist Beiwerk, und namentlich der Zorn gegen Friedrich gilt nicht dem unsittlichen Menschen, als welcher er hier erscheint, sondern dem politischen Gegner. Diese politische Seite der Schrift soll auch hier hauptsächlich ins Auge gefaßt werden. Doch muß über die Art und Weise, wie das sittliche Bild Friedrichs zu Stande ge¬ bracht ist, vorher noch einiges gesagt werden. Die größere Zahl der Männer, welchen die Geschichte den Beinamen des Großen gibt, waren Eroberer. Jeder Eroberer verursacht seinem Zeitalter schwere Leiden, die mit der Zeit in Vergessenheit gerathen. Die Nachwelt sieht die Thaten des großen Mannes aus der Ferne und macht sich aus dem Ganzen seines Lebens ein Bild, dem immer etwas Mythisches anklebt. Die historische Kritik wird gegen dieses mythische Bild sehr viel einzuwenden ha¬ ben; wenn sie aber weise ist, so wird sie es nicht ganz außer Acht lassen, sondern sich zu erklären suchen, woraus dasselbe sich gründet; denn sie muß sich stets daran erinnern, daß die Genauigkeit des Details noch lange nicht die Aehnlichkeit des Portraits bedingt, und daß sich der Geist eines großen Menschen in der Ueberlieferung oft richtiger ausspricht, als in einzelnen au¬ thentischen Urkunden. ' Jeder Eroberer, ja im weitern Sinn jeder Gründer eines neuen Lebens¬ elements muß Altes zerstören. Dazu gehört eine gewisse Härte des Gemüths und ein Mangel an Pietät gegen überlieferte für heilig gehaltene Satzungen. Man erzählt von Friedrich, daß er einmal ein suchendes Bataillon mit den Worten zurückgetrieben habe: Ihr Racker, wollt ihr denn ewig leben? — Das klingt entsetzlich, wenn man sich auf seinem Zimmer mit den Lehren der Weisheit und Tugend beschäftigt; auch soll die Aeußerung nicht gelobt wer¬ den. Aber genau so, ohne alle Ausnahme, empfindet jeder Feldherr in der Schlacht. Wenn nicht jeder Feldherr so massenhaft die Menschen abschlachten läßt wie Suworow, so ist das, weil nicht jeder mit seinem Material so ver¬ schwenderisch umgehn kann; Humanitätsrücksichten halten keinen zurück. Der Mythus von Friedrich ist durch die zahlreichen Bonmots, die man von ihm 9*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/77>, abgerufen am 27.08.2024.