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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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bisher vornehmlich gewesen, die repräsentative Regierung in Sardinien zu be¬
festigen und auszubilden, und die Hilfsquellen des Landes zu entwickeln, aber
seine politischen Ideen hielten nicht am Tessin inne, sie umfaßten ganz Italien,
mit allen Patrioten sah er das Hinderniß für eine freie Entwicklung seiner
Nation in der Fremdherrschaft und haßte Oestreich wie Hannibal Rom. Da
nach dem Kriege das Land. Ruhe brauchte, um sich zu erholen, so wußte Ca-
vour wenigstens für die materiellen Verhältnisse durch einen Handelsvertrag
ein leidliches Einvernehmen herzustellen, aber der unversöhnliche Gegensatz der
beiden Staaten mußte bald um so entschiedener wieder ausbrechen, als Victor
Emanuel jetzt offen die Tendenzen verfolgte, deren schüchterne Aeußerung bei
Karl Albert Metternich mit unerbittlicher Feindschaft bekämpft hatte. In Folge
des Aufstandes in Mailand vom 6. Februar 1853 verhängte Oestreich idem
Sequester über die Güter der nach Piemont ausgewanderten Lombarden, was
den Abbruch der diplomatischen Beziehungen der Cabinete von Wien und
Turin zur Folge hatte und den Grafen Cavour trieb, sich Frankreich zu nähern.
Mit seinem scharfen Blicke hatte er erkannt, daß gerade durch den Staatsstreich
Louis Napoleons, der von den absolutistischen Regierungen mit Jubel begrüßt
war, Europa in Bewegung kommen werde, da der Kaiser gezwungen sein
werde. Frankreich durch den Ruhm auswärtiger Politik für die Unterdrückung
der Freiheit im Innern zu entschädigen. Als er im Frühjahr 1852 sein Porte¬
feuille auf kurze Zeit niederlegte, ging er nach Paris und hatte hier zuerst mit
Napoleon Unterredungen über seine italienischen Pläne und die Rolle, die er
Frankreich dabei zudachte.

' Festere Gestalt gewannen die Gedanken einer solchen Verbindung durch
die Allianz mit den Westmünster gegen Rußland vom 26. Januar 1855. Der
Vertrag, den ein östreichischer Diplomat un eoux ac xistolet dir6 Z, bout por-
timt aux oroillos Ah 1'^utrielrs nannte, erregte das größte Erstaunen und fand
selbst in Sardinien so lebhaften Widerstand, daß er in der Deputirtenkammer
nur mit einer Majorität von 31 Stimmen durchging. Man fragte, wodurch
Rußland die Regierung beleidigt, daß sie zu seiner Bekämpfung dem Lande so
schwere Opfer auferlege. Aber der Vortheil, den Graf Cavour aus dieser
Offensivallianz mit den Westmünster zu ziehen beabsichtigte, war offenbar ein
"ndrer als zur Demüthigung Rußlands beizutragen. Er lag darin, daß das
Selbstgefühl des sardinischen Heeres gehoben werden sollte, indem es an der
Seite der französischen und englischen Truppen kämpfte, er lag in der intimen
Verbindung mit den Westmünster, welche die Vertreter des kleinen, kühnauf¬
strebenden Staates trotz allen Widerspruchs des Wiener Cabinets in den Rath
der Großmächte führte und ihnen damit Gelegenheit gab. in demselben dk
Sache Italiens zur Sprache zu bringen. Man spottete über dies Großmacht-
Spielen, aber Cavour ging nicht auf einen leeren Schein, sondern wußte, daß


bisher vornehmlich gewesen, die repräsentative Regierung in Sardinien zu be¬
festigen und auszubilden, und die Hilfsquellen des Landes zu entwickeln, aber
seine politischen Ideen hielten nicht am Tessin inne, sie umfaßten ganz Italien,
mit allen Patrioten sah er das Hinderniß für eine freie Entwicklung seiner
Nation in der Fremdherrschaft und haßte Oestreich wie Hannibal Rom. Da
nach dem Kriege das Land. Ruhe brauchte, um sich zu erholen, so wußte Ca-
vour wenigstens für die materiellen Verhältnisse durch einen Handelsvertrag
ein leidliches Einvernehmen herzustellen, aber der unversöhnliche Gegensatz der
beiden Staaten mußte bald um so entschiedener wieder ausbrechen, als Victor
Emanuel jetzt offen die Tendenzen verfolgte, deren schüchterne Aeußerung bei
Karl Albert Metternich mit unerbittlicher Feindschaft bekämpft hatte. In Folge
des Aufstandes in Mailand vom 6. Februar 1853 verhängte Oestreich idem
Sequester über die Güter der nach Piemont ausgewanderten Lombarden, was
den Abbruch der diplomatischen Beziehungen der Cabinete von Wien und
Turin zur Folge hatte und den Grafen Cavour trieb, sich Frankreich zu nähern.
Mit seinem scharfen Blicke hatte er erkannt, daß gerade durch den Staatsstreich
Louis Napoleons, der von den absolutistischen Regierungen mit Jubel begrüßt
war, Europa in Bewegung kommen werde, da der Kaiser gezwungen sein
werde. Frankreich durch den Ruhm auswärtiger Politik für die Unterdrückung
der Freiheit im Innern zu entschädigen. Als er im Frühjahr 1852 sein Porte¬
feuille auf kurze Zeit niederlegte, ging er nach Paris und hatte hier zuerst mit
Napoleon Unterredungen über seine italienischen Pläne und die Rolle, die er
Frankreich dabei zudachte.

' Festere Gestalt gewannen die Gedanken einer solchen Verbindung durch
die Allianz mit den Westmünster gegen Rußland vom 26. Januar 1855. Der
Vertrag, den ein östreichischer Diplomat un eoux ac xistolet dir6 Z, bout por-
timt aux oroillos Ah 1'^utrielrs nannte, erregte das größte Erstaunen und fand
selbst in Sardinien so lebhaften Widerstand, daß er in der Deputirtenkammer
nur mit einer Majorität von 31 Stimmen durchging. Man fragte, wodurch
Rußland die Regierung beleidigt, daß sie zu seiner Bekämpfung dem Lande so
schwere Opfer auferlege. Aber der Vortheil, den Graf Cavour aus dieser
Offensivallianz mit den Westmünster zu ziehen beabsichtigte, war offenbar ein
«ndrer als zur Demüthigung Rußlands beizutragen. Er lag darin, daß das
Selbstgefühl des sardinischen Heeres gehoben werden sollte, indem es an der
Seite der französischen und englischen Truppen kämpfte, er lag in der intimen
Verbindung mit den Westmünster, welche die Vertreter des kleinen, kühnauf¬
strebenden Staates trotz allen Widerspruchs des Wiener Cabinets in den Rath
der Großmächte führte und ihnen damit Gelegenheit gab. in demselben dk
Sache Italiens zur Sprache zu bringen. Man spottete über dies Großmacht-
Spielen, aber Cavour ging nicht auf einen leeren Schein, sondern wußte, daß


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[0457] bisher vornehmlich gewesen, die repräsentative Regierung in Sardinien zu be¬ festigen und auszubilden, und die Hilfsquellen des Landes zu entwickeln, aber seine politischen Ideen hielten nicht am Tessin inne, sie umfaßten ganz Italien, mit allen Patrioten sah er das Hinderniß für eine freie Entwicklung seiner Nation in der Fremdherrschaft und haßte Oestreich wie Hannibal Rom. Da nach dem Kriege das Land. Ruhe brauchte, um sich zu erholen, so wußte Ca- vour wenigstens für die materiellen Verhältnisse durch einen Handelsvertrag ein leidliches Einvernehmen herzustellen, aber der unversöhnliche Gegensatz der beiden Staaten mußte bald um so entschiedener wieder ausbrechen, als Victor Emanuel jetzt offen die Tendenzen verfolgte, deren schüchterne Aeußerung bei Karl Albert Metternich mit unerbittlicher Feindschaft bekämpft hatte. In Folge des Aufstandes in Mailand vom 6. Februar 1853 verhängte Oestreich idem Sequester über die Güter der nach Piemont ausgewanderten Lombarden, was den Abbruch der diplomatischen Beziehungen der Cabinete von Wien und Turin zur Folge hatte und den Grafen Cavour trieb, sich Frankreich zu nähern. Mit seinem scharfen Blicke hatte er erkannt, daß gerade durch den Staatsstreich Louis Napoleons, der von den absolutistischen Regierungen mit Jubel begrüßt war, Europa in Bewegung kommen werde, da der Kaiser gezwungen sein werde. Frankreich durch den Ruhm auswärtiger Politik für die Unterdrückung der Freiheit im Innern zu entschädigen. Als er im Frühjahr 1852 sein Porte¬ feuille auf kurze Zeit niederlegte, ging er nach Paris und hatte hier zuerst mit Napoleon Unterredungen über seine italienischen Pläne und die Rolle, die er Frankreich dabei zudachte. ' Festere Gestalt gewannen die Gedanken einer solchen Verbindung durch die Allianz mit den Westmünster gegen Rußland vom 26. Januar 1855. Der Vertrag, den ein östreichischer Diplomat un eoux ac xistolet dir6 Z, bout por- timt aux oroillos Ah 1'^utrielrs nannte, erregte das größte Erstaunen und fand selbst in Sardinien so lebhaften Widerstand, daß er in der Deputirtenkammer nur mit einer Majorität von 31 Stimmen durchging. Man fragte, wodurch Rußland die Regierung beleidigt, daß sie zu seiner Bekämpfung dem Lande so schwere Opfer auferlege. Aber der Vortheil, den Graf Cavour aus dieser Offensivallianz mit den Westmünster zu ziehen beabsichtigte, war offenbar ein «ndrer als zur Demüthigung Rußlands beizutragen. Er lag darin, daß das Selbstgefühl des sardinischen Heeres gehoben werden sollte, indem es an der Seite der französischen und englischen Truppen kämpfte, er lag in der intimen Verbindung mit den Westmünster, welche die Vertreter des kleinen, kühnauf¬ strebenden Staates trotz allen Widerspruchs des Wiener Cabinets in den Rath der Großmächte führte und ihnen damit Gelegenheit gab. in demselben dk Sache Italiens zur Sprache zu bringen. Man spottete über dies Großmacht- Spielen, aber Cavour ging nicht auf einen leeren Schein, sondern wußte, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/457>, abgerufen am 24.08.2024.