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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Er ist zahm und gesetzt geworden und besitzt in der Regel, da er eine Schule
zu besuchen und ein Examen zu ndsolviren hat, mehr oder weniger Bildung.
Zwar spricht er, gleich dem Bergmann, dem Studenten und dem Handwerks¬
burschen noch die Sprache seines Standes, aber die alten Waidspruche wissen
nur noch wenige auswendig, und von dem feierlichen Ceremonie!, mit welchem
seine Vorgänger ihr ganzes Thun und Treiben umgaben, ist nur da ein Rest
geblieben, wo es künstlich erhalten wurde. Der Jagdkalender gilt fort, so¬
weit er an die Natur anknüpft. Die Jagerkünste haben wenig Raum, wo
die Forstcultur alle Kräfte für ihre Kunst und Wissenschaft in Anspruch nimmt,
und die Büchsenmacher Gewehre bauen, die keines Zaubers bedürfen, um sicher
zu schießen. Der Aberglaube, das Märchen und die Sage der waidmännischen
Welt haben sich in den tiefen Wald und das ferne Gebirge geflüchtet, wo sie
einst entsprangen. Nur die Jägcrlüge soll hier und dort auch im Flachlande
noch häusig angetroffen werden. Seiten wird noch der Ton des Hifthorns ge¬
hört, aber wenn damit ein gutes Theil Poesie aus der Welt gegangen ist, so
können wir uns trösten: es war eine Poesie, die für drei Viertel des Volkes
ein Fluch war, und die auch denen, die sie allein genossen, wie alles Ueber¬
maß nicht zum Segen gereichte.

Im Nachstehenden versuchen wir ein Stück dieser versunkenen Welt
wieder aufleben zu lassen, indem wir den Förster schildern, wie er vor hun¬
dert Jahren und in abgelegenen Waldeinsamkeiten noch in weit späterer Zeit
in Haus und Forst, in Wort und That und namentlich bei großen Hirsch¬
jagden, den Haupt- und Staatsactionen seines Wirkungskreises, sein Hand¬
werk betrieb.*)

Wir sind auf einer Waldblöße, und vor uns liegt das Jägerhaus, be¬
schattet von alten Bäumen. Den First des moosbewachsenen Strohdachs
schmücken Hirschgeweihe, an den Giebel sind mit ausgebreiteten Flügeln Uhus
und andere Raubvögel genagelt. Hinter dem Hause zieht sich ein kleiner
Garten mit etlichen Gemüsebeeten und Obstbäumen hin, wol auch ein Stück
Feld, das dem Förster von einem Vetter oder Geatter im nächsten Dorfe
bestellt wird. Schon von fern begrüßt uns Gebell von Rüden, in das sich
Gekläff von Dächseln und Gewinsel von jungen Hunden mischt, die von dem
Meister oder dem Burschen mit Peitsche und Stachelhalsband in die Geheim¬
nisse des Jägereinmaleins eingeführt werden. In den Hof getreten, sehen wir
in einem Winkel einen Fuchs an der Kette, der uns mit schlauem Blinzeln



") Wir folgen hierbei vorzüglich zwei Schriften: "Jägerbrcvier" und "Jägcrhörnlein," je"^
1857, dieses 186Z (Dresden. Schönfelds Buchhandlung) erschienen, die wir denen, welche
Ausführlicheres über den Gegenstand zu erfahren wünsche", als ziemlich reichhaltige Zusammen¬
stellungen von Auszügen aus ältern und neuern Werken empfehlen.

Er ist zahm und gesetzt geworden und besitzt in der Regel, da er eine Schule
zu besuchen und ein Examen zu ndsolviren hat, mehr oder weniger Bildung.
Zwar spricht er, gleich dem Bergmann, dem Studenten und dem Handwerks¬
burschen noch die Sprache seines Standes, aber die alten Waidspruche wissen
nur noch wenige auswendig, und von dem feierlichen Ceremonie!, mit welchem
seine Vorgänger ihr ganzes Thun und Treiben umgaben, ist nur da ein Rest
geblieben, wo es künstlich erhalten wurde. Der Jagdkalender gilt fort, so¬
weit er an die Natur anknüpft. Die Jagerkünste haben wenig Raum, wo
die Forstcultur alle Kräfte für ihre Kunst und Wissenschaft in Anspruch nimmt,
und die Büchsenmacher Gewehre bauen, die keines Zaubers bedürfen, um sicher
zu schießen. Der Aberglaube, das Märchen und die Sage der waidmännischen
Welt haben sich in den tiefen Wald und das ferne Gebirge geflüchtet, wo sie
einst entsprangen. Nur die Jägcrlüge soll hier und dort auch im Flachlande
noch häusig angetroffen werden. Seiten wird noch der Ton des Hifthorns ge¬
hört, aber wenn damit ein gutes Theil Poesie aus der Welt gegangen ist, so
können wir uns trösten: es war eine Poesie, die für drei Viertel des Volkes
ein Fluch war, und die auch denen, die sie allein genossen, wie alles Ueber¬
maß nicht zum Segen gereichte.

Im Nachstehenden versuchen wir ein Stück dieser versunkenen Welt
wieder aufleben zu lassen, indem wir den Förster schildern, wie er vor hun¬
dert Jahren und in abgelegenen Waldeinsamkeiten noch in weit späterer Zeit
in Haus und Forst, in Wort und That und namentlich bei großen Hirsch¬
jagden, den Haupt- und Staatsactionen seines Wirkungskreises, sein Hand¬
werk betrieb.*)

Wir sind auf einer Waldblöße, und vor uns liegt das Jägerhaus, be¬
schattet von alten Bäumen. Den First des moosbewachsenen Strohdachs
schmücken Hirschgeweihe, an den Giebel sind mit ausgebreiteten Flügeln Uhus
und andere Raubvögel genagelt. Hinter dem Hause zieht sich ein kleiner
Garten mit etlichen Gemüsebeeten und Obstbäumen hin, wol auch ein Stück
Feld, das dem Förster von einem Vetter oder Geatter im nächsten Dorfe
bestellt wird. Schon von fern begrüßt uns Gebell von Rüden, in das sich
Gekläff von Dächseln und Gewinsel von jungen Hunden mischt, die von dem
Meister oder dem Burschen mit Peitsche und Stachelhalsband in die Geheim¬
nisse des Jägereinmaleins eingeführt werden. In den Hof getreten, sehen wir
in einem Winkel einen Fuchs an der Kette, der uns mit schlauem Blinzeln



") Wir folgen hierbei vorzüglich zwei Schriften: „Jägerbrcvier" und „Jägcrhörnlein," je"^
1857, dieses 186Z (Dresden. Schönfelds Buchhandlung) erschienen, die wir denen, welche
Ausführlicheres über den Gegenstand zu erfahren wünsche», als ziemlich reichhaltige Zusammen¬
stellungen von Auszügen aus ältern und neuern Werken empfehlen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/302>, abgerufen am 26.08.2024.