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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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diesen gewaltigen Menschen so zu zeichnen, wie es dem Künstler ziemt. Frie¬
drich erscheint als ein Dämon, zum Unheil der Menschen geboren, aber als
ein Dämon, auf dessen Stirn ein Funke jenes göttlichen Lichtes blitzt, das
Milton anch in dem Fürsten aller Empörer, in Lucifer entdeckte.

Herr Ouro Klopp besitzt dieses künstlerische Gefühl nicht. Er wieder¬
holt die Anklagen Macaulay's, vermehrt sie mit neuen, politischen und mora¬
lischen, aber er gibt ihnen kein Gegengewicht. Von der Führung des großen
Krieges wird weiter nichts erzählt, als daß Friedrich die Franzosen bei Ro߬
bach wider seinen Willen schlug, und daß er sich das Geld zu diesem Kriege
durch greuliche Erpressung verschaffte. Vielleicht ist das nur Bescheidenheit:
er ist kein Militär, und fühlt sich der. Aufgabe, einen Feldzug zu schildern
nicht gewachsen. Aber er thut mehr: er deutet verblümter Weise an, daß der
Glaube an Friedrichs Feldherrntalent wol eben so windig sein dürfte, als
der Glaube an seine sonstigen Vorzüge. Er erzählt, daß,Prinz Heinrich zu
Reinsberg den Helden des siebenjährigen Krieges Denkmäler errichtet habe,
und daß Friedrich unter denselben nicht gewesen sei. Er erzählt das in jener
mysteriösen Weise, die den Leser ein schwarzes Geheimniß vermuthen läßt, in
derselben Weise, wie er z. B. erzählt, daß Friedrich Wilhelm I., als er seinen
Sohn zum Tode verurtheilte, wol noch ein anderes Verbrechen desselben im
Auge gehabt haben könne, als den Versuch der Desertion. Was für eins?
Herr Klopp beobachtet darüber ein schauerliches Schweigen, aber die Atmo¬
sphäre, die man in seiner Schrift athmet und die stark an Eugen Tue erinnert,
läßt bei dem arglosen Leser keiner andern Vermuthung Raum als: Versuch
des Vatermordes. Friedrich Wilhelm I. hat seinem Sohn zu verstehen gege¬
ben, er könne ihm noch Vieles vorwerfen. Zwar befand er sich, als er das
sagte, in einem völlig unzurechnungsfähigen Zustand; er befand sich oft in
einem solchen Zustand, Herr Klopp macht es selbst bemerklich, wo es darauf
ankommt, die Anklagen des Königs gegen Oestreich als nichtig darzustellen;
aber hier, wo es gilt, in dem Leser einen angenehmen Gespensterschauer zu
erregen, vergißt er diesen Umstand. Friedrich war von seinem Vater aus
jede erdenkliche Weise gemißhandelt worden, er konnte täglich noch ärgere Mi߬
handlungen erwarten; daß er sich bemühte zu entlaufen, war sehr natürlich;
daß der König die Desertion eines Offiziers als den furchtbarsten Frevel gegen
Gott ansah, daß er es noch für eine gelinde Strafe hielt, den Malificcmten
wir glühenden Zangen zu zwicken und dann zu viertheilen, ist bekannt, und
Herr Klopp erzählt es selbst, daß er also in der Stimmung war, sich seinen
Sohn in seinen Phantasien noch schwärzer als Judas Jschariot auszumalen,
darf keinen überraschen, der mit seiner Redeweise vertraut ist. Aber Herr
Klopp, der seinen Eugen Sue wohl gelesen hat, läßt seine Phantasie anregen
und ahnt etwas Entsetzliches. Er spricht das Wort des Vatermordes nicht


Grenzboten I. 1861. 9

diesen gewaltigen Menschen so zu zeichnen, wie es dem Künstler ziemt. Frie¬
drich erscheint als ein Dämon, zum Unheil der Menschen geboren, aber als
ein Dämon, auf dessen Stirn ein Funke jenes göttlichen Lichtes blitzt, das
Milton anch in dem Fürsten aller Empörer, in Lucifer entdeckte.

Herr Ouro Klopp besitzt dieses künstlerische Gefühl nicht. Er wieder¬
holt die Anklagen Macaulay's, vermehrt sie mit neuen, politischen und mora¬
lischen, aber er gibt ihnen kein Gegengewicht. Von der Führung des großen
Krieges wird weiter nichts erzählt, als daß Friedrich die Franzosen bei Ro߬
bach wider seinen Willen schlug, und daß er sich das Geld zu diesem Kriege
durch greuliche Erpressung verschaffte. Vielleicht ist das nur Bescheidenheit:
er ist kein Militär, und fühlt sich der. Aufgabe, einen Feldzug zu schildern
nicht gewachsen. Aber er thut mehr: er deutet verblümter Weise an, daß der
Glaube an Friedrichs Feldherrntalent wol eben so windig sein dürfte, als
der Glaube an seine sonstigen Vorzüge. Er erzählt, daß,Prinz Heinrich zu
Reinsberg den Helden des siebenjährigen Krieges Denkmäler errichtet habe,
und daß Friedrich unter denselben nicht gewesen sei. Er erzählt das in jener
mysteriösen Weise, die den Leser ein schwarzes Geheimniß vermuthen läßt, in
derselben Weise, wie er z. B. erzählt, daß Friedrich Wilhelm I., als er seinen
Sohn zum Tode verurtheilte, wol noch ein anderes Verbrechen desselben im
Auge gehabt haben könne, als den Versuch der Desertion. Was für eins?
Herr Klopp beobachtet darüber ein schauerliches Schweigen, aber die Atmo¬
sphäre, die man in seiner Schrift athmet und die stark an Eugen Tue erinnert,
läßt bei dem arglosen Leser keiner andern Vermuthung Raum als: Versuch
des Vatermordes. Friedrich Wilhelm I. hat seinem Sohn zu verstehen gege¬
ben, er könne ihm noch Vieles vorwerfen. Zwar befand er sich, als er das
sagte, in einem völlig unzurechnungsfähigen Zustand; er befand sich oft in
einem solchen Zustand, Herr Klopp macht es selbst bemerklich, wo es darauf
ankommt, die Anklagen des Königs gegen Oestreich als nichtig darzustellen;
aber hier, wo es gilt, in dem Leser einen angenehmen Gespensterschauer zu
erregen, vergißt er diesen Umstand. Friedrich war von seinem Vater aus
jede erdenkliche Weise gemißhandelt worden, er konnte täglich noch ärgere Mi߬
handlungen erwarten; daß er sich bemühte zu entlaufen, war sehr natürlich;
daß der König die Desertion eines Offiziers als den furchtbarsten Frevel gegen
Gott ansah, daß er es noch für eine gelinde Strafe hielt, den Malificcmten
wir glühenden Zangen zu zwicken und dann zu viertheilen, ist bekannt, und
Herr Klopp erzählt es selbst, daß er also in der Stimmung war, sich seinen
Sohn in seinen Phantasien noch schwärzer als Judas Jschariot auszumalen,
darf keinen überraschen, der mit seiner Redeweise vertraut ist. Aber Herr
Klopp, der seinen Eugen Sue wohl gelesen hat, läßt seine Phantasie anregen
und ahnt etwas Entsetzliches. Er spricht das Wort des Vatermordes nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/75>, abgerufen am 26.08.2024.