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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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sagten; nach drei Jahren erklärte er seinen Wunsch Maler zu werden. Dies
stimmte aber schlecht zu den Wünschen des Vaters, der einen Juristen aus
ihm ziehen wollte; er brachte ihn deshalb durch Versetzung nach dem damals
neu organisirten Gymnasium zu Parchim in andere Umgebungen; der Zeichnen¬
unterricht mußte aufhören. Hier blieb Reuter bis zum Abgange nach der
Universität Rostock (Michaelis 1831), wo er denn mich, allerdings mit innerm
Widerstreben, Institutionen und Rechtsgeschichte hörte. Nach Verlauf eines
halben Jahres ging er nach Jena und trat hier in die Burschenschaft ein,
und zwar in die Fraction Germania, die sich in Folge der Julirevolutio"
und des polnischen Aufstandes in ihrer Art mit Politik befaßte.

Deshalb wurde er im Herbst 1833 in Preußen verhaftet und zur Unter¬
suchung gezogen. Er war einer der Ersten, mit denen die große Demagogen-
hatz begann. Ein volles Jahr dauerte die Untersuchung auf der Hausvogtei
unter der Leitung des bekannten Criminaldirectors Damenhand. Trotz aller
Reclamationen der mecklenburgischen Regierung wurde er auf preußische
Festungen gesetzt, zum Tode verurtheilt, kraft vbenichterlicher Gewalt des
Königs mit 30jähriger Festungsstrafe begnadigt und bis zum Sommer 1838
auf verschiedenen preußischen Festungen delirirt. Dann wurde er auf specielle
persönliche Verwendung des Großherzogs von Mecklenburg, Paul Friedrich,
auf die vaterländische Festung Dönitz ausgeliefert, jedoch mit der bestimmten
Bedingung, daß die endliche Begnadigung nur von Preußen ausgehn sollte.
Dies geschah im Herbst 1840 bei der Amnestie, die nach dem Tode Friedrich
Wilhelm des Dritten'eintrat. Von der Rechtswissenschaft hatte er während
seiner Haft auf immer Abschied genommen; Zeichnen -- vieles Porträtiren, --
Mathematik und deutsche Literatur halfen ihm die böse Zeit ertragen; in
den letzten Jahren außerdem das Studium der in die Landwirthschaft ein¬
schlagenden Wissenschaften, da er entschlossen war, nach der Freilassung Land¬
wirth zu werden. Dies that er auch, und er ist bis zum Jahre 1850 praktischer
Oekonom geblieben.

Der 1845 erfolgte Tod des Vaters und die dadurch klar gewordenen pe-
cuniären Verhältnisse zeigten ihm die Unmöglichkeit, jemals auf diesem Wege
eine selbständige Stellung zu erringen, und doch war solche Stellung sein
sehnlichster Wunsch, die Liebe zu seiner jetzigen Frau drängte ihn zu einer
Entscheidung über sein Leben. Er entschloß sich kurz; auf den Rath und
durch die Vermittlung lieber Freunde ward er, nachdem er Preuße geworden,
Privatlehrer in der kleinen vorpommerschen Stadt Treptow an der Tollensc.
Hier gab er im Jahre 1853 den ersten Band von "Läuschen und Nie-
mels" heraus, der seine Entstehung dem heitern, geselligen Verkehr im Hause
seines Freundes Peters zu Thalberg und der vielfachen Anregung eines an¬
dern Freundes, des Justizrath Schröder zu Treptow verdankt. Darauf


sagten; nach drei Jahren erklärte er seinen Wunsch Maler zu werden. Dies
stimmte aber schlecht zu den Wünschen des Vaters, der einen Juristen aus
ihm ziehen wollte; er brachte ihn deshalb durch Versetzung nach dem damals
neu organisirten Gymnasium zu Parchim in andere Umgebungen; der Zeichnen¬
unterricht mußte aufhören. Hier blieb Reuter bis zum Abgange nach der
Universität Rostock (Michaelis 1831), wo er denn mich, allerdings mit innerm
Widerstreben, Institutionen und Rechtsgeschichte hörte. Nach Verlauf eines
halben Jahres ging er nach Jena und trat hier in die Burschenschaft ein,
und zwar in die Fraction Germania, die sich in Folge der Julirevolutio»
und des polnischen Aufstandes in ihrer Art mit Politik befaßte.

Deshalb wurde er im Herbst 1833 in Preußen verhaftet und zur Unter¬
suchung gezogen. Er war einer der Ersten, mit denen die große Demagogen-
hatz begann. Ein volles Jahr dauerte die Untersuchung auf der Hausvogtei
unter der Leitung des bekannten Criminaldirectors Damenhand. Trotz aller
Reclamationen der mecklenburgischen Regierung wurde er auf preußische
Festungen gesetzt, zum Tode verurtheilt, kraft vbenichterlicher Gewalt des
Königs mit 30jähriger Festungsstrafe begnadigt und bis zum Sommer 1838
auf verschiedenen preußischen Festungen delirirt. Dann wurde er auf specielle
persönliche Verwendung des Großherzogs von Mecklenburg, Paul Friedrich,
auf die vaterländische Festung Dönitz ausgeliefert, jedoch mit der bestimmten
Bedingung, daß die endliche Begnadigung nur von Preußen ausgehn sollte.
Dies geschah im Herbst 1840 bei der Amnestie, die nach dem Tode Friedrich
Wilhelm des Dritten'eintrat. Von der Rechtswissenschaft hatte er während
seiner Haft auf immer Abschied genommen; Zeichnen — vieles Porträtiren, —
Mathematik und deutsche Literatur halfen ihm die böse Zeit ertragen; in
den letzten Jahren außerdem das Studium der in die Landwirthschaft ein¬
schlagenden Wissenschaften, da er entschlossen war, nach der Freilassung Land¬
wirth zu werden. Dies that er auch, und er ist bis zum Jahre 1850 praktischer
Oekonom geblieben.

Der 1845 erfolgte Tod des Vaters und die dadurch klar gewordenen pe-
cuniären Verhältnisse zeigten ihm die Unmöglichkeit, jemals auf diesem Wege
eine selbständige Stellung zu erringen, und doch war solche Stellung sein
sehnlichster Wunsch, die Liebe zu seiner jetzigen Frau drängte ihn zu einer
Entscheidung über sein Leben. Er entschloß sich kurz; auf den Rath und
durch die Vermittlung lieber Freunde ward er, nachdem er Preuße geworden,
Privatlehrer in der kleinen vorpommerschen Stadt Treptow an der Tollensc.
Hier gab er im Jahre 1853 den ersten Band von „Läuschen und Nie-
mels" heraus, der seine Entstehung dem heitern, geselligen Verkehr im Hause
seines Freundes Peters zu Thalberg und der vielfachen Anregung eines an¬
dern Freundes, des Justizrath Schröder zu Treptow verdankt. Darauf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/452>, abgerufen am 15.01.2025.