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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Un de oll Mus'madam, de slüppt
Ganz using ut dat Hus hervor,
Un allcntwegen rude suppt
Det lütte stleineZ Mus'volk achter Ihintcrl ehr;
Un Swigcrsähns un Swigcrdöchter,
Da werden all lau Gast inladcn,
Un Mus'hock röppt! "Kant, Kinncr," seggt'e,
"Wi lüll Lud dörpcn rieth persuader" sverschmähcni. U. s. w.

Nach und nach wird die ganze Natur lebendig. Vögel von allen Gat¬
tungen treten auf, jede in der ihr eigenthümlichen Art und jedes Individuum
selbstständig; es sind auch Stutzer darunter, die sich bemühen hochdeutsch zu
reden wie der gute Küster; auch die Frösche kommen aus den Sümpfen her¬
vor. Mit einem wunderbaren Blick hat der Dichter diesen Geschöpfen ihre
kleinen Geheimnisse abgelauscht und gibt sie, obgleich phantastisch aufgeputzt,
mit großer Treue wieder. Theils leben diese Vögel für ihre eigenen Häus-
lichen Sorgen, theils bilden sie eine weitläufige Verschwörung, um Hanne Unke
mit der ihm bestimmten Braut zusammenzubringen und alle Hindernisse zu
beseitigen, mit Anlehnung an ti" altdeutsche Volksweise, welche den Vögeln
diese Eingriffe in die Rolle der Vorsehung gern verstattet. Der Dichter hat
aus der alten Sagenwelt ein ^sinnig-humoristisches Bild gemacht, das in seiner
bunten Mannichfaltigkeit doch eine harmonische Grundfürbung trägt.

Nur eins stört den Einklang: durch das Ganze zieht sich zugleich eine
tragische Geschichte, ein Criminalfall. zu dessen Entdeckung die Vögel gleich-
falls beitragen müssen. An sich entspricht auch das der alten Sage, aber da
hier die Vögel humoristisch behandelt sind, so verlieren sie ihre mythologische
Berechtigung, und man wird mitunter zweifelhaft, welche Stimmung vor¬
klingen soll. -- Für diesen Uebelstand wird man aber reichlich entschädigt
durch die großen Schönheiten des Einzelnen, die alle den Dichter von Gottes
Gnaden verrathen. Je fühlbarer der Mangel an wirklich productiven Kräften
bei uns ist, desto mehr fühlen wir uns verpflichtet, da wo sie sich in einem so
hohen Maße zeigen, die öffentliche Aufmerksamkeit hinzulenken.


Julian Schmidt.


Un de oll Mus'madam, de slüppt
Ganz using ut dat Hus hervor,
Un allcntwegen rude suppt
Det lütte stleineZ Mus'volk achter Ihintcrl ehr;
Un Swigcrsähns un Swigcrdöchter,
Da werden all lau Gast inladcn,
Un Mus'hock röppt! „Kant, Kinncr," seggt'e,
„Wi lüll Lud dörpcn rieth persuader" sverschmähcni. U. s. w.

Nach und nach wird die ganze Natur lebendig. Vögel von allen Gat¬
tungen treten auf, jede in der ihr eigenthümlichen Art und jedes Individuum
selbstständig; es sind auch Stutzer darunter, die sich bemühen hochdeutsch zu
reden wie der gute Küster; auch die Frösche kommen aus den Sümpfen her¬
vor. Mit einem wunderbaren Blick hat der Dichter diesen Geschöpfen ihre
kleinen Geheimnisse abgelauscht und gibt sie, obgleich phantastisch aufgeputzt,
mit großer Treue wieder. Theils leben diese Vögel für ihre eigenen Häus-
lichen Sorgen, theils bilden sie eine weitläufige Verschwörung, um Hanne Unke
mit der ihm bestimmten Braut zusammenzubringen und alle Hindernisse zu
beseitigen, mit Anlehnung an ti« altdeutsche Volksweise, welche den Vögeln
diese Eingriffe in die Rolle der Vorsehung gern verstattet. Der Dichter hat
aus der alten Sagenwelt ein ^sinnig-humoristisches Bild gemacht, das in seiner
bunten Mannichfaltigkeit doch eine harmonische Grundfürbung trägt.

Nur eins stört den Einklang: durch das Ganze zieht sich zugleich eine
tragische Geschichte, ein Criminalfall. zu dessen Entdeckung die Vögel gleich-
falls beitragen müssen. An sich entspricht auch das der alten Sage, aber da
hier die Vögel humoristisch behandelt sind, so verlieren sie ihre mythologische
Berechtigung, und man wird mitunter zweifelhaft, welche Stimmung vor¬
klingen soll. — Für diesen Uebelstand wird man aber reichlich entschädigt
durch die großen Schönheiten des Einzelnen, die alle den Dichter von Gottes
Gnaden verrathen. Je fühlbarer der Mangel an wirklich productiven Kräften
bei uns ist, desto mehr fühlen wir uns verpflichtet, da wo sie sich in einem so
hohen Maße zeigen, die öffentliche Aufmerksamkeit hinzulenken.


Julian Schmidt.


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[0420] Un de oll Mus'madam, de slüppt Ganz using ut dat Hus hervor, Un allcntwegen rude suppt Det lütte stleineZ Mus'volk achter Ihintcrl ehr; Un Swigcrsähns un Swigcrdöchter, Da werden all lau Gast inladcn, Un Mus'hock röppt! „Kant, Kinncr," seggt'e, „Wi lüll Lud dörpcn rieth persuader" sverschmähcni. U. s. w. Nach und nach wird die ganze Natur lebendig. Vögel von allen Gat¬ tungen treten auf, jede in der ihr eigenthümlichen Art und jedes Individuum selbstständig; es sind auch Stutzer darunter, die sich bemühen hochdeutsch zu reden wie der gute Küster; auch die Frösche kommen aus den Sümpfen her¬ vor. Mit einem wunderbaren Blick hat der Dichter diesen Geschöpfen ihre kleinen Geheimnisse abgelauscht und gibt sie, obgleich phantastisch aufgeputzt, mit großer Treue wieder. Theils leben diese Vögel für ihre eigenen Häus- lichen Sorgen, theils bilden sie eine weitläufige Verschwörung, um Hanne Unke mit der ihm bestimmten Braut zusammenzubringen und alle Hindernisse zu beseitigen, mit Anlehnung an ti« altdeutsche Volksweise, welche den Vögeln diese Eingriffe in die Rolle der Vorsehung gern verstattet. Der Dichter hat aus der alten Sagenwelt ein ^sinnig-humoristisches Bild gemacht, das in seiner bunten Mannichfaltigkeit doch eine harmonische Grundfürbung trägt. Nur eins stört den Einklang: durch das Ganze zieht sich zugleich eine tragische Geschichte, ein Criminalfall. zu dessen Entdeckung die Vögel gleich- falls beitragen müssen. An sich entspricht auch das der alten Sage, aber da hier die Vögel humoristisch behandelt sind, so verlieren sie ihre mythologische Berechtigung, und man wird mitunter zweifelhaft, welche Stimmung vor¬ klingen soll. — Für diesen Uebelstand wird man aber reichlich entschädigt durch die großen Schönheiten des Einzelnen, die alle den Dichter von Gottes Gnaden verrathen. Je fühlbarer der Mangel an wirklich productiven Kräften bei uns ist, desto mehr fühlen wir uns verpflichtet, da wo sie sich in einem so hohen Maße zeigen, die öffentliche Aufmerksamkeit hinzulenken. Julian Schmidt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/420>, abgerufen am 15.01.2025.