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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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nachweisen läßt. Eine nicht unwichtige Rolle in den Provinzialismen haben
die Versicherungswörter, als das niedersächsische doch nach einer verneinenden
Frage (gleich dem französischen si) und das ja wol! das schweizerische jo fri-
lich! und o nein! ferner die Flickwörter, als das oberdeutsche halt, sehr alter
Abstammung, gelt, das in geltcns, geins übergeht, das mittelrheinische H6!
desgleichen die Begrüßungsformeln, als Gott Willkomm! in Oberdeutschland,
Grüß Gott! in Franken. Aus dem Bereich der Grammatik gehören zu den
auffälligen Besonderheiten die Geschlechtsbestimmung von Hauptwörtern, als
der Schnepf, der Schneck, der Spitz (von Bergen) ze. im Oberdeutschen, der
Tuch, das Zettel!c im Niederdeutschen, die niederdeutsche Femininendung in
Ohlsche, Nabersche. Vadderschc, das brandenburgische mir und das nieder¬
sächsische mich statt des richtigen Casus, die oberdeutschen Participformen gc-
wunschen, verbrünnen u. f. w.. der Mangel des Imperfectums in der Erzäh¬
lung des Schwaben und Schweizers ze. Doch weg mit der Laienhand von
dem gegenwärtig stolzen Bau sprachlicher Meisterzunft.

In welchem Maß nun Dialekte und Mundarten kraft ihrer Naturwüchsig¬
keit mit unverwüstlicher Lebenskraft sich neben der unter vernunftmäßiger Mit-
Wirkung ausgebildeten und hochdeutschen Schriftsprache zu behaupten vermögen,
läßt sich im Familienleben und bürgerlichen Gesellschaftsverkehr durch alle
deutschen Landschaften erkennen. Am meisten in den nördlichen, wo reines
Plattdeutsch, und in den südlichen, wo reines Oberdeutsch mit Herz und Sinn
'hrer Bekenner verwachsen sind. Dort wird der Gebrauch des Schrifthoch¬
deutschen nicht leicht über die Sprache der Kirche und Schule und des Beamten-
und Herrenstands hinaus gutgeheißen; hier wird ihm selbst in solHer Sphäre
das Aufkommen verwehrt. Ein züricher Bauer, der seinen Sohn taufen ließ,
pwtestirte gegen den Namen Heinrich, den der Prediger gebrauchte; er solle
Huri sygen. "mer sind jez i der Scholz und rede schwizerdütsch. In Bern
wollte man vor nicht langer Zeit dem deutschen Vogt nicht erlauben, rein
hochdeutsch zu verhandeln, er solle bcrnerisch-deutsch reden. So anmaßlich ist
das Plattdeutsche dem Schrifthochdeutschen gegenüber nicht; doch gern wird
'hin manches hergebrachte Recht im öffentlichen Leben. ^. B. dem Hamburger
Bürgereid, vergönnt und die Ausrufer lassen nicht davon; auch wird es dem
Pfarrer, Gerichts- oder Gutsherrn hoch angerechnet, wenn er zu traulicher
Rede in's Plattdeutsche hinabsteigt, dem Schulmeister aber, der Hochdeutsch
außer seiner Schule zu radebrechen versucht, dies als übelanstehende Vornehm¬
tuerei ausgelegt. Vor Jahren gab es einen hannoverschen Corporal, der
"icht leiden wollte, daß seine Husaren mit einander Plattdeutsch sprächen, was
nicht verstand, denn sie könnten ja sich über ihn aufhalten, und um so
°>Niger sprachen sie dies, sobald sie ohne ihn beisammen waren. In Mittel¬
deutschland hat die locale Mundart ihre Stärke vorzugsweise in Frankfurt;


nachweisen läßt. Eine nicht unwichtige Rolle in den Provinzialismen haben
die Versicherungswörter, als das niedersächsische doch nach einer verneinenden
Frage (gleich dem französischen si) und das ja wol! das schweizerische jo fri-
lich! und o nein! ferner die Flickwörter, als das oberdeutsche halt, sehr alter
Abstammung, gelt, das in geltcns, geins übergeht, das mittelrheinische H6!
desgleichen die Begrüßungsformeln, als Gott Willkomm! in Oberdeutschland,
Grüß Gott! in Franken. Aus dem Bereich der Grammatik gehören zu den
auffälligen Besonderheiten die Geschlechtsbestimmung von Hauptwörtern, als
der Schnepf, der Schneck, der Spitz (von Bergen) ze. im Oberdeutschen, der
Tuch, das Zettel!c im Niederdeutschen, die niederdeutsche Femininendung in
Ohlsche, Nabersche. Vadderschc, das brandenburgische mir und das nieder¬
sächsische mich statt des richtigen Casus, die oberdeutschen Participformen gc-
wunschen, verbrünnen u. f. w.. der Mangel des Imperfectums in der Erzäh¬
lung des Schwaben und Schweizers ze. Doch weg mit der Laienhand von
dem gegenwärtig stolzen Bau sprachlicher Meisterzunft.

In welchem Maß nun Dialekte und Mundarten kraft ihrer Naturwüchsig¬
keit mit unverwüstlicher Lebenskraft sich neben der unter vernunftmäßiger Mit-
Wirkung ausgebildeten und hochdeutschen Schriftsprache zu behaupten vermögen,
läßt sich im Familienleben und bürgerlichen Gesellschaftsverkehr durch alle
deutschen Landschaften erkennen. Am meisten in den nördlichen, wo reines
Plattdeutsch, und in den südlichen, wo reines Oberdeutsch mit Herz und Sinn
'hrer Bekenner verwachsen sind. Dort wird der Gebrauch des Schrifthoch¬
deutschen nicht leicht über die Sprache der Kirche und Schule und des Beamten-
und Herrenstands hinaus gutgeheißen; hier wird ihm selbst in solHer Sphäre
das Aufkommen verwehrt. Ein züricher Bauer, der seinen Sohn taufen ließ,
pwtestirte gegen den Namen Heinrich, den der Prediger gebrauchte; er solle
Huri sygen. „mer sind jez i der Scholz und rede schwizerdütsch. In Bern
wollte man vor nicht langer Zeit dem deutschen Vogt nicht erlauben, rein
hochdeutsch zu verhandeln, er solle bcrnerisch-deutsch reden. So anmaßlich ist
das Plattdeutsche dem Schrifthochdeutschen gegenüber nicht; doch gern wird
'hin manches hergebrachte Recht im öffentlichen Leben. ^. B. dem Hamburger
Bürgereid, vergönnt und die Ausrufer lassen nicht davon; auch wird es dem
Pfarrer, Gerichts- oder Gutsherrn hoch angerechnet, wenn er zu traulicher
Rede in's Plattdeutsche hinabsteigt, dem Schulmeister aber, der Hochdeutsch
außer seiner Schule zu radebrechen versucht, dies als übelanstehende Vornehm¬
tuerei ausgelegt. Vor Jahren gab es einen hannoverschen Corporal, der
"icht leiden wollte, daß seine Husaren mit einander Plattdeutsch sprächen, was
nicht verstand, denn sie könnten ja sich über ihn aufhalten, und um so
°>Niger sprachen sie dies, sobald sie ohne ihn beisammen waren. In Mittel¬
deutschland hat die locale Mundart ihre Stärke vorzugsweise in Frankfurt;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/369>, abgerufen am 15.01.2025.