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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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es fürchten, diesen Schuh zu theuer zu erkaufen. Es ist möglich, daß die bis¬
her bewiesene Einigfeit deS Volks sich löst, es ist möglich, daß Italien durch
einen auswärtigen Krieg unterworfen wird. Wie aber auch die Zukunft sich
gestalten möge, die Gegenwart steht fest. Der Gedanke eines einheitlichen Ita¬
liens ist fortan kein leeres Luftgebilde mehr, er hat Fleisch und Blut gewon¬
nen und ist uicht mehr zu tödten. Sollte wider alle Wahrscheinlichkeit auch
diesmal die Bewegung noch hart am Ziele scheitern, so hat sie fortan ein
festes Ziel und kann in ihrer Richtung nicht mehr irren.

Und daß es so gekommen ist, darüber sprechen wir eine herzliche Freude
aus. Es ist nicht unnöthig, daß die deutsche Presse und die öffentliche Mei¬
nung überhaupt sich über ihr Gefühl klar wird, das bis dusin durch ver¬
schiedenartige Reflexionen auseinander gezogen wurde.

Wir freuen uns einmal über die italienischen Erfolge ganz unbefangen,
objectiv, mit einem interesselosen Wohlgefallen, das nur dem Gegenstande
gilt. Für die bisherige Einrichtung der italienischen Staaten hatte wol Nie¬
mand ein warmes Mitgefühl; aber allgemein war das Vorurtheil, daß die
Italiener ihr Schicksal verdienten, daß sie ein besseres nicht tragen würden.
Dies Vorurtheil haben sie glänzend widerlegt; sie haben gezeigt, daß sie noch
immer wie in früherer Zeit unter die culturhistorischen Völker Europas
Zählen.

Sie haben gezeigt -- was bei aufstrebenden Nationen nothwendig ist --
daß sie den Krieg verstehen. Solferino, Ancona und Gaeta waren vortreffliche
Probestücke. Die Verzögerung der Einnahme von Gaeta hatte manche be¬
denkliche Seite, aber es war auch von der größten Wichtigkeit, daß es den
Italienern nicht zu leicht gemacht wurde. Nicht der unbedeutendste Grund da¬
für, daß 1848 die Bewegung in Deutschland scheiterte, war der, daß ihr An¬
fang zu leicht aussah. Es mag sein, daß die militärische Aufgabe von Solferino,
Ancona und Gaeta nicht allzuschwierig war; geung, Armee und Flotte,
Führer und Soldaten haben ihre Aufgabe gelöst und vollkommen ihre Schul¬
digkeit gethan, Persano und Cialdini habe" z. B. einen sehr entschiedenen
Blick für das Wesentliche gezeigt, sie haben immer rasch erkannt, woraus es
ankam. Könnten wir das von allen unsern Generalen voraussetzen, wir
würden der Zukunft viel ruhiger ins Auge sehen.

Bemerkenswerth ist ferner die Mäßigung des Volks bei dieser großen
Revolution. Ein Bürgerkrieg ist immer ein arges Ding, und man bedeute
den Grimm, der sich namentlich seit einem Menschenalter aufgesammelt haben
wußte! Die Geschichte kennt wenig so unblutige Umwälzungen, und vielleicht
schönste Lorbeer, der Garibaldi schmückt ist, die Menschlichkeit, die er
^'gen'seine Feinde gezeigt hat. Und was für Feinde!

Das italienische Volk hat in seiner Masse eine Verbindung von Energie


es fürchten, diesen Schuh zu theuer zu erkaufen. Es ist möglich, daß die bis¬
her bewiesene Einigfeit deS Volks sich löst, es ist möglich, daß Italien durch
einen auswärtigen Krieg unterworfen wird. Wie aber auch die Zukunft sich
gestalten möge, die Gegenwart steht fest. Der Gedanke eines einheitlichen Ita¬
liens ist fortan kein leeres Luftgebilde mehr, er hat Fleisch und Blut gewon¬
nen und ist uicht mehr zu tödten. Sollte wider alle Wahrscheinlichkeit auch
diesmal die Bewegung noch hart am Ziele scheitern, so hat sie fortan ein
festes Ziel und kann in ihrer Richtung nicht mehr irren.

Und daß es so gekommen ist, darüber sprechen wir eine herzliche Freude
aus. Es ist nicht unnöthig, daß die deutsche Presse und die öffentliche Mei¬
nung überhaupt sich über ihr Gefühl klar wird, das bis dusin durch ver¬
schiedenartige Reflexionen auseinander gezogen wurde.

Wir freuen uns einmal über die italienischen Erfolge ganz unbefangen,
objectiv, mit einem interesselosen Wohlgefallen, das nur dem Gegenstande
gilt. Für die bisherige Einrichtung der italienischen Staaten hatte wol Nie¬
mand ein warmes Mitgefühl; aber allgemein war das Vorurtheil, daß die
Italiener ihr Schicksal verdienten, daß sie ein besseres nicht tragen würden.
Dies Vorurtheil haben sie glänzend widerlegt; sie haben gezeigt, daß sie noch
immer wie in früherer Zeit unter die culturhistorischen Völker Europas
Zählen.

Sie haben gezeigt — was bei aufstrebenden Nationen nothwendig ist —
daß sie den Krieg verstehen. Solferino, Ancona und Gaeta waren vortreffliche
Probestücke. Die Verzögerung der Einnahme von Gaeta hatte manche be¬
denkliche Seite, aber es war auch von der größten Wichtigkeit, daß es den
Italienern nicht zu leicht gemacht wurde. Nicht der unbedeutendste Grund da¬
für, daß 1848 die Bewegung in Deutschland scheiterte, war der, daß ihr An¬
fang zu leicht aussah. Es mag sein, daß die militärische Aufgabe von Solferino,
Ancona und Gaeta nicht allzuschwierig war; geung, Armee und Flotte,
Führer und Soldaten haben ihre Aufgabe gelöst und vollkommen ihre Schul¬
digkeit gethan, Persano und Cialdini habe» z. B. einen sehr entschiedenen
Blick für das Wesentliche gezeigt, sie haben immer rasch erkannt, woraus es
ankam. Könnten wir das von allen unsern Generalen voraussetzen, wir
würden der Zukunft viel ruhiger ins Auge sehen.

Bemerkenswerth ist ferner die Mäßigung des Volks bei dieser großen
Revolution. Ein Bürgerkrieg ist immer ein arges Ding, und man bedeute
den Grimm, der sich namentlich seit einem Menschenalter aufgesammelt haben
wußte! Die Geschichte kennt wenig so unblutige Umwälzungen, und vielleicht
schönste Lorbeer, der Garibaldi schmückt ist, die Menschlichkeit, die er
^'gen'seine Feinde gezeigt hat. Und was für Feinde!

Das italienische Volk hat in seiner Masse eine Verbindung von Energie


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[0393] es fürchten, diesen Schuh zu theuer zu erkaufen. Es ist möglich, daß die bis¬ her bewiesene Einigfeit deS Volks sich löst, es ist möglich, daß Italien durch einen auswärtigen Krieg unterworfen wird. Wie aber auch die Zukunft sich gestalten möge, die Gegenwart steht fest. Der Gedanke eines einheitlichen Ita¬ liens ist fortan kein leeres Luftgebilde mehr, er hat Fleisch und Blut gewon¬ nen und ist uicht mehr zu tödten. Sollte wider alle Wahrscheinlichkeit auch diesmal die Bewegung noch hart am Ziele scheitern, so hat sie fortan ein festes Ziel und kann in ihrer Richtung nicht mehr irren. Und daß es so gekommen ist, darüber sprechen wir eine herzliche Freude aus. Es ist nicht unnöthig, daß die deutsche Presse und die öffentliche Mei¬ nung überhaupt sich über ihr Gefühl klar wird, das bis dusin durch ver¬ schiedenartige Reflexionen auseinander gezogen wurde. Wir freuen uns einmal über die italienischen Erfolge ganz unbefangen, objectiv, mit einem interesselosen Wohlgefallen, das nur dem Gegenstande gilt. Für die bisherige Einrichtung der italienischen Staaten hatte wol Nie¬ mand ein warmes Mitgefühl; aber allgemein war das Vorurtheil, daß die Italiener ihr Schicksal verdienten, daß sie ein besseres nicht tragen würden. Dies Vorurtheil haben sie glänzend widerlegt; sie haben gezeigt, daß sie noch immer wie in früherer Zeit unter die culturhistorischen Völker Europas Zählen. Sie haben gezeigt — was bei aufstrebenden Nationen nothwendig ist — daß sie den Krieg verstehen. Solferino, Ancona und Gaeta waren vortreffliche Probestücke. Die Verzögerung der Einnahme von Gaeta hatte manche be¬ denkliche Seite, aber es war auch von der größten Wichtigkeit, daß es den Italienern nicht zu leicht gemacht wurde. Nicht der unbedeutendste Grund da¬ für, daß 1848 die Bewegung in Deutschland scheiterte, war der, daß ihr An¬ fang zu leicht aussah. Es mag sein, daß die militärische Aufgabe von Solferino, Ancona und Gaeta nicht allzuschwierig war; geung, Armee und Flotte, Führer und Soldaten haben ihre Aufgabe gelöst und vollkommen ihre Schul¬ digkeit gethan, Persano und Cialdini habe» z. B. einen sehr entschiedenen Blick für das Wesentliche gezeigt, sie haben immer rasch erkannt, woraus es ankam. Könnten wir das von allen unsern Generalen voraussetzen, wir würden der Zukunft viel ruhiger ins Auge sehen. Bemerkenswerth ist ferner die Mäßigung des Volks bei dieser großen Revolution. Ein Bürgerkrieg ist immer ein arges Ding, und man bedeute den Grimm, der sich namentlich seit einem Menschenalter aufgesammelt haben wußte! Die Geschichte kennt wenig so unblutige Umwälzungen, und vielleicht schönste Lorbeer, der Garibaldi schmückt ist, die Menschlichkeit, die er ^'gen'seine Feinde gezeigt hat. Und was für Feinde! Das italienische Volk hat in seiner Masse eine Verbindung von Energie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/393>, abgerufen am 15.01.2025.