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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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verfassungsmäßigen Freiheit gestritten, so bekämpfte er die Ausschreitungen
der demokratischen Partei auf das Entschiedenste. Als die stürmisch erregte
öffentliche Meinung, nach dem Aufstande von Mailand 1848, zum Kriege ge¬
gen Oestreich drängte, stimmte auch er dem bei und ließ sich bei der Nach¬
richt der Niederlage von Custozza sogar als Freiwilliger einschreiben. Aber als
die Gewalt der Umstände nach Novara gebieterisch den Frieden forderte,
scheute er die UnPopularität nicht, denselben auf das Entschiedenste zu ver¬
theidigen, er leistete hierbei namentlich in den finanziellen Debatten, welche
sich auf die Beschaffung der Kriegsentschädigung an Oestreich von 75 Millionen
bezogen, dem Ministerium so gute Dienste, daß bei eintretender Vacanz ihm
das Handelsministerium angeboten ward. Obwol ihm dessen Verwaltung im
Grunde nur einen beschränkten Einfluß zuwies, so wußte er doch gleich bei
seinem Eintritt der Thätigkeit der Regierung nach allen Richtungen hin einen
neuen Ausschwung zu geben und eine Reihe von Reformen anzuregen und
durchzuführen. Um den gesteigerten Anforderungen an die Steuerkraft des
Landes zu begegnen, begünstigte er die Industrie in jeder Weise, und legte den
Grund zu dem Eisenbahnnetze. Er brach mit den schutzzöllnerischen Grund¬
sätzen, die bisher geherrscht, und leitete die Reform des Tarifs durch eine Reihe
von Handelsverträgen mit den bedeutendsten Staaten ein, welche Sardinien
aus seiner Jsolirung heraustreten ließen und politische Allianzen vorbereiteten.
Bald erhielt er auch das Portefeuille der Finanzen und war nun, wenn
noch nicht das Haupt, doch die Seele des Cabinets. Es war in der That
keine kleine Aufgabe, die durch den Krieg so tief erschütterten Finanzen herzu¬
stellen und zwar auf einem Boden, der durch die Ereignisse vollständig unter¬
wühlt war. Die Linke griff das Cabinet mit Erbitterung an, die Rechte verharrte
ihm gegenüber in mißtrauischem Zögern, dabei bedrohte die steigende Reaction in
Europa die jungen Anfänge parlamentarischer Freiheit in Turin auf das Ernst¬
lichste. Cavour sah ein, daß, um sie zu schirmen, es durchaus nöthig für die Ne¬
gierung sei, sich auf eine compacte Partei zu stützen, und so vollzog er die Verbindung
mit dem linken Centrum, die unter dem Namen eourrudiv bekannt ist. Diele
Anlehnung an die vorgeschrittene liberale Fraction gab aber andrerseits dem
Ministerium die Kraft, ein Gesetz von der Kammer zu erhalten, welches die
Beleidigungen der Presse gegen fremde Souveräne den Geschwornen entzog
und den ordentlichen Gerichten zuwies, wodurch Cavour sich zuerst das Wohl¬
wollen Louis Napoleons erwarb. Ein Mißverständniß mit seinen College"
ließ ihn im Frühjahr 1852 zurücktreten, aber dies war nur ein reeulsr P"ur
mieux SÄUter, denn im Herbste desselben Jahres trat er als Ministerpräsident
an die Spitze eines neuen Ministeriums.

Erst jetzt war es ihm möglich, die Ausführung der weitgreifenden P>""k
zu unternehmen, mit denen er sich seit lange beschäftigt. Seine Sorge war


verfassungsmäßigen Freiheit gestritten, so bekämpfte er die Ausschreitungen
der demokratischen Partei auf das Entschiedenste. Als die stürmisch erregte
öffentliche Meinung, nach dem Aufstande von Mailand 1848, zum Kriege ge¬
gen Oestreich drängte, stimmte auch er dem bei und ließ sich bei der Nach¬
richt der Niederlage von Custozza sogar als Freiwilliger einschreiben. Aber als
die Gewalt der Umstände nach Novara gebieterisch den Frieden forderte,
scheute er die UnPopularität nicht, denselben auf das Entschiedenste zu ver¬
theidigen, er leistete hierbei namentlich in den finanziellen Debatten, welche
sich auf die Beschaffung der Kriegsentschädigung an Oestreich von 75 Millionen
bezogen, dem Ministerium so gute Dienste, daß bei eintretender Vacanz ihm
das Handelsministerium angeboten ward. Obwol ihm dessen Verwaltung im
Grunde nur einen beschränkten Einfluß zuwies, so wußte er doch gleich bei
seinem Eintritt der Thätigkeit der Regierung nach allen Richtungen hin einen
neuen Ausschwung zu geben und eine Reihe von Reformen anzuregen und
durchzuführen. Um den gesteigerten Anforderungen an die Steuerkraft des
Landes zu begegnen, begünstigte er die Industrie in jeder Weise, und legte den
Grund zu dem Eisenbahnnetze. Er brach mit den schutzzöllnerischen Grund¬
sätzen, die bisher geherrscht, und leitete die Reform des Tarifs durch eine Reihe
von Handelsverträgen mit den bedeutendsten Staaten ein, welche Sardinien
aus seiner Jsolirung heraustreten ließen und politische Allianzen vorbereiteten.
Bald erhielt er auch das Portefeuille der Finanzen und war nun, wenn
noch nicht das Haupt, doch die Seele des Cabinets. Es war in der That
keine kleine Aufgabe, die durch den Krieg so tief erschütterten Finanzen herzu¬
stellen und zwar auf einem Boden, der durch die Ereignisse vollständig unter¬
wühlt war. Die Linke griff das Cabinet mit Erbitterung an, die Rechte verharrte
ihm gegenüber in mißtrauischem Zögern, dabei bedrohte die steigende Reaction in
Europa die jungen Anfänge parlamentarischer Freiheit in Turin auf das Ernst¬
lichste. Cavour sah ein, daß, um sie zu schirmen, es durchaus nöthig für die Ne¬
gierung sei, sich auf eine compacte Partei zu stützen, und so vollzog er die Verbindung
mit dem linken Centrum, die unter dem Namen eourrudiv bekannt ist. Diele
Anlehnung an die vorgeschrittene liberale Fraction gab aber andrerseits dem
Ministerium die Kraft, ein Gesetz von der Kammer zu erhalten, welches die
Beleidigungen der Presse gegen fremde Souveräne den Geschwornen entzog
und den ordentlichen Gerichten zuwies, wodurch Cavour sich zuerst das Wohl¬
wollen Louis Napoleons erwarb. Ein Mißverständniß mit seinen College»
ließ ihn im Frühjahr 1852 zurücktreten, aber dies war nur ein reeulsr P»ur
mieux SÄUter, denn im Herbste desselben Jahres trat er als Ministerpräsident
an die Spitze eines neuen Ministeriums.

Erst jetzt war es ihm möglich, die Ausführung der weitgreifenden P>""k
zu unternehmen, mit denen er sich seit lange beschäftigt. Seine Sorge war


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[0456] verfassungsmäßigen Freiheit gestritten, so bekämpfte er die Ausschreitungen der demokratischen Partei auf das Entschiedenste. Als die stürmisch erregte öffentliche Meinung, nach dem Aufstande von Mailand 1848, zum Kriege ge¬ gen Oestreich drängte, stimmte auch er dem bei und ließ sich bei der Nach¬ richt der Niederlage von Custozza sogar als Freiwilliger einschreiben. Aber als die Gewalt der Umstände nach Novara gebieterisch den Frieden forderte, scheute er die UnPopularität nicht, denselben auf das Entschiedenste zu ver¬ theidigen, er leistete hierbei namentlich in den finanziellen Debatten, welche sich auf die Beschaffung der Kriegsentschädigung an Oestreich von 75 Millionen bezogen, dem Ministerium so gute Dienste, daß bei eintretender Vacanz ihm das Handelsministerium angeboten ward. Obwol ihm dessen Verwaltung im Grunde nur einen beschränkten Einfluß zuwies, so wußte er doch gleich bei seinem Eintritt der Thätigkeit der Regierung nach allen Richtungen hin einen neuen Ausschwung zu geben und eine Reihe von Reformen anzuregen und durchzuführen. Um den gesteigerten Anforderungen an die Steuerkraft des Landes zu begegnen, begünstigte er die Industrie in jeder Weise, und legte den Grund zu dem Eisenbahnnetze. Er brach mit den schutzzöllnerischen Grund¬ sätzen, die bisher geherrscht, und leitete die Reform des Tarifs durch eine Reihe von Handelsverträgen mit den bedeutendsten Staaten ein, welche Sardinien aus seiner Jsolirung heraustreten ließen und politische Allianzen vorbereiteten. Bald erhielt er auch das Portefeuille der Finanzen und war nun, wenn noch nicht das Haupt, doch die Seele des Cabinets. Es war in der That keine kleine Aufgabe, die durch den Krieg so tief erschütterten Finanzen herzu¬ stellen und zwar auf einem Boden, der durch die Ereignisse vollständig unter¬ wühlt war. Die Linke griff das Cabinet mit Erbitterung an, die Rechte verharrte ihm gegenüber in mißtrauischem Zögern, dabei bedrohte die steigende Reaction in Europa die jungen Anfänge parlamentarischer Freiheit in Turin auf das Ernst¬ lichste. Cavour sah ein, daß, um sie zu schirmen, es durchaus nöthig für die Ne¬ gierung sei, sich auf eine compacte Partei zu stützen, und so vollzog er die Verbindung mit dem linken Centrum, die unter dem Namen eourrudiv bekannt ist. Diele Anlehnung an die vorgeschrittene liberale Fraction gab aber andrerseits dem Ministerium die Kraft, ein Gesetz von der Kammer zu erhalten, welches die Beleidigungen der Presse gegen fremde Souveräne den Geschwornen entzog und den ordentlichen Gerichten zuwies, wodurch Cavour sich zuerst das Wohl¬ wollen Louis Napoleons erwarb. Ein Mißverständniß mit seinen College» ließ ihn im Frühjahr 1852 zurücktreten, aber dies war nur ein reeulsr P»ur mieux SÄUter, denn im Herbste desselben Jahres trat er als Ministerpräsident an die Spitze eines neuen Ministeriums. Erst jetzt war es ihm möglich, die Ausführung der weitgreifenden P>""k zu unternehmen, mit denen er sich seit lange beschäftigt. Seine Sorge war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/456>, abgerufen am 24.08.2024.