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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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folgten "Polterabend-Gedichte", die von 1842 ab bei verschiedenen Ge¬
legenheiten entstanden waren. Dann "De Reis' na Belligen".

Im Jahre 1855^ übernahm er die Redaction eines Unterhaltungs¬
blattes sür Mecklenburg und Pommern; das Unternehmen fand Anklang, aber
fast gar keine Unterstützung und mußte 1856 bei der Nachlässigkeit des Verlegers
aufgegeben werden, der schließlich ohne Rechnungsablage nach Amerika ver¬
schwand. Ostern 1856 siedelte Reuter, angezogen von dem größern Verkehr
und der anmuthigen Gegend, nach dem benachbarten Neubrandenburg über.
Dort lebt er. jetzt nur mit literarischen Arbeiten beschäftigt. Hier entstanden
einige unbedeutende Lustspiele und Possen, die bei dem gänzliche" Mangel
aller Bühnenkenntniß, vielleicht auch mangelhafter dramatischer Befähigung
nur einen zweifelhaften Erfolg hatten. Wenn auch einige: die "drei Lang¬
hause" und "Blücher in Teterow" aus dem Wcillnerschen Theater in
Berlin zur wiederholten Aufführung kamen, so ist doch der Verfasser selbst
sehr schlecht mit ihnen zufrieden. 1857 erschien "kein Hüsung", 1858 der
zweite Band von "Läuschen und Niemels". ZI859 "Otte Kamelien".
1860 "Hanne Unke".

Seine dichterische Begabung verdankt Reuter, nach seiner eignen Auffassung,
den Anregungen, welche er in der Jugend von seiner Mutter empfing, aber auch
der siebenjährigen Festungshaft, die ihn, in Ermangelung unterhaltender Wirk¬
lichkeit zwang, alle möglichen Phantasiespiele heraufzubeschwören. Bei dieser Be¬
schäftigung wurde er lebhaft durch sein Malertalent unterstützt; denn wie er mit
der Kreide Portraits auf das Papier hinzuwerfen verstand, so gelang es ihm
auch im poetischen Schaffen nicht nebelhafte Gebilde, sondern scharfe Um¬
risse auf das Papier zu werfen. Was er als Knabe mit dem Stift, als
Festungsgefangener in träumender Seele malte, das zeichnet er heute mit Wor¬
ten, und seine Darstellungen von Zuständen und Charakteren treten an uns
heran, adh sähen wir sie leibhaftig vor uns. Bei Darstellung menschlicher
Charaktere unterstützt ihn eine große Menschenkenntnis die er gleichfalls vor¬
zugsweise auf der Festung erworben hat; er sagt selbst: "Im regen Verkehr
mit vielen Menschen mag man die Menschen besser erforschen, ist man aber
Jnhre lang auf einenUmgang angewiesen, so lernt man den Menschen besser
kennen." Die realistische Auffassung der norddeutschen, speciell mecklenburgi¬
schen, ländlichen Zustände, hat er, abgesehen von seiner norddeutschen Natur,
die überhaupt jener Auffassung zuneigt, vorzugsweise durch seine Erziehung
'n einer kleinen, Ackerbau treibenden Stadt, so wie durch seine Beschäftigung
als Landwirth erhalten. Beides umschrieb ihm aber auch als den Kreis seiner
Poetischen Thätigkeit das Stadt- und Landleben, wie es sich in Mecklenburg
und Vorpommern, und zwar besonders in den niedern Schichten der Bevölke¬
rung gestaltet hat.


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folgten „Polterabend-Gedichte", die von 1842 ab bei verschiedenen Ge¬
legenheiten entstanden waren. Dann „De Reis' na Belligen".

Im Jahre 1855^ übernahm er die Redaction eines Unterhaltungs¬
blattes sür Mecklenburg und Pommern; das Unternehmen fand Anklang, aber
fast gar keine Unterstützung und mußte 1856 bei der Nachlässigkeit des Verlegers
aufgegeben werden, der schließlich ohne Rechnungsablage nach Amerika ver¬
schwand. Ostern 1856 siedelte Reuter, angezogen von dem größern Verkehr
und der anmuthigen Gegend, nach dem benachbarten Neubrandenburg über.
Dort lebt er. jetzt nur mit literarischen Arbeiten beschäftigt. Hier entstanden
einige unbedeutende Lustspiele und Possen, die bei dem gänzliche» Mangel
aller Bühnenkenntniß, vielleicht auch mangelhafter dramatischer Befähigung
nur einen zweifelhaften Erfolg hatten. Wenn auch einige: die „drei Lang¬
hause" und „Blücher in Teterow" aus dem Wcillnerschen Theater in
Berlin zur wiederholten Aufführung kamen, so ist doch der Verfasser selbst
sehr schlecht mit ihnen zufrieden. 1857 erschien „kein Hüsung", 1858 der
zweite Band von „Läuschen und Niemels". ZI859 „Otte Kamelien".
1860 „Hanne Unke".

Seine dichterische Begabung verdankt Reuter, nach seiner eignen Auffassung,
den Anregungen, welche er in der Jugend von seiner Mutter empfing, aber auch
der siebenjährigen Festungshaft, die ihn, in Ermangelung unterhaltender Wirk¬
lichkeit zwang, alle möglichen Phantasiespiele heraufzubeschwören. Bei dieser Be¬
schäftigung wurde er lebhaft durch sein Malertalent unterstützt; denn wie er mit
der Kreide Portraits auf das Papier hinzuwerfen verstand, so gelang es ihm
auch im poetischen Schaffen nicht nebelhafte Gebilde, sondern scharfe Um¬
risse auf das Papier zu werfen. Was er als Knabe mit dem Stift, als
Festungsgefangener in träumender Seele malte, das zeichnet er heute mit Wor¬
ten, und seine Darstellungen von Zuständen und Charakteren treten an uns
heran, adh sähen wir sie leibhaftig vor uns. Bei Darstellung menschlicher
Charaktere unterstützt ihn eine große Menschenkenntnis die er gleichfalls vor¬
zugsweise auf der Festung erworben hat; er sagt selbst: „Im regen Verkehr
mit vielen Menschen mag man die Menschen besser erforschen, ist man aber
Jnhre lang auf einenUmgang angewiesen, so lernt man den Menschen besser
kennen." Die realistische Auffassung der norddeutschen, speciell mecklenburgi¬
schen, ländlichen Zustände, hat er, abgesehen von seiner norddeutschen Natur,
die überhaupt jener Auffassung zuneigt, vorzugsweise durch seine Erziehung
'n einer kleinen, Ackerbau treibenden Stadt, so wie durch seine Beschäftigung
als Landwirth erhalten. Beides umschrieb ihm aber auch als den Kreis seiner
Poetischen Thätigkeit das Stadt- und Landleben, wie es sich in Mecklenburg
und Vorpommern, und zwar besonders in den niedern Schichten der Bevölke¬
rung gestaltet hat.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/453>, abgerufen am 15.01.2025.