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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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auf Irrwegen, wie z. B. die Alchymie. -- Ein System erinnere an den Ehr¬
geiz bei Alexander dem Großen: es werfe eine unzählige Menge Fragen auf,
errege die Polemik u. s. w. -- Die kleine Schrift verdient, noch heute be¬
herzigt zu werden.

Gegen Voltaire (1751--1757) nimmt er namentlich Luther in Schutz;
die abenteuerlichen Ideen des Präsidenten der berliner Akademie, Mauper-
tuis (z. B. das Recht der Wissenschaft, an Verbrechern Experimente in anima,
piu zu machen) widerlegt er mit sittlichem Ernst; Rousseaus Ideen sur
l'im^alles xarmi Jos liommes, bespricht er mit Antheil (1756), wenn auch mit
Spott: ein allzu Heller Verstand könne zur völligen Verrückung führen; dagegen
tritt er ihm (1759) in seinen Augriffen gegen die Unsittlichkeit des Theaters
völlig bei, und belegt sie mit Beispielen aus Molivre: die eomväiö tar-
in0Mirts erscheint ihm noch als die unschädlichste Gattung der Dramen. Gegen
Hnm e vertheidigt er (1765) die Art, wie die Franzosen die Leidenschaften an
dem Theater darstellen, da sie auch im Leben an Zurückhaltung gewöhnt sind
ihre Galanterie dagegen verwirft er ganz. -- Helvetius bespricht er (1759)
mit Abscheu, auch gegen Voltaire wird er immer härter. "Witz. Ironie, flüch¬
tige Gelehrsamkeit, herzhafte Bejahung ohne Beweis und ein brennender Haß
gegen die Offenbarung: dünn verschleiert mit einiger Achtung für die Tugend
und dem allgemeinen Glauben an Gott. Ueberall sprühen Funken von dem
verzehrenden Feuer dieses Skeptikers." --

1 772 schrieb Haller die "Briefe eines Vaters an seine geliebte Tochter
über die wichtigsten Wahrheiten der Offenbarung." die ursprünglich bestimmt
waren, den Schluß seines Romans Usong zu bilden: allein er scheute sich,
Gedanken über ewige Dinge mit einer Geschichte zu verbinden, "worin von
Liebe und Kriegen und andern Geschäften des gemeinen Lebens die Rede ist." --
-- "Die neuen Weisen, heißt es darin, haben ihren Hochmuth so weit
getrieben, daß sie das Verderben des menschlichen Herzens leugnen,
oder nur auf wenige, auf die größten Missethäter, auf ihre Feinde ein¬
schränken." -- Die Verderbtheit der menschlichen Natur bedingt die Er¬
lösung. -- "Der erste Anblick dieses Geheimnisses ist von einer Höhe,
worüber der Verstand erstaunt, worüber unsre Weisheit schwindet und die
Kräfte der Vernunft einsinken. Der Ewige, das unbegreifliche Wesen zeichnet
sich eine der kleinsten Erden aus; er beherzigt das Heil einiger Würmer, die
auf dieser Erde ihre Nahrung finden, er theilt sich so, wie der Einzige sieh
theilen kann, er vereinigt sich innigst mit einem dieser Sterblichen, er legtet
die Gedanken, die Thaten, die Lehren desselben durch die Stufen des Lebens
eines Irdischen bis in einen elenden und' schmachvollen Tod." -- Das ist wohl
nicht recht orthodox. Den Beweis für die Wahrheit der Offenbarung findet Haller


auf Irrwegen, wie z. B. die Alchymie. — Ein System erinnere an den Ehr¬
geiz bei Alexander dem Großen: es werfe eine unzählige Menge Fragen auf,
errege die Polemik u. s. w. — Die kleine Schrift verdient, noch heute be¬
herzigt zu werden.

Gegen Voltaire (1751—1757) nimmt er namentlich Luther in Schutz;
die abenteuerlichen Ideen des Präsidenten der berliner Akademie, Mauper-
tuis (z. B. das Recht der Wissenschaft, an Verbrechern Experimente in anima,
piu zu machen) widerlegt er mit sittlichem Ernst; Rousseaus Ideen sur
l'im^alles xarmi Jos liommes, bespricht er mit Antheil (1756), wenn auch mit
Spott: ein allzu Heller Verstand könne zur völligen Verrückung führen; dagegen
tritt er ihm (1759) in seinen Augriffen gegen die Unsittlichkeit des Theaters
völlig bei, und belegt sie mit Beispielen aus Molivre: die eomväiö tar-
in0Mirts erscheint ihm noch als die unschädlichste Gattung der Dramen. Gegen
Hnm e vertheidigt er (1765) die Art, wie die Franzosen die Leidenschaften an
dem Theater darstellen, da sie auch im Leben an Zurückhaltung gewöhnt sind
ihre Galanterie dagegen verwirft er ganz. — Helvetius bespricht er (1759)
mit Abscheu, auch gegen Voltaire wird er immer härter. „Witz. Ironie, flüch¬
tige Gelehrsamkeit, herzhafte Bejahung ohne Beweis und ein brennender Haß
gegen die Offenbarung: dünn verschleiert mit einiger Achtung für die Tugend
und dem allgemeinen Glauben an Gott. Ueberall sprühen Funken von dem
verzehrenden Feuer dieses Skeptikers." —

1 772 schrieb Haller die „Briefe eines Vaters an seine geliebte Tochter
über die wichtigsten Wahrheiten der Offenbarung." die ursprünglich bestimmt
waren, den Schluß seines Romans Usong zu bilden: allein er scheute sich,
Gedanken über ewige Dinge mit einer Geschichte zu verbinden, „worin von
Liebe und Kriegen und andern Geschäften des gemeinen Lebens die Rede ist." —
— „Die neuen Weisen, heißt es darin, haben ihren Hochmuth so weit
getrieben, daß sie das Verderben des menschlichen Herzens leugnen,
oder nur auf wenige, auf die größten Missethäter, auf ihre Feinde ein¬
schränken." — Die Verderbtheit der menschlichen Natur bedingt die Er¬
lösung. — „Der erste Anblick dieses Geheimnisses ist von einer Höhe,
worüber der Verstand erstaunt, worüber unsre Weisheit schwindet und die
Kräfte der Vernunft einsinken. Der Ewige, das unbegreifliche Wesen zeichnet
sich eine der kleinsten Erden aus; er beherzigt das Heil einiger Würmer, die
auf dieser Erde ihre Nahrung finden, er theilt sich so, wie der Einzige sieh
theilen kann, er vereinigt sich innigst mit einem dieser Sterblichen, er legtet
die Gedanken, die Thaten, die Lehren desselben durch die Stufen des Lebens
eines Irdischen bis in einen elenden und' schmachvollen Tod." — Das ist wohl
nicht recht orthodox. Den Beweis für die Wahrheit der Offenbarung findet Haller


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[0288] auf Irrwegen, wie z. B. die Alchymie. — Ein System erinnere an den Ehr¬ geiz bei Alexander dem Großen: es werfe eine unzählige Menge Fragen auf, errege die Polemik u. s. w. — Die kleine Schrift verdient, noch heute be¬ herzigt zu werden. Gegen Voltaire (1751—1757) nimmt er namentlich Luther in Schutz; die abenteuerlichen Ideen des Präsidenten der berliner Akademie, Mauper- tuis (z. B. das Recht der Wissenschaft, an Verbrechern Experimente in anima, piu zu machen) widerlegt er mit sittlichem Ernst; Rousseaus Ideen sur l'im^alles xarmi Jos liommes, bespricht er mit Antheil (1756), wenn auch mit Spott: ein allzu Heller Verstand könne zur völligen Verrückung führen; dagegen tritt er ihm (1759) in seinen Augriffen gegen die Unsittlichkeit des Theaters völlig bei, und belegt sie mit Beispielen aus Molivre: die eomväiö tar- in0Mirts erscheint ihm noch als die unschädlichste Gattung der Dramen. Gegen Hnm e vertheidigt er (1765) die Art, wie die Franzosen die Leidenschaften an dem Theater darstellen, da sie auch im Leben an Zurückhaltung gewöhnt sind ihre Galanterie dagegen verwirft er ganz. — Helvetius bespricht er (1759) mit Abscheu, auch gegen Voltaire wird er immer härter. „Witz. Ironie, flüch¬ tige Gelehrsamkeit, herzhafte Bejahung ohne Beweis und ein brennender Haß gegen die Offenbarung: dünn verschleiert mit einiger Achtung für die Tugend und dem allgemeinen Glauben an Gott. Ueberall sprühen Funken von dem verzehrenden Feuer dieses Skeptikers." — 1 772 schrieb Haller die „Briefe eines Vaters an seine geliebte Tochter über die wichtigsten Wahrheiten der Offenbarung." die ursprünglich bestimmt waren, den Schluß seines Romans Usong zu bilden: allein er scheute sich, Gedanken über ewige Dinge mit einer Geschichte zu verbinden, „worin von Liebe und Kriegen und andern Geschäften des gemeinen Lebens die Rede ist." — — „Die neuen Weisen, heißt es darin, haben ihren Hochmuth so weit getrieben, daß sie das Verderben des menschlichen Herzens leugnen, oder nur auf wenige, auf die größten Missethäter, auf ihre Feinde ein¬ schränken." — Die Verderbtheit der menschlichen Natur bedingt die Er¬ lösung. — „Der erste Anblick dieses Geheimnisses ist von einer Höhe, worüber der Verstand erstaunt, worüber unsre Weisheit schwindet und die Kräfte der Vernunft einsinken. Der Ewige, das unbegreifliche Wesen zeichnet sich eine der kleinsten Erden aus; er beherzigt das Heil einiger Würmer, die auf dieser Erde ihre Nahrung finden, er theilt sich so, wie der Einzige sieh theilen kann, er vereinigt sich innigst mit einem dieser Sterblichen, er legtet die Gedanken, die Thaten, die Lehren desselben durch die Stufen des Lebens eines Irdischen bis in einen elenden und' schmachvollen Tod." — Das ist wohl nicht recht orthodox. Den Beweis für die Wahrheit der Offenbarung findet Haller

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/288>, abgerufen am 25.08.2024.