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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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angelcgcnhciten stumm, um es mit keiner Partei zu verderben. Als Haupt
der Partei gilt Herr von Klebelsberg, ein achtungswürdiger Charakter; ihm
drängt Tobias Wildauer nach, welcher, nicht gewitzigt durch sein schlechtes
Debüt vor der Philologenversammlung, sich zu einer öffentlichen Rolle berufen
zu halten scheint. Die liberale Partei besitzt bis jetzt kein Organ. Da jede
ernste Opposition verboten war, wäre es unmöglich gewesen, ein solches zu
gründen. Erst der Eintritt Schmerlings machte ihr Lust. Man kann bei
den Männern, welche sich bisher zu ihr bekannten, volle Aufrichtigkeit der
Gesinnung voraussetzen. Jetzt wo das Eis gebrochen ist, zeigt sich, daß die
Zahl der Anhänger freisinniger Ideen, namentlich unter den gebildeten jüngeren
Bürgern, nichts weniger als klein ist. In Südtirol trägt der unermüdliche
Doctor Streiter ihr Panier, in Nordtirol zählt sie Namen von Männern,
deren geistiges Streben auch außerhalb der Marken des Landes nicht unbe¬
achtet blieb. Der liberalen Partei gehört hier wie in ganz Oestreich die
Zukunft, und will dieses überhaupt noch eine Zukunft haben, so ist es nur
möglich auf Grundlage liberaler Ideen. In Bezug auf die Angelegenheiten
der Provinz ist das Programm dieser Partei in einem Aufsatze des bekannten
Geschichtsforschers Albert Jäger ausgesprochen, der jede Vertretung nach Stän¬
den zurückweisend nur eine solche nach Interessen für angemessen erklärt.
Sie fordert Gleichberechtigung der Konfessionen und. Toleranz gegen Akatho-
liken, Freiheit der Presse und der Rede und Hebung der Schulen, sie will,
daß der Einfluß des Klerus sich auf das geistliche Gebiet beschränke. Mau
kann sie mit einem Worte als die constitutionelle bezeichnen. ' Vergebens
donnert die Geistlichkeit gegen sie: die Zeiten haben sich geändert. Sie hat
bei den Wahlen des Gemeindeausschusses zu Innsbruck trotz aller Bemühungen
der Ultramontanen einen entscheidenden Sieg davongetragen, indem sie von
36 Candidatey 21 durchsetzte. Dieser Sieg in der Landeshauptstadt ist von
Bedeutung für die ganze Provinz, er ist der Beginn eines Umschwunges der
Dinge, welchen in Tirol niemand erwartet hatte. Mag das Landvolk noch
vielfach zu der Priesterpartei halten, die Tage sind nicht fern, wo es nach¬
sagen wird.




angelcgcnhciten stumm, um es mit keiner Partei zu verderben. Als Haupt
der Partei gilt Herr von Klebelsberg, ein achtungswürdiger Charakter; ihm
drängt Tobias Wildauer nach, welcher, nicht gewitzigt durch sein schlechtes
Debüt vor der Philologenversammlung, sich zu einer öffentlichen Rolle berufen
zu halten scheint. Die liberale Partei besitzt bis jetzt kein Organ. Da jede
ernste Opposition verboten war, wäre es unmöglich gewesen, ein solches zu
gründen. Erst der Eintritt Schmerlings machte ihr Lust. Man kann bei
den Männern, welche sich bisher zu ihr bekannten, volle Aufrichtigkeit der
Gesinnung voraussetzen. Jetzt wo das Eis gebrochen ist, zeigt sich, daß die
Zahl der Anhänger freisinniger Ideen, namentlich unter den gebildeten jüngeren
Bürgern, nichts weniger als klein ist. In Südtirol trägt der unermüdliche
Doctor Streiter ihr Panier, in Nordtirol zählt sie Namen von Männern,
deren geistiges Streben auch außerhalb der Marken des Landes nicht unbe¬
achtet blieb. Der liberalen Partei gehört hier wie in ganz Oestreich die
Zukunft, und will dieses überhaupt noch eine Zukunft haben, so ist es nur
möglich auf Grundlage liberaler Ideen. In Bezug auf die Angelegenheiten
der Provinz ist das Programm dieser Partei in einem Aufsatze des bekannten
Geschichtsforschers Albert Jäger ausgesprochen, der jede Vertretung nach Stän¬
den zurückweisend nur eine solche nach Interessen für angemessen erklärt.
Sie fordert Gleichberechtigung der Konfessionen und. Toleranz gegen Akatho-
liken, Freiheit der Presse und der Rede und Hebung der Schulen, sie will,
daß der Einfluß des Klerus sich auf das geistliche Gebiet beschränke. Mau
kann sie mit einem Worte als die constitutionelle bezeichnen. ' Vergebens
donnert die Geistlichkeit gegen sie: die Zeiten haben sich geändert. Sie hat
bei den Wahlen des Gemeindeausschusses zu Innsbruck trotz aller Bemühungen
der Ultramontanen einen entscheidenden Sieg davongetragen, indem sie von
36 Candidatey 21 durchsetzte. Dieser Sieg in der Landeshauptstadt ist von
Bedeutung für die ganze Provinz, er ist der Beginn eines Umschwunges der
Dinge, welchen in Tirol niemand erwartet hatte. Mag das Landvolk noch
vielfach zu der Priesterpartei halten, die Tage sind nicht fern, wo es nach¬
sagen wird.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/391>, abgerufen am 15.01.2025.