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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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nach staatlicher Einheit, als der Drang, sich dem Drucke zu entziehen, den die
Fremdherrschaft auf die ganze Halbinsel übte. Hätte Oestreich im Feldzug
von 1859 seine gestimmten Besitzungen in Italien verloren, so wäre die Kon¬
föderation, welche Napoleon beabsichtigte, wenn auch nicht gesichert, doch nicht
unmöglich gewesen. Dieselbe ward aber im Keim dadurch erstickt, daß Oest¬
reich für Venetien Mitglied derselben sein sollte. Ein solcher Bund wäre die
Legalisirung des fremden Einflusses gewesen, die Gegenwart der Oestreicher in
der Lagunenstadt war der zwingende Grund für die Italiener, über alle Be¬
denken hinwegzugehen und einen Staat zu bilden, stark genug, um dem wiener
Cabinet nöthigenfalls die Spitze bieten zu können. Wie weit die Absicht
Napoleons aufrichtig oder, doch in sich klar war, die vertriebenen Fürsten
wieder einzusetzen, ist zweifelhaft; die Einheit Italiens wollte er gewiß nicht,
sondern womöglich einen italienischen Rheinbund; aber gegenüber den Ereig¬
nissen in Toscana und den Legationen mußte er die Unmöglichkeit einsehen,
den vorigen Zustand der Dinge herzustellen, und noch ehe die langwierigen
Verhandlungen in Zürich ihren unfruchtbaren Abschluß gefunden, hatte er sich
für eine Wendung in seiner Politik entschieden. Die Schrift über den Papst
und den Congreß vereitelte letztere; nachdem sein neuer auswärtiger Minister
vergeblich versucht, den Grafen Cavour zu einem Mittelweg zu bewegen, er¬
klärte sich derselbe in einer Depesche an den Marquis de Moustier zu Wie"
3t. Januar 1860 unvermögend, den Vertrag von Zürich auszuführen, und die
Thronrede vom 1. März sagte schon mit einem unbedeutenden Vorbehalt, "daß
der Kaiser dem König von Sardinien gerathen habe die Wünsche der Provinzen,
die sich ihm darboten, günstig aufzunehmen." Aber der Preis für diese stillschwei-
gente Anerkennung war die Vergrößerung Frankreichs. Die Abrede von
Plombiöres mittelbar cingestehend, sagt Napoleon in seinem eigenthümliche"
Brief vom 29. Juli an Persigny "Ich hatte auf Nizza und Savoyen ver¬
zichtet, die außerordentliche Vergrößerung Piemonts allein ließ mich aus den
Wunsch zurückkommen, diese beiden wesentlich französischen Provinzen mit Frank¬
reich vereinigt zu sehen." Wir wollen hier nicht wiedererzählen, wie Eng-
land sich durch einen Handelsvertrag abfinden ließ und die übrigen Großmächte
unzufrieden, aber unthätig zusahen, sondern die Fragen näher ins Auge solse",
auf die sich die wichtigsten mitgetheilten Actenstücke beziehen, die neapolitanische
die römische und die yenetianischc; zuerst die neapolitanische, welche durch den
Fall Gaetas wenigstens für jetzt einen Abschluß gefunden hat.

Das Königreich beider Sicilien schien äußerlich von dem Kampfe unbe¬
rührt geblieben zu sein, der 1859 in den Ebenen der Lombardei tobte. abe>
innerlich war dasselbe ebenso unterhöhlt wie die Herzogtümer und die znipst'
lichen Staaten. König Ferdinand der Zweite hatte den Mahnungen der West¬
mächte und der Abberufung ihrer Gesandten einen hochmüthigen Trotz ent-


nach staatlicher Einheit, als der Drang, sich dem Drucke zu entziehen, den die
Fremdherrschaft auf die ganze Halbinsel übte. Hätte Oestreich im Feldzug
von 1859 seine gestimmten Besitzungen in Italien verloren, so wäre die Kon¬
föderation, welche Napoleon beabsichtigte, wenn auch nicht gesichert, doch nicht
unmöglich gewesen. Dieselbe ward aber im Keim dadurch erstickt, daß Oest¬
reich für Venetien Mitglied derselben sein sollte. Ein solcher Bund wäre die
Legalisirung des fremden Einflusses gewesen, die Gegenwart der Oestreicher in
der Lagunenstadt war der zwingende Grund für die Italiener, über alle Be¬
denken hinwegzugehen und einen Staat zu bilden, stark genug, um dem wiener
Cabinet nöthigenfalls die Spitze bieten zu können. Wie weit die Absicht
Napoleons aufrichtig oder, doch in sich klar war, die vertriebenen Fürsten
wieder einzusetzen, ist zweifelhaft; die Einheit Italiens wollte er gewiß nicht,
sondern womöglich einen italienischen Rheinbund; aber gegenüber den Ereig¬
nissen in Toscana und den Legationen mußte er die Unmöglichkeit einsehen,
den vorigen Zustand der Dinge herzustellen, und noch ehe die langwierigen
Verhandlungen in Zürich ihren unfruchtbaren Abschluß gefunden, hatte er sich
für eine Wendung in seiner Politik entschieden. Die Schrift über den Papst
und den Congreß vereitelte letztere; nachdem sein neuer auswärtiger Minister
vergeblich versucht, den Grafen Cavour zu einem Mittelweg zu bewegen, er¬
klärte sich derselbe in einer Depesche an den Marquis de Moustier zu Wie»
3t. Januar 1860 unvermögend, den Vertrag von Zürich auszuführen, und die
Thronrede vom 1. März sagte schon mit einem unbedeutenden Vorbehalt, „daß
der Kaiser dem König von Sardinien gerathen habe die Wünsche der Provinzen,
die sich ihm darboten, günstig aufzunehmen." Aber der Preis für diese stillschwei-
gente Anerkennung war die Vergrößerung Frankreichs. Die Abrede von
Plombiöres mittelbar cingestehend, sagt Napoleon in seinem eigenthümliche"
Brief vom 29. Juli an Persigny „Ich hatte auf Nizza und Savoyen ver¬
zichtet, die außerordentliche Vergrößerung Piemonts allein ließ mich aus den
Wunsch zurückkommen, diese beiden wesentlich französischen Provinzen mit Frank¬
reich vereinigt zu sehen." Wir wollen hier nicht wiedererzählen, wie Eng-
land sich durch einen Handelsvertrag abfinden ließ und die übrigen Großmächte
unzufrieden, aber unthätig zusahen, sondern die Fragen näher ins Auge solse",
auf die sich die wichtigsten mitgetheilten Actenstücke beziehen, die neapolitanische
die römische und die yenetianischc; zuerst die neapolitanische, welche durch den
Fall Gaetas wenigstens für jetzt einen Abschluß gefunden hat.

Das Königreich beider Sicilien schien äußerlich von dem Kampfe unbe¬
rührt geblieben zu sein, der 1859 in den Ebenen der Lombardei tobte. abe>
innerlich war dasselbe ebenso unterhöhlt wie die Herzogtümer und die znipst'
lichen Staaten. König Ferdinand der Zweite hatte den Mahnungen der West¬
mächte und der Abberufung ihrer Gesandten einen hochmüthigen Trotz ent-


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[0372] nach staatlicher Einheit, als der Drang, sich dem Drucke zu entziehen, den die Fremdherrschaft auf die ganze Halbinsel übte. Hätte Oestreich im Feldzug von 1859 seine gestimmten Besitzungen in Italien verloren, so wäre die Kon¬ föderation, welche Napoleon beabsichtigte, wenn auch nicht gesichert, doch nicht unmöglich gewesen. Dieselbe ward aber im Keim dadurch erstickt, daß Oest¬ reich für Venetien Mitglied derselben sein sollte. Ein solcher Bund wäre die Legalisirung des fremden Einflusses gewesen, die Gegenwart der Oestreicher in der Lagunenstadt war der zwingende Grund für die Italiener, über alle Be¬ denken hinwegzugehen und einen Staat zu bilden, stark genug, um dem wiener Cabinet nöthigenfalls die Spitze bieten zu können. Wie weit die Absicht Napoleons aufrichtig oder, doch in sich klar war, die vertriebenen Fürsten wieder einzusetzen, ist zweifelhaft; die Einheit Italiens wollte er gewiß nicht, sondern womöglich einen italienischen Rheinbund; aber gegenüber den Ereig¬ nissen in Toscana und den Legationen mußte er die Unmöglichkeit einsehen, den vorigen Zustand der Dinge herzustellen, und noch ehe die langwierigen Verhandlungen in Zürich ihren unfruchtbaren Abschluß gefunden, hatte er sich für eine Wendung in seiner Politik entschieden. Die Schrift über den Papst und den Congreß vereitelte letztere; nachdem sein neuer auswärtiger Minister vergeblich versucht, den Grafen Cavour zu einem Mittelweg zu bewegen, er¬ klärte sich derselbe in einer Depesche an den Marquis de Moustier zu Wie» 3t. Januar 1860 unvermögend, den Vertrag von Zürich auszuführen, und die Thronrede vom 1. März sagte schon mit einem unbedeutenden Vorbehalt, „daß der Kaiser dem König von Sardinien gerathen habe die Wünsche der Provinzen, die sich ihm darboten, günstig aufzunehmen." Aber der Preis für diese stillschwei- gente Anerkennung war die Vergrößerung Frankreichs. Die Abrede von Plombiöres mittelbar cingestehend, sagt Napoleon in seinem eigenthümliche" Brief vom 29. Juli an Persigny „Ich hatte auf Nizza und Savoyen ver¬ zichtet, die außerordentliche Vergrößerung Piemonts allein ließ mich aus den Wunsch zurückkommen, diese beiden wesentlich französischen Provinzen mit Frank¬ reich vereinigt zu sehen." Wir wollen hier nicht wiedererzählen, wie Eng- land sich durch einen Handelsvertrag abfinden ließ und die übrigen Großmächte unzufrieden, aber unthätig zusahen, sondern die Fragen näher ins Auge solse", auf die sich die wichtigsten mitgetheilten Actenstücke beziehen, die neapolitanische die römische und die yenetianischc; zuerst die neapolitanische, welche durch den Fall Gaetas wenigstens für jetzt einen Abschluß gefunden hat. Das Königreich beider Sicilien schien äußerlich von dem Kampfe unbe¬ rührt geblieben zu sein, der 1859 in den Ebenen der Lombardei tobte. abe> innerlich war dasselbe ebenso unterhöhlt wie die Herzogtümer und die znipst' lichen Staaten. König Ferdinand der Zweite hatte den Mahnungen der West¬ mächte und der Abberufung ihrer Gesandten einen hochmüthigen Trotz ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/372>, abgerufen am 15.01.2025.