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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Die neueste" Documente über Ztnlien.

Die Aufschlüsse über den Fortgang der Ereignisse in Italien, welche uns
das neueste englische Blaubuch, die der französischen Legislative vorgelegten
Actenstücke und zu einem winzigen Theile auch die preußische Adreßdebatte
gebracht, sind wichtig genug, um den Versuch zu rechtfertigen. dieselben übersicht¬
lich zusammenzufassen und uns das Resultat klar zu machen, das sich aus ihnen
ergibt. Wir benutzen hierbei auch einige Nachrichten, welche zwei augenschein¬
lich officiösc Artikel der Revue des deux Mondes "Italien seit Villafranca" geben.

Die ganze jetzige Entwicklung der Dinge in Italien datirt von dem Frie¬
den von Villafranca, obwol derselbe äußerlich ganz zurückgetreten ist. Die
souveraine von Frankreich und Oestreich käme" in jener persönlichen Begeg¬
nung vornehmlich über zwei Punkte überein. Der eine war klar und einfach.
Franz Josef trat die Lombardei ab; der andre in seinen Folgen weit wichti¬
gere war aus Rücksicht für Oestreich nicht bestimmt ausgesprochen, aber doch
bestimmt verstanden: es war der Grundsatz der Nichtintervention. Nur um
seine persönliche Ehrenpflicht zu decken, machte der Kaiser Franz Josef den Vor¬
behalt wegen der Rückkehr der Herzoge; als er aber im November 185" die
Absicht blicken ließ, dem Uebergreifen Sardiniens entgegenzutreten; erklärte
Napoleon dem Fürsten Metternich, daß Frankreich die Überschreitung des Po
durch die Oestreicher als Kriegserklärung betrachten mürbe. er beschränkte seine
Action zu Gunsten der vertriebenen Fürsten auf diplomatische Sendungen und
^msttllungen. Die Besiegung Oestreichs war die nothwendige Vorbedingung
nncr nationalen Neconstruction Italiens, aber der Grundsatz der Nichtinter¬
vention. der seine entschiedenste Unterstützung von England empfing, hat her¬
nach die Einheit rascher gefordert, als es irgend jemand voraussetzte. Am
wenigsten glaubte vielleicht Napoleon an diesen Gang der Ereignisse, aber grade
die UnVollständigkeit des Friedens, die Ueberzeugung, daß der Zustand, den
^ schuf, unmöglich dauern könne, vor Allem die drohende Stellung Oestreichs
'u Venetien trieb die Italiener dazu, die Zeit wahrzunehmen, wo es noch
'""glich war. ihren, Vaterlande eine bessere Verfassung zu geben. Was die
überwiegende Mehrzahl der Nation bewegte, war nicht sowol das Streben


Grenzboten I, 1ö61- ^
Die neueste» Documente über Ztnlien.

Die Aufschlüsse über den Fortgang der Ereignisse in Italien, welche uns
das neueste englische Blaubuch, die der französischen Legislative vorgelegten
Actenstücke und zu einem winzigen Theile auch die preußische Adreßdebatte
gebracht, sind wichtig genug, um den Versuch zu rechtfertigen. dieselben übersicht¬
lich zusammenzufassen und uns das Resultat klar zu machen, das sich aus ihnen
ergibt. Wir benutzen hierbei auch einige Nachrichten, welche zwei augenschein¬
lich officiösc Artikel der Revue des deux Mondes „Italien seit Villafranca" geben.

Die ganze jetzige Entwicklung der Dinge in Italien datirt von dem Frie¬
den von Villafranca, obwol derselbe äußerlich ganz zurückgetreten ist. Die
souveraine von Frankreich und Oestreich käme» in jener persönlichen Begeg¬
nung vornehmlich über zwei Punkte überein. Der eine war klar und einfach.
Franz Josef trat die Lombardei ab; der andre in seinen Folgen weit wichti¬
gere war aus Rücksicht für Oestreich nicht bestimmt ausgesprochen, aber doch
bestimmt verstanden: es war der Grundsatz der Nichtintervention. Nur um
seine persönliche Ehrenpflicht zu decken, machte der Kaiser Franz Josef den Vor¬
behalt wegen der Rückkehr der Herzoge; als er aber im November 185» die
Absicht blicken ließ, dem Uebergreifen Sardiniens entgegenzutreten; erklärte
Napoleon dem Fürsten Metternich, daß Frankreich die Überschreitung des Po
durch die Oestreicher als Kriegserklärung betrachten mürbe. er beschränkte seine
Action zu Gunsten der vertriebenen Fürsten auf diplomatische Sendungen und
^msttllungen. Die Besiegung Oestreichs war die nothwendige Vorbedingung
nncr nationalen Neconstruction Italiens, aber der Grundsatz der Nichtinter¬
vention. der seine entschiedenste Unterstützung von England empfing, hat her¬
nach die Einheit rascher gefordert, als es irgend jemand voraussetzte. Am
wenigsten glaubte vielleicht Napoleon an diesen Gang der Ereignisse, aber grade
die UnVollständigkeit des Friedens, die Ueberzeugung, daß der Zustand, den
^ schuf, unmöglich dauern könne, vor Allem die drohende Stellung Oestreichs
'u Venetien trieb die Italiener dazu, die Zeit wahrzunehmen, wo es noch
'""glich war. ihren, Vaterlande eine bessere Verfassung zu geben. Was die
überwiegende Mehrzahl der Nation bewegte, war nicht sowol das Streben


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[0371] Die neueste» Documente über Ztnlien. Die Aufschlüsse über den Fortgang der Ereignisse in Italien, welche uns das neueste englische Blaubuch, die der französischen Legislative vorgelegten Actenstücke und zu einem winzigen Theile auch die preußische Adreßdebatte gebracht, sind wichtig genug, um den Versuch zu rechtfertigen. dieselben übersicht¬ lich zusammenzufassen und uns das Resultat klar zu machen, das sich aus ihnen ergibt. Wir benutzen hierbei auch einige Nachrichten, welche zwei augenschein¬ lich officiösc Artikel der Revue des deux Mondes „Italien seit Villafranca" geben. Die ganze jetzige Entwicklung der Dinge in Italien datirt von dem Frie¬ den von Villafranca, obwol derselbe äußerlich ganz zurückgetreten ist. Die souveraine von Frankreich und Oestreich käme» in jener persönlichen Begeg¬ nung vornehmlich über zwei Punkte überein. Der eine war klar und einfach. Franz Josef trat die Lombardei ab; der andre in seinen Folgen weit wichti¬ gere war aus Rücksicht für Oestreich nicht bestimmt ausgesprochen, aber doch bestimmt verstanden: es war der Grundsatz der Nichtintervention. Nur um seine persönliche Ehrenpflicht zu decken, machte der Kaiser Franz Josef den Vor¬ behalt wegen der Rückkehr der Herzoge; als er aber im November 185» die Absicht blicken ließ, dem Uebergreifen Sardiniens entgegenzutreten; erklärte Napoleon dem Fürsten Metternich, daß Frankreich die Überschreitung des Po durch die Oestreicher als Kriegserklärung betrachten mürbe. er beschränkte seine Action zu Gunsten der vertriebenen Fürsten auf diplomatische Sendungen und ^msttllungen. Die Besiegung Oestreichs war die nothwendige Vorbedingung nncr nationalen Neconstruction Italiens, aber der Grundsatz der Nichtinter¬ vention. der seine entschiedenste Unterstützung von England empfing, hat her¬ nach die Einheit rascher gefordert, als es irgend jemand voraussetzte. Am wenigsten glaubte vielleicht Napoleon an diesen Gang der Ereignisse, aber grade die UnVollständigkeit des Friedens, die Ueberzeugung, daß der Zustand, den ^ schuf, unmöglich dauern könne, vor Allem die drohende Stellung Oestreichs 'u Venetien trieb die Italiener dazu, die Zeit wahrzunehmen, wo es noch '""glich war. ihren, Vaterlande eine bessere Verfassung zu geben. Was die überwiegende Mehrzahl der Nation bewegte, war nicht sowol das Streben Grenzboten I, 1ö61- ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/371>, abgerufen am 15.01.2025.