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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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durfte nie am Joche gewesen sein und mußte eine besonders sanfte Ge¬
müthsart haben, da es weder stark brüllen noch am Stricke reißen durfte!
Flötenspieler, die bei der Opferhandlung selbst nöthig waren, begleiteten es.
Hinter diesen und unmittelbar vor dem Konsul schritten nun einzeln hinter¬
einander dessen zwölf Victoren, die Fahnen oder Ruthenbündel, das Zeichen
der Hcrrschergewnlt, schütternd, und einer'von ihnen trug den elfenbeinernen
curulischen Stuhl, ebenfalls eine Auszeichnung der höhern Beamten, der wie
unsre Feldstühle zum Zusammenklappen eingerichtet und ohne Lehne mit kunst¬
vollen Schnitzereien und geschweiften Füßen ausgestattet war. Die Sena¬
toren, außer den breiten Purpurstreisen an der Tunica noch an den hoch¬
geschnürten mit elfenbeinernen Halbmonde versehenen Schuhen kenntlich,
ging dem Consul zunächst und an sie schloß sich die übrige Volksmenge an.
Es wäre nun sür uns freilich leichter zu denken, daß beide Consuln von einem
Hause aus, gesellig neben einander wandelnd, auf das Capital gezogen
wären, allein es liegt keine Andeutung dafür vor; im Gegentheil spricht der
verbannte Ovid, wo er sich den Zug eines Gönners ausmalt, nur von
einem Consul, und der späte Dichter Claudian erwähnt den Umstand, daß
die beiden Brüder Anicius Olybrius und Anicius Probmus im Jahre 395
zusammen durch die Stadt zogen, als etwas besonderes. Nachdem man die
Höhe des Capitolinischen Berges erreicht hatte, bestieg der Consul das vor
dem Jupitertempel befindliche Tribunal (eine viereckige Erhöhung der Bühne)
und nahm auf dem curulischen Sessel sitzend die vorgeschriebene Prüfung des
von den Priestern bereits sorgfältig auserwählten Rindes vor, indem er dem¬
selben Wasser und Wein aus den Kopf sprengte. Machte es dabei eine Be¬
wegung, so galt es für tauglich, wo nicht, für unbrauchbar. Darauf wurde
das Opfer an den Altar geführt; ein Herold gebot dem Oberpriester und
dem Consul, die heilige Handlung mit Andacht zu verrichten, dem Volke,
sich ruhig und still zu verhalten. Der Consul faßte den mit Lorbeer und
wollenen Binden umwundenen Altar und sprach unter dem Klänge der
Flöten die Gebetsformel für das Wohl des Staates mit den dazu gehören¬
den Gelübden dem Priester nach, der sodann mit Wein, Wasser und Salzschrot
das Thier weihte, die Stirnhaare wegschnitt und ins Feuer warf, worauf
der Opferschlächter sein Amt verrichtete. Nun kam bekanntlich auf die Be¬
schaffenheit der edleren Eingeweide, besonders der Leber viel an und die Ein-
gcweideschcmer (Haruspices) begannen zu' schneiden, zu sondiren und zu
kochen. Die eine Seite der Leber hatte Bedeutung sür den Opfernden, die
andern für die Feinde; einer hervorragenden Stelle, "Kopf" genannt, schrieb
man die meiste Bedeutung zu; sein Nichtvorhandensein war das schlimmste
Zeichen, seine Verdoppelung verhieß Entzweiung, seine Abreißung eine plötz¬
liche Veränderung, und aus der Farbe gewisser Adern schloß man sogar auf


durfte nie am Joche gewesen sein und mußte eine besonders sanfte Ge¬
müthsart haben, da es weder stark brüllen noch am Stricke reißen durfte!
Flötenspieler, die bei der Opferhandlung selbst nöthig waren, begleiteten es.
Hinter diesen und unmittelbar vor dem Konsul schritten nun einzeln hinter¬
einander dessen zwölf Victoren, die Fahnen oder Ruthenbündel, das Zeichen
der Hcrrschergewnlt, schütternd, und einer'von ihnen trug den elfenbeinernen
curulischen Stuhl, ebenfalls eine Auszeichnung der höhern Beamten, der wie
unsre Feldstühle zum Zusammenklappen eingerichtet und ohne Lehne mit kunst¬
vollen Schnitzereien und geschweiften Füßen ausgestattet war. Die Sena¬
toren, außer den breiten Purpurstreisen an der Tunica noch an den hoch¬
geschnürten mit elfenbeinernen Halbmonde versehenen Schuhen kenntlich,
ging dem Consul zunächst und an sie schloß sich die übrige Volksmenge an.
Es wäre nun sür uns freilich leichter zu denken, daß beide Consuln von einem
Hause aus, gesellig neben einander wandelnd, auf das Capital gezogen
wären, allein es liegt keine Andeutung dafür vor; im Gegentheil spricht der
verbannte Ovid, wo er sich den Zug eines Gönners ausmalt, nur von
einem Consul, und der späte Dichter Claudian erwähnt den Umstand, daß
die beiden Brüder Anicius Olybrius und Anicius Probmus im Jahre 395
zusammen durch die Stadt zogen, als etwas besonderes. Nachdem man die
Höhe des Capitolinischen Berges erreicht hatte, bestieg der Consul das vor
dem Jupitertempel befindliche Tribunal (eine viereckige Erhöhung der Bühne)
und nahm auf dem curulischen Sessel sitzend die vorgeschriebene Prüfung des
von den Priestern bereits sorgfältig auserwählten Rindes vor, indem er dem¬
selben Wasser und Wein aus den Kopf sprengte. Machte es dabei eine Be¬
wegung, so galt es für tauglich, wo nicht, für unbrauchbar. Darauf wurde
das Opfer an den Altar geführt; ein Herold gebot dem Oberpriester und
dem Consul, die heilige Handlung mit Andacht zu verrichten, dem Volke,
sich ruhig und still zu verhalten. Der Consul faßte den mit Lorbeer und
wollenen Binden umwundenen Altar und sprach unter dem Klänge der
Flöten die Gebetsformel für das Wohl des Staates mit den dazu gehören¬
den Gelübden dem Priester nach, der sodann mit Wein, Wasser und Salzschrot
das Thier weihte, die Stirnhaare wegschnitt und ins Feuer warf, worauf
der Opferschlächter sein Amt verrichtete. Nun kam bekanntlich auf die Be¬
schaffenheit der edleren Eingeweide, besonders der Leber viel an und die Ein-
gcweideschcmer (Haruspices) begannen zu' schneiden, zu sondiren und zu
kochen. Die eine Seite der Leber hatte Bedeutung sür den Opfernden, die
andern für die Feinde; einer hervorragenden Stelle, „Kopf" genannt, schrieb
man die meiste Bedeutung zu; sein Nichtvorhandensein war das schlimmste
Zeichen, seine Verdoppelung verhieß Entzweiung, seine Abreißung eine plötz¬
liche Veränderung, und aus der Farbe gewisser Adern schloß man sogar auf


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[0038] durfte nie am Joche gewesen sein und mußte eine besonders sanfte Ge¬ müthsart haben, da es weder stark brüllen noch am Stricke reißen durfte! Flötenspieler, die bei der Opferhandlung selbst nöthig waren, begleiteten es. Hinter diesen und unmittelbar vor dem Konsul schritten nun einzeln hinter¬ einander dessen zwölf Victoren, die Fahnen oder Ruthenbündel, das Zeichen der Hcrrschergewnlt, schütternd, und einer'von ihnen trug den elfenbeinernen curulischen Stuhl, ebenfalls eine Auszeichnung der höhern Beamten, der wie unsre Feldstühle zum Zusammenklappen eingerichtet und ohne Lehne mit kunst¬ vollen Schnitzereien und geschweiften Füßen ausgestattet war. Die Sena¬ toren, außer den breiten Purpurstreisen an der Tunica noch an den hoch¬ geschnürten mit elfenbeinernen Halbmonde versehenen Schuhen kenntlich, ging dem Consul zunächst und an sie schloß sich die übrige Volksmenge an. Es wäre nun sür uns freilich leichter zu denken, daß beide Consuln von einem Hause aus, gesellig neben einander wandelnd, auf das Capital gezogen wären, allein es liegt keine Andeutung dafür vor; im Gegentheil spricht der verbannte Ovid, wo er sich den Zug eines Gönners ausmalt, nur von einem Consul, und der späte Dichter Claudian erwähnt den Umstand, daß die beiden Brüder Anicius Olybrius und Anicius Probmus im Jahre 395 zusammen durch die Stadt zogen, als etwas besonderes. Nachdem man die Höhe des Capitolinischen Berges erreicht hatte, bestieg der Consul das vor dem Jupitertempel befindliche Tribunal (eine viereckige Erhöhung der Bühne) und nahm auf dem curulischen Sessel sitzend die vorgeschriebene Prüfung des von den Priestern bereits sorgfältig auserwählten Rindes vor, indem er dem¬ selben Wasser und Wein aus den Kopf sprengte. Machte es dabei eine Be¬ wegung, so galt es für tauglich, wo nicht, für unbrauchbar. Darauf wurde das Opfer an den Altar geführt; ein Herold gebot dem Oberpriester und dem Consul, die heilige Handlung mit Andacht zu verrichten, dem Volke, sich ruhig und still zu verhalten. Der Consul faßte den mit Lorbeer und wollenen Binden umwundenen Altar und sprach unter dem Klänge der Flöten die Gebetsformel für das Wohl des Staates mit den dazu gehören¬ den Gelübden dem Priester nach, der sodann mit Wein, Wasser und Salzschrot das Thier weihte, die Stirnhaare wegschnitt und ins Feuer warf, worauf der Opferschlächter sein Amt verrichtete. Nun kam bekanntlich auf die Be¬ schaffenheit der edleren Eingeweide, besonders der Leber viel an und die Ein- gcweideschcmer (Haruspices) begannen zu' schneiden, zu sondiren und zu kochen. Die eine Seite der Leber hatte Bedeutung sür den Opfernden, die andern für die Feinde; einer hervorragenden Stelle, „Kopf" genannt, schrieb man die meiste Bedeutung zu; sein Nichtvorhandensein war das schlimmste Zeichen, seine Verdoppelung verhieß Entzweiung, seine Abreißung eine plötz¬ liche Veränderung, und aus der Farbe gewisser Adern schloß man sogar auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/38>, abgerufen am 23.07.2024.