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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Führer Vincke den Vorwurf gemacht, daß er zu großen Mangel an Schonung
und Discretion an den Tag gelegt und rücksichtslos alte Freunde und Kampf¬
genossen mit seinen Streichen getroffen habe. Nie ist. im Ganzen betrachtet,
ein Vorwurf weniger gerecht gewesen. Gerade die rücksichtslose Offenheit, das
Aussprechen des Details, was Millionen in der Seele lag und von Millionen
als ein schwerer Vorwurf gegen die Regierung Preußens geltend gemacht
wurde, gerade das hat der Negierung mehr wohl gethan, als irgend welche
diplomatische Schonung. -- Die Blitze seiner Rede, welche nach allen Richtun¬
gen hin und her fuhren, sie haben für den Augenblick die Luft gereinigt.
Ob er Herrn v. Zedlitz zu viel gethan oder nicht, das wissen wir nicht. Wenn die
schwebende Untersuchung beendet und in ihrem Detail der Oeffentlichkeit zugänglich
gemacht worden ist, wird die öffentliche Stimmung dem Nachfolger Hinkcldeys
bereitwillig jede Genugthuung geben, zu welcher er berechtigt ist.' Daß aber
mehre empfindliche Uebelstände unserer höheren Verwaltung gerade so scharf
und rücksichtslos ausgesprochen worden sind, das hat den kleinlichen Haß und
ein gewisses boshaftes Mißtrauen, welches bereits von unten auf gegen das
höhere Beamtenthum Preußens zu arbeiten drohte, glänzend niedergeschlagen.
Zahllose, welche die persönlichen Angriffe dieser Reden gelesen und gehört,
sind deshalb stärkere Männer geworden, weil sie das Vertrauen gewonnen,
daß ein heimliches Vertuschen unleidlicher Verhältnisse in Preußen nicht mehr
möglich ist. und daß es eine Stelle giebt, wo ein unabhängiger Mann das
Stärkste sagen darf, wo bei den höchsten Dienern des Staats das Gefühl
der Verantwortlichkeit sich gebieterisch geltend macht. Und wenn Allen Dank
gebührt, welche in der Adreßdebatte wirksam eine Ueberzeugung vertreten haben,
der größte gebührt doch dem unermüdlichen tapfern Abgeordneten für Hagen.
Wer das noch bezweifeln kann, der werfe einen Blick auf die Presse des Auslandes.
Welcher Unterschied gegen die Beurtheilung Preußens vor wenigen Wochen!
Und die Kammer hat wahrlich nicht um den Beifall der Fremden gebuhlt-
Auch Herrn von Vincke wird an der goldenen Denkmünze, welche ihm Fremde
schlagen, wenig gelegen sein. Und wer dann noch zweifelt, der betrachte die
erhöhte Stimmung in Preußen selbst, das gestärkte Vertrauen, die warme freu¬
dige Theilnahme, mit welcher die Deutschen außerhalb Preußen den Verhand¬
lungen folgten. ,

Aber der beste Grund zur Freude liegt nicht in dem augenblicklichen Er¬
folge. Er liegt darin, daß das Haus der Abgeordneten, welches berufen ist-
die politische Intelligenz des preußischen Volkes darzustellen, bei wichtiger Ver¬
anlassung dargethan hat, wohin bereits der Schwevpunki der öffentlichen An¬
gelegenheiten sich zu neigen beginnt. Er ruht nicht mehr allein in dem
Beherrscher des Staats, wie geliebt, maßvoll, weise derselbe immer sei, nich
mehr vorzugsweise in den Ministern, wie patriotisch und vslichtvoll diese auch


Führer Vincke den Vorwurf gemacht, daß er zu großen Mangel an Schonung
und Discretion an den Tag gelegt und rücksichtslos alte Freunde und Kampf¬
genossen mit seinen Streichen getroffen habe. Nie ist. im Ganzen betrachtet,
ein Vorwurf weniger gerecht gewesen. Gerade die rücksichtslose Offenheit, das
Aussprechen des Details, was Millionen in der Seele lag und von Millionen
als ein schwerer Vorwurf gegen die Regierung Preußens geltend gemacht
wurde, gerade das hat der Negierung mehr wohl gethan, als irgend welche
diplomatische Schonung. — Die Blitze seiner Rede, welche nach allen Richtun¬
gen hin und her fuhren, sie haben für den Augenblick die Luft gereinigt.
Ob er Herrn v. Zedlitz zu viel gethan oder nicht, das wissen wir nicht. Wenn die
schwebende Untersuchung beendet und in ihrem Detail der Oeffentlichkeit zugänglich
gemacht worden ist, wird die öffentliche Stimmung dem Nachfolger Hinkcldeys
bereitwillig jede Genugthuung geben, zu welcher er berechtigt ist.' Daß aber
mehre empfindliche Uebelstände unserer höheren Verwaltung gerade so scharf
und rücksichtslos ausgesprochen worden sind, das hat den kleinlichen Haß und
ein gewisses boshaftes Mißtrauen, welches bereits von unten auf gegen das
höhere Beamtenthum Preußens zu arbeiten drohte, glänzend niedergeschlagen.
Zahllose, welche die persönlichen Angriffe dieser Reden gelesen und gehört,
sind deshalb stärkere Männer geworden, weil sie das Vertrauen gewonnen,
daß ein heimliches Vertuschen unleidlicher Verhältnisse in Preußen nicht mehr
möglich ist. und daß es eine Stelle giebt, wo ein unabhängiger Mann das
Stärkste sagen darf, wo bei den höchsten Dienern des Staats das Gefühl
der Verantwortlichkeit sich gebieterisch geltend macht. Und wenn Allen Dank
gebührt, welche in der Adreßdebatte wirksam eine Ueberzeugung vertreten haben,
der größte gebührt doch dem unermüdlichen tapfern Abgeordneten für Hagen.
Wer das noch bezweifeln kann, der werfe einen Blick auf die Presse des Auslandes.
Welcher Unterschied gegen die Beurtheilung Preußens vor wenigen Wochen!
Und die Kammer hat wahrlich nicht um den Beifall der Fremden gebuhlt-
Auch Herrn von Vincke wird an der goldenen Denkmünze, welche ihm Fremde
schlagen, wenig gelegen sein. Und wer dann noch zweifelt, der betrachte die
erhöhte Stimmung in Preußen selbst, das gestärkte Vertrauen, die warme freu¬
dige Theilnahme, mit welcher die Deutschen außerhalb Preußen den Verhand¬
lungen folgten. ,

Aber der beste Grund zur Freude liegt nicht in dem augenblicklichen Er¬
folge. Er liegt darin, daß das Haus der Abgeordneten, welches berufen ist-
die politische Intelligenz des preußischen Volkes darzustellen, bei wichtiger Ver¬
anlassung dargethan hat, wohin bereits der Schwevpunki der öffentlichen An¬
gelegenheiten sich zu neigen beginnt. Er ruht nicht mehr allein in dem
Beherrscher des Staats, wie geliebt, maßvoll, weise derselbe immer sei, nich
mehr vorzugsweise in den Ministern, wie patriotisch und vslichtvoll diese auch


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[0298] Führer Vincke den Vorwurf gemacht, daß er zu großen Mangel an Schonung und Discretion an den Tag gelegt und rücksichtslos alte Freunde und Kampf¬ genossen mit seinen Streichen getroffen habe. Nie ist. im Ganzen betrachtet, ein Vorwurf weniger gerecht gewesen. Gerade die rücksichtslose Offenheit, das Aussprechen des Details, was Millionen in der Seele lag und von Millionen als ein schwerer Vorwurf gegen die Regierung Preußens geltend gemacht wurde, gerade das hat der Negierung mehr wohl gethan, als irgend welche diplomatische Schonung. — Die Blitze seiner Rede, welche nach allen Richtun¬ gen hin und her fuhren, sie haben für den Augenblick die Luft gereinigt. Ob er Herrn v. Zedlitz zu viel gethan oder nicht, das wissen wir nicht. Wenn die schwebende Untersuchung beendet und in ihrem Detail der Oeffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, wird die öffentliche Stimmung dem Nachfolger Hinkcldeys bereitwillig jede Genugthuung geben, zu welcher er berechtigt ist.' Daß aber mehre empfindliche Uebelstände unserer höheren Verwaltung gerade so scharf und rücksichtslos ausgesprochen worden sind, das hat den kleinlichen Haß und ein gewisses boshaftes Mißtrauen, welches bereits von unten auf gegen das höhere Beamtenthum Preußens zu arbeiten drohte, glänzend niedergeschlagen. Zahllose, welche die persönlichen Angriffe dieser Reden gelesen und gehört, sind deshalb stärkere Männer geworden, weil sie das Vertrauen gewonnen, daß ein heimliches Vertuschen unleidlicher Verhältnisse in Preußen nicht mehr möglich ist. und daß es eine Stelle giebt, wo ein unabhängiger Mann das Stärkste sagen darf, wo bei den höchsten Dienern des Staats das Gefühl der Verantwortlichkeit sich gebieterisch geltend macht. Und wenn Allen Dank gebührt, welche in der Adreßdebatte wirksam eine Ueberzeugung vertreten haben, der größte gebührt doch dem unermüdlichen tapfern Abgeordneten für Hagen. Wer das noch bezweifeln kann, der werfe einen Blick auf die Presse des Auslandes. Welcher Unterschied gegen die Beurtheilung Preußens vor wenigen Wochen! Und die Kammer hat wahrlich nicht um den Beifall der Fremden gebuhlt- Auch Herrn von Vincke wird an der goldenen Denkmünze, welche ihm Fremde schlagen, wenig gelegen sein. Und wer dann noch zweifelt, der betrachte die erhöhte Stimmung in Preußen selbst, das gestärkte Vertrauen, die warme freu¬ dige Theilnahme, mit welcher die Deutschen außerhalb Preußen den Verhand¬ lungen folgten. , Aber der beste Grund zur Freude liegt nicht in dem augenblicklichen Er¬ folge. Er liegt darin, daß das Haus der Abgeordneten, welches berufen ist- die politische Intelligenz des preußischen Volkes darzustellen, bei wichtiger Ver¬ anlassung dargethan hat, wohin bereits der Schwevpunki der öffentlichen An¬ gelegenheiten sich zu neigen beginnt. Er ruht nicht mehr allein in dem Beherrscher des Staats, wie geliebt, maßvoll, weise derselbe immer sei, nich mehr vorzugsweise in den Ministern, wie patriotisch und vslichtvoll diese auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/298>, abgerufen am 26.08.2024.