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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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seine Briefe, die in mancher Beziehung sehr frühreif aussehn, verrathen, daß
er mitunter einer Nachhilfe in Bezug auf den Dativ und Accusativ bedürfte.
Er führte ein Tagebuch; wer hätte es damals nicht geführt? 'In Bezug auf
seine Schularbeiten war er, wie Henriette Herz selbst bekennt, ein sehr arger
Fciullenzcr, desto fleißiger arbeitete er an seinem Tagebuch. Bereits den ersten
Tag nach seiner Ankunft schreibt er Vormittags um 12 Uhr zwei große Seiten
voll, Nachmittags um 5 Uhr die dritte und Nachts um 11 Uhr die vierte.
"Mir ist nicht wohl, mir ist nicht weh, mein Herz klopft in starken Schlagen
u. s. w. Es ist eine Leere in meinem Herzen, ein Verlangen in meiner Brust;
soll denn nie diese Lücke" u. s. w. -- Natürlich! wer im 16. Jahre ein Tage¬
buch führt, was soll er anders hineinschreiben? Außerdem Bemerkungen über
die Borzüge und Nachtheile der Mittagsstunde. Schon ehe er nach Berlin
kam, hatte er vor, seine Kenntniß des menschlichen Herzens in einem psycho¬
logischen Roman zu verwerthen.

Kaum ist er acht Tage im Hause, so merkt er, daß er Madame Herz
lieber hat als alle andern Menschen. Sie gibt ihm Stunden und -kommt zu
ihm auf die Stube. "Ich mochte Madame Herz immer ehrfurchtsvoll den
Rock küssen, wenn sie zu mir kommt, ich finde darin so etwas Erhabenes,
Herablassendes." Henriette Herz war nicht blos eine blendende Schönheit, sie
war auch eme Riesin, so daß die Berliner sich immer verwunderten, wenn sie
den kleinen Schleiermacher neben ihr hergehen sahn; und der arme Louis war
von einer unansehnlichen Figur. Auch bemerkt er auf einem späteren Blatt
seines Tagebuchs, daß er sie nur liebt, wenn sie sitzt, nicht wenn sie steht.

Den 30. December sagt sie zu ihm, daß sie ihm gut sei; Nachts um
12 Uhr beschreibt er diese Thatsache in seinem Tagebuch. "Was ich da fühlte,
was da in mir vorging u. s. w. Ich zitterte leise, eine laue Wehmuth er¬
griff mein klopfendes Herz, ein schmerzhaftes namenloses Gefühl beherrschte
mein Innerstes ----Der Vorhang ist weggezogen und mit Flammenzügen
steht's gräßlich vor meinen Augen: Du liebst sie und diese Liebe wird dich
unaussprechlich elend machen." Der sechzehnjährige Don Juan will ihr alle
seine Gefühle schreiben, und es ist ihm ganz recht, wenn sie den Brief ihrem
Mann zeigt. "Das wußte ich wohl, daß wenn ich liebe, ich rasend liebe."

Dr. Herz selbe den 19. Januar 1803; Louis fürchtet fortgeschickt zu wer¬
den, sie erlaubt ihm aber ,in Hause zu bleiben: "sich ferner in ihren Augen
zu sonnen."

Die folgenden Blätter des Tagebuchs sind voller Schmerzen und Ver¬
zweiflung; es scheint, daß er damit doch etwas laut wird, denn sie gibt ihm
keine Privatstunden mehr. Und hier machen wir auf eine kleine Ungenauig/
keit in dem Bericht Henriettens aufmerksam.

Sie erzählt, im Fürstschen Buch S. 137, daß er die an sie gerichteten


seine Briefe, die in mancher Beziehung sehr frühreif aussehn, verrathen, daß
er mitunter einer Nachhilfe in Bezug auf den Dativ und Accusativ bedürfte.
Er führte ein Tagebuch; wer hätte es damals nicht geführt? 'In Bezug auf
seine Schularbeiten war er, wie Henriette Herz selbst bekennt, ein sehr arger
Fciullenzcr, desto fleißiger arbeitete er an seinem Tagebuch. Bereits den ersten
Tag nach seiner Ankunft schreibt er Vormittags um 12 Uhr zwei große Seiten
voll, Nachmittags um 5 Uhr die dritte und Nachts um 11 Uhr die vierte.
„Mir ist nicht wohl, mir ist nicht weh, mein Herz klopft in starken Schlagen
u. s. w. Es ist eine Leere in meinem Herzen, ein Verlangen in meiner Brust;
soll denn nie diese Lücke" u. s. w. — Natürlich! wer im 16. Jahre ein Tage¬
buch führt, was soll er anders hineinschreiben? Außerdem Bemerkungen über
die Borzüge und Nachtheile der Mittagsstunde. Schon ehe er nach Berlin
kam, hatte er vor, seine Kenntniß des menschlichen Herzens in einem psycho¬
logischen Roman zu verwerthen.

Kaum ist er acht Tage im Hause, so merkt er, daß er Madame Herz
lieber hat als alle andern Menschen. Sie gibt ihm Stunden und -kommt zu
ihm auf die Stube. „Ich mochte Madame Herz immer ehrfurchtsvoll den
Rock küssen, wenn sie zu mir kommt, ich finde darin so etwas Erhabenes,
Herablassendes." Henriette Herz war nicht blos eine blendende Schönheit, sie
war auch eme Riesin, so daß die Berliner sich immer verwunderten, wenn sie
den kleinen Schleiermacher neben ihr hergehen sahn; und der arme Louis war
von einer unansehnlichen Figur. Auch bemerkt er auf einem späteren Blatt
seines Tagebuchs, daß er sie nur liebt, wenn sie sitzt, nicht wenn sie steht.

Den 30. December sagt sie zu ihm, daß sie ihm gut sei; Nachts um
12 Uhr beschreibt er diese Thatsache in seinem Tagebuch. „Was ich da fühlte,
was da in mir vorging u. s. w. Ich zitterte leise, eine laue Wehmuth er¬
griff mein klopfendes Herz, ein schmerzhaftes namenloses Gefühl beherrschte
mein Innerstes —--Der Vorhang ist weggezogen und mit Flammenzügen
steht's gräßlich vor meinen Augen: Du liebst sie und diese Liebe wird dich
unaussprechlich elend machen." Der sechzehnjährige Don Juan will ihr alle
seine Gefühle schreiben, und es ist ihm ganz recht, wenn sie den Brief ihrem
Mann zeigt. „Das wußte ich wohl, daß wenn ich liebe, ich rasend liebe."

Dr. Herz selbe den 19. Januar 1803; Louis fürchtet fortgeschickt zu wer¬
den, sie erlaubt ihm aber ,in Hause zu bleiben: „sich ferner in ihren Augen
zu sonnen."

Die folgenden Blätter des Tagebuchs sind voller Schmerzen und Ver¬
zweiflung; es scheint, daß er damit doch etwas laut wird, denn sie gibt ihm
keine Privatstunden mehr. Und hier machen wir auf eine kleine Ungenauig/
keit in dem Bericht Henriettens aufmerksam.

Sie erzählt, im Fürstschen Buch S. 137, daß er die an sie gerichteten


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[0476] seine Briefe, die in mancher Beziehung sehr frühreif aussehn, verrathen, daß er mitunter einer Nachhilfe in Bezug auf den Dativ und Accusativ bedürfte. Er führte ein Tagebuch; wer hätte es damals nicht geführt? 'In Bezug auf seine Schularbeiten war er, wie Henriette Herz selbst bekennt, ein sehr arger Fciullenzcr, desto fleißiger arbeitete er an seinem Tagebuch. Bereits den ersten Tag nach seiner Ankunft schreibt er Vormittags um 12 Uhr zwei große Seiten voll, Nachmittags um 5 Uhr die dritte und Nachts um 11 Uhr die vierte. „Mir ist nicht wohl, mir ist nicht weh, mein Herz klopft in starken Schlagen u. s. w. Es ist eine Leere in meinem Herzen, ein Verlangen in meiner Brust; soll denn nie diese Lücke" u. s. w. — Natürlich! wer im 16. Jahre ein Tage¬ buch führt, was soll er anders hineinschreiben? Außerdem Bemerkungen über die Borzüge und Nachtheile der Mittagsstunde. Schon ehe er nach Berlin kam, hatte er vor, seine Kenntniß des menschlichen Herzens in einem psycho¬ logischen Roman zu verwerthen. Kaum ist er acht Tage im Hause, so merkt er, daß er Madame Herz lieber hat als alle andern Menschen. Sie gibt ihm Stunden und -kommt zu ihm auf die Stube. „Ich mochte Madame Herz immer ehrfurchtsvoll den Rock küssen, wenn sie zu mir kommt, ich finde darin so etwas Erhabenes, Herablassendes." Henriette Herz war nicht blos eine blendende Schönheit, sie war auch eme Riesin, so daß die Berliner sich immer verwunderten, wenn sie den kleinen Schleiermacher neben ihr hergehen sahn; und der arme Louis war von einer unansehnlichen Figur. Auch bemerkt er auf einem späteren Blatt seines Tagebuchs, daß er sie nur liebt, wenn sie sitzt, nicht wenn sie steht. Den 30. December sagt sie zu ihm, daß sie ihm gut sei; Nachts um 12 Uhr beschreibt er diese Thatsache in seinem Tagebuch. „Was ich da fühlte, was da in mir vorging u. s. w. Ich zitterte leise, eine laue Wehmuth er¬ griff mein klopfendes Herz, ein schmerzhaftes namenloses Gefühl beherrschte mein Innerstes —--Der Vorhang ist weggezogen und mit Flammenzügen steht's gräßlich vor meinen Augen: Du liebst sie und diese Liebe wird dich unaussprechlich elend machen." Der sechzehnjährige Don Juan will ihr alle seine Gefühle schreiben, und es ist ihm ganz recht, wenn sie den Brief ihrem Mann zeigt. „Das wußte ich wohl, daß wenn ich liebe, ich rasend liebe." Dr. Herz selbe den 19. Januar 1803; Louis fürchtet fortgeschickt zu wer¬ den, sie erlaubt ihm aber ,in Hause zu bleiben: „sich ferner in ihren Augen zu sonnen." Die folgenden Blätter des Tagebuchs sind voller Schmerzen und Ver¬ zweiflung; es scheint, daß er damit doch etwas laut wird, denn sie gibt ihm keine Privatstunden mehr. Und hier machen wir auf eine kleine Ungenauig/ keit in dem Bericht Henriettens aufmerksam. Sie erzählt, im Fürstschen Buch S. 137, daß er die an sie gerichteten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/476>, abgerufen am 26.08.2024.