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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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freie Concurrenten auf den Schauplatz der orientalischen Politik und Rußland
würde sich die Erbschaft der Sultane mehr und mehr entgleiten sehen.

Die Bemerkung, welche der Verfasser im Eifer für die russischen Pläne
im Osten ausgesprochen hat, veranlaßte uns zu dieser Darlegung. Die
russische Politik hat ein Interesse, ein stärkeres Italien zu schaffen, als stärkere
Hemmung Oestreichs; aber sie hat auch die Neigung zwischen beiden den
Erisapfel zu lassen, welcher sie untereinander ewig entzweit und beiden die
freie Hand uach dem Terrain hin bindet, welches Rußland allein für sich be¬
bauen und dereinst besetzen möchte. Dies zu zeigen, schien uns nützlich.
Andrerseits aber mußten wir darauf hindeuten, wie mit der gründlichen Hei¬
lung des italienischen Schadens sich die Situation auch an andern Stellen
klärt und die Politik in vernünftigere Richtungen gelenkt wird.

Abgesehen nun aber von diesem Mißton in der Deduction des Verfassers.,
müssen wir darauf aufmerksam machen, daß derselbe zu dem Satze von der
Unabhängigkeit und Freiheit Italiens vom Standpunkte des europäischen
Gleichgewichts gelangt. Vom Rechte der Italiener, von ihrer Befähigung sich selbst
zu regieren, von ihrem Bedürfniß nach Wohlergehen, von den Wohlthaten,
die ein gedeihendes Stnatslebcn in dem Apcnninenlande für seine Nachbarn mit
sich bringen wird, ist in der ganzen Schrift nicht die Rede. Wir machen dem
Verfasser daraus keinen Vorwurf; nach dem Titel hatte er sich nur vorge¬
nommen von den europäischen Interessen in Italien, nicht von den Interessen
Italiens zu Haus und in Europa zu sprechen.

Es freut uns also zu sehen, daß die kaltbcrechnende Cnbinetspolitik mit
den Forderungen der Humanität und Civilisation und den Sympathien der
Volker im Wesen übereinstimmt. Wiederholt aber wollen wir darauf hin¬
weisen, daß die Großmacht Italien aus die Gestaltung des cmopäischen
Gleichgewichts von jetzt ab einen großen Einfluß üben und.daß man in Zu¬
kunft auch darnach wird fragen müssen, was Italien wünscht und will.

So unbequem und unangenehm dies manchem Staatsmann sein mag,
sie werden doch alle wohlthun, bei Zeiten sich daran zu gewöhnen, mit diesem
neue" Factor und zwar nicht als einem passiven, sondern activen zu rechnen.




freie Concurrenten auf den Schauplatz der orientalischen Politik und Rußland
würde sich die Erbschaft der Sultane mehr und mehr entgleiten sehen.

Die Bemerkung, welche der Verfasser im Eifer für die russischen Pläne
im Osten ausgesprochen hat, veranlaßte uns zu dieser Darlegung. Die
russische Politik hat ein Interesse, ein stärkeres Italien zu schaffen, als stärkere
Hemmung Oestreichs; aber sie hat auch die Neigung zwischen beiden den
Erisapfel zu lassen, welcher sie untereinander ewig entzweit und beiden die
freie Hand uach dem Terrain hin bindet, welches Rußland allein für sich be¬
bauen und dereinst besetzen möchte. Dies zu zeigen, schien uns nützlich.
Andrerseits aber mußten wir darauf hindeuten, wie mit der gründlichen Hei¬
lung des italienischen Schadens sich die Situation auch an andern Stellen
klärt und die Politik in vernünftigere Richtungen gelenkt wird.

Abgesehen nun aber von diesem Mißton in der Deduction des Verfassers.,
müssen wir darauf aufmerksam machen, daß derselbe zu dem Satze von der
Unabhängigkeit und Freiheit Italiens vom Standpunkte des europäischen
Gleichgewichts gelangt. Vom Rechte der Italiener, von ihrer Befähigung sich selbst
zu regieren, von ihrem Bedürfniß nach Wohlergehen, von den Wohlthaten,
die ein gedeihendes Stnatslebcn in dem Apcnninenlande für seine Nachbarn mit
sich bringen wird, ist in der ganzen Schrift nicht die Rede. Wir machen dem
Verfasser daraus keinen Vorwurf; nach dem Titel hatte er sich nur vorge¬
nommen von den europäischen Interessen in Italien, nicht von den Interessen
Italiens zu Haus und in Europa zu sprechen.

Es freut uns also zu sehen, daß die kaltbcrechnende Cnbinetspolitik mit
den Forderungen der Humanität und Civilisation und den Sympathien der
Volker im Wesen übereinstimmt. Wiederholt aber wollen wir darauf hin¬
weisen, daß die Großmacht Italien aus die Gestaltung des cmopäischen
Gleichgewichts von jetzt ab einen großen Einfluß üben und.daß man in Zu¬
kunft auch darnach wird fragen müssen, was Italien wünscht und will.

So unbequem und unangenehm dies manchem Staatsmann sein mag,
sie werden doch alle wohlthun, bei Zeiten sich daran zu gewöhnen, mit diesem
neue» Factor und zwar nicht als einem passiven, sondern activen zu rechnen.




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[0055] freie Concurrenten auf den Schauplatz der orientalischen Politik und Rußland würde sich die Erbschaft der Sultane mehr und mehr entgleiten sehen. Die Bemerkung, welche der Verfasser im Eifer für die russischen Pläne im Osten ausgesprochen hat, veranlaßte uns zu dieser Darlegung. Die russische Politik hat ein Interesse, ein stärkeres Italien zu schaffen, als stärkere Hemmung Oestreichs; aber sie hat auch die Neigung zwischen beiden den Erisapfel zu lassen, welcher sie untereinander ewig entzweit und beiden die freie Hand uach dem Terrain hin bindet, welches Rußland allein für sich be¬ bauen und dereinst besetzen möchte. Dies zu zeigen, schien uns nützlich. Andrerseits aber mußten wir darauf hindeuten, wie mit der gründlichen Hei¬ lung des italienischen Schadens sich die Situation auch an andern Stellen klärt und die Politik in vernünftigere Richtungen gelenkt wird. Abgesehen nun aber von diesem Mißton in der Deduction des Verfassers., müssen wir darauf aufmerksam machen, daß derselbe zu dem Satze von der Unabhängigkeit und Freiheit Italiens vom Standpunkte des europäischen Gleichgewichts gelangt. Vom Rechte der Italiener, von ihrer Befähigung sich selbst zu regieren, von ihrem Bedürfniß nach Wohlergehen, von den Wohlthaten, die ein gedeihendes Stnatslebcn in dem Apcnninenlande für seine Nachbarn mit sich bringen wird, ist in der ganzen Schrift nicht die Rede. Wir machen dem Verfasser daraus keinen Vorwurf; nach dem Titel hatte er sich nur vorge¬ nommen von den europäischen Interessen in Italien, nicht von den Interessen Italiens zu Haus und in Europa zu sprechen. Es freut uns also zu sehen, daß die kaltbcrechnende Cnbinetspolitik mit den Forderungen der Humanität und Civilisation und den Sympathien der Volker im Wesen übereinstimmt. Wiederholt aber wollen wir darauf hin¬ weisen, daß die Großmacht Italien aus die Gestaltung des cmopäischen Gleichgewichts von jetzt ab einen großen Einfluß üben und.daß man in Zu¬ kunft auch darnach wird fragen müssen, was Italien wünscht und will. So unbequem und unangenehm dies manchem Staatsmann sein mag, sie werden doch alle wohlthun, bei Zeiten sich daran zu gewöhnen, mit diesem neue» Factor und zwar nicht als einem passiven, sondern activen zu rechnen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/55>, abgerufen am 22.07.2024.