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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Was uns der Sommer bringt, nimmt uns der Tod. Veilchen, Rosen bringt
uns der Sommer." Zuletzt trägt man den Tod an das Wasser und wirft
ihn hinein. Anderwärts ersäuft man ihn beim Sonnenuntergang, und dann
erst begeben sich die Mädchen in den Wald', hauen ein junges Bäumchen,
das sie mit einer weiblichen Puppe -behängen und mit Bändern anputzen, und
ziehen mit demselben durch die Stadt oder das Dorf, wobei sie singen: "Den
Tod trugen wir hinaus, den neuen Sommer herein. Was uns der Sommer
bringt, nimmt uns der Winter. Freut euch, Altmütterchen, daß wir den Tod
weggebracht und den neuen Sommer herbeigetragen haben!" Während des
Umzugs werden Gaben eingesammelt, die man zuletzt im Wirthshaus verzehrt.

In der Gegend von Chrudim versammeln sich die Knaben beim Richter,
um den Tod zu machen. Ist die Figur fertig, so trägt man sie zum reichsten
Bauer, wo sie am Sonntag früh mit Musik abgeholt und nach einem Bach
oder Teich gebracht wird. Dort stellen sich die Knaben in einer Reihe auf,
die Puppe wird ins Wasser geworfen, und alle stürzen ihr nach, um ihn zu
erHaschen. Wer zuletzt hineinkommt, stirbt noch im Laufe dieses Jahres und
muß zum Zeichen dessen aus dem Rückweg den Tod tragen, der alsdann ver¬
brannt wird.

Bei Schönfcld wird "der Türke hinter die Stadt gejagt" und dabei die
heilige Margarethe um einen frühen Sommer gebeten. - In Desky wirft das
junge Volk den Tod in einen Teich, der Adam heißt, und sagt dann, es habe
den Tod dem Adam gegeben. In Tabor endigt das bei der Ceremonie ge¬
bräuchliche Lied mit einer Anrufung der heiligen Margarethe um ein fruchtbares
Jahr, viel Weizen und Roggen u. s. w. In Böhmisch-Aicha tragen die Mädchen
und die Knaben einen besondern Tod in den Wald, wo sie ihn an einer Eiche
zu zerschellen suchen. Gelingt das den Mädchen zuerst, so glaubt man. daß
in dem Jahre mehr Männer, geschieht dos Umgekehrte, so erwartet man, daß
mehr Frauen als Männer sterben werden. An einigen Orten wird der Tod
nicht ersäuft oder verbrannt, sondern in die Erde verscharrt, an andern ist von
dem ganzen Gebrauch nur ein grüner Zweig übrig geblieben, welcher "der
Sommer" heißt, und mir dem die Mädchen die Burschen und die Frauen ihre
Männer schlagen, um dafür ein Geschenk an Aepfeln zu bekommen. Ist dieser
Nest des alten Frühlingsfests auch außerhalb Böhmens, wenn auch an andern
Tagen, in der leipziger Gegend z. B. am Aschermittwoch, erhalten, so ist
in der Gegend von Libochowic an der Eger eine Sitte lebendig, die an die
"Ah-7yueeQ" des englischen Landvolks erinnert. Mädchen in weißen Kleidern
Mit rothen Bändern und Goldflitterstcrnchen in den Haaren führen eine so¬
genannte Königin (Kralowna). die mit Veilchen und Maßliebchen bekränzt ist,
durch das Dorf, wo dieselbe jedem Hause die Ankunft des Frühlings verkün¬
digt und den Bewohnern Glück und Segen wünscht. Während des Umzugs.


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Was uns der Sommer bringt, nimmt uns der Tod. Veilchen, Rosen bringt
uns der Sommer." Zuletzt trägt man den Tod an das Wasser und wirft
ihn hinein. Anderwärts ersäuft man ihn beim Sonnenuntergang, und dann
erst begeben sich die Mädchen in den Wald', hauen ein junges Bäumchen,
das sie mit einer weiblichen Puppe -behängen und mit Bändern anputzen, und
ziehen mit demselben durch die Stadt oder das Dorf, wobei sie singen: „Den
Tod trugen wir hinaus, den neuen Sommer herein. Was uns der Sommer
bringt, nimmt uns der Winter. Freut euch, Altmütterchen, daß wir den Tod
weggebracht und den neuen Sommer herbeigetragen haben!" Während des
Umzugs werden Gaben eingesammelt, die man zuletzt im Wirthshaus verzehrt.

In der Gegend von Chrudim versammeln sich die Knaben beim Richter,
um den Tod zu machen. Ist die Figur fertig, so trägt man sie zum reichsten
Bauer, wo sie am Sonntag früh mit Musik abgeholt und nach einem Bach
oder Teich gebracht wird. Dort stellen sich die Knaben in einer Reihe auf,
die Puppe wird ins Wasser geworfen, und alle stürzen ihr nach, um ihn zu
erHaschen. Wer zuletzt hineinkommt, stirbt noch im Laufe dieses Jahres und
muß zum Zeichen dessen aus dem Rückweg den Tod tragen, der alsdann ver¬
brannt wird.

Bei Schönfcld wird „der Türke hinter die Stadt gejagt" und dabei die
heilige Margarethe um einen frühen Sommer gebeten. - In Desky wirft das
junge Volk den Tod in einen Teich, der Adam heißt, und sagt dann, es habe
den Tod dem Adam gegeben. In Tabor endigt das bei der Ceremonie ge¬
bräuchliche Lied mit einer Anrufung der heiligen Margarethe um ein fruchtbares
Jahr, viel Weizen und Roggen u. s. w. In Böhmisch-Aicha tragen die Mädchen
und die Knaben einen besondern Tod in den Wald, wo sie ihn an einer Eiche
zu zerschellen suchen. Gelingt das den Mädchen zuerst, so glaubt man. daß
in dem Jahre mehr Männer, geschieht dos Umgekehrte, so erwartet man, daß
mehr Frauen als Männer sterben werden. An einigen Orten wird der Tod
nicht ersäuft oder verbrannt, sondern in die Erde verscharrt, an andern ist von
dem ganzen Gebrauch nur ein grüner Zweig übrig geblieben, welcher „der
Sommer" heißt, und mir dem die Mädchen die Burschen und die Frauen ihre
Männer schlagen, um dafür ein Geschenk an Aepfeln zu bekommen. Ist dieser
Nest des alten Frühlingsfests auch außerhalb Böhmens, wenn auch an andern
Tagen, in der leipziger Gegend z. B. am Aschermittwoch, erhalten, so ist
in der Gegend von Libochowic an der Eger eine Sitte lebendig, die an die
"Ah-7yueeQ" des englischen Landvolks erinnert. Mädchen in weißen Kleidern
Mit rothen Bändern und Goldflitterstcrnchen in den Haaren führen eine so¬
genannte Königin (Kralowna). die mit Veilchen und Maßliebchen bekränzt ist,
durch das Dorf, wo dieselbe jedem Hause die Ankunft des Frühlings verkün¬
digt und den Bewohnern Glück und Segen wünscht. Während des Umzugs.


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[0493] Was uns der Sommer bringt, nimmt uns der Tod. Veilchen, Rosen bringt uns der Sommer." Zuletzt trägt man den Tod an das Wasser und wirft ihn hinein. Anderwärts ersäuft man ihn beim Sonnenuntergang, und dann erst begeben sich die Mädchen in den Wald', hauen ein junges Bäumchen, das sie mit einer weiblichen Puppe -behängen und mit Bändern anputzen, und ziehen mit demselben durch die Stadt oder das Dorf, wobei sie singen: „Den Tod trugen wir hinaus, den neuen Sommer herein. Was uns der Sommer bringt, nimmt uns der Winter. Freut euch, Altmütterchen, daß wir den Tod weggebracht und den neuen Sommer herbeigetragen haben!" Während des Umzugs werden Gaben eingesammelt, die man zuletzt im Wirthshaus verzehrt. In der Gegend von Chrudim versammeln sich die Knaben beim Richter, um den Tod zu machen. Ist die Figur fertig, so trägt man sie zum reichsten Bauer, wo sie am Sonntag früh mit Musik abgeholt und nach einem Bach oder Teich gebracht wird. Dort stellen sich die Knaben in einer Reihe auf, die Puppe wird ins Wasser geworfen, und alle stürzen ihr nach, um ihn zu erHaschen. Wer zuletzt hineinkommt, stirbt noch im Laufe dieses Jahres und muß zum Zeichen dessen aus dem Rückweg den Tod tragen, der alsdann ver¬ brannt wird. Bei Schönfcld wird „der Türke hinter die Stadt gejagt" und dabei die heilige Margarethe um einen frühen Sommer gebeten. - In Desky wirft das junge Volk den Tod in einen Teich, der Adam heißt, und sagt dann, es habe den Tod dem Adam gegeben. In Tabor endigt das bei der Ceremonie ge¬ bräuchliche Lied mit einer Anrufung der heiligen Margarethe um ein fruchtbares Jahr, viel Weizen und Roggen u. s. w. In Böhmisch-Aicha tragen die Mädchen und die Knaben einen besondern Tod in den Wald, wo sie ihn an einer Eiche zu zerschellen suchen. Gelingt das den Mädchen zuerst, so glaubt man. daß in dem Jahre mehr Männer, geschieht dos Umgekehrte, so erwartet man, daß mehr Frauen als Männer sterben werden. An einigen Orten wird der Tod nicht ersäuft oder verbrannt, sondern in die Erde verscharrt, an andern ist von dem ganzen Gebrauch nur ein grüner Zweig übrig geblieben, welcher „der Sommer" heißt, und mir dem die Mädchen die Burschen und die Frauen ihre Männer schlagen, um dafür ein Geschenk an Aepfeln zu bekommen. Ist dieser Nest des alten Frühlingsfests auch außerhalb Böhmens, wenn auch an andern Tagen, in der leipziger Gegend z. B. am Aschermittwoch, erhalten, so ist in der Gegend von Libochowic an der Eger eine Sitte lebendig, die an die "Ah-7yueeQ" des englischen Landvolks erinnert. Mädchen in weißen Kleidern Mit rothen Bändern und Goldflitterstcrnchen in den Haaren führen eine so¬ genannte Königin (Kralowna). die mit Veilchen und Maßliebchen bekränzt ist, durch das Dorf, wo dieselbe jedem Hause die Ankunft des Frühlings verkün¬ digt und den Bewohnern Glück und Segen wünscht. Während des Umzugs. 61*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/493>, abgerufen am 24.08.2024.