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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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und trank gern Wein, Haller konnt? den Wein nicht vertragen und fühlte sich
am wohlsten in der Einsamkeit. Hagedorn war ein sorgloser Müßiggänger;
Haller lebte in strengsten Studien und war zur Schwermuth geneigt; er ar¬
beitete schwer, und dabei legte ihm die Sprache, die er erst lernen mühte,
große Schwierigkeiten in den Weg. -- In der That fließe" seine französischen
Briefe viel leichter als seine deutschen Schriften.

Ueber seine Poesie schwankte seine Stimmung; sein Nuhm war ihm wol lieb,
aber die Beschäftigung mit weniger ernsten Gegenständen kam ihm doch fri¬
vol vor. I,g, ?o6sik, schreibt er 26. Mai 1737 an den Landvogt Simmer,
est si äWeilo Hu'on N6 x6ut ^ r<w8sü' 8g.ri8 edi'6 gcmi", et qus1 äomirmg'u
xour im gvviv que as se reckuire s. t'airv ävs vors. -- Das ist wieder
die Stimmung der Wolfschen Periode. Und dabei ist er doch fehr empfind¬
lich, wenn Andere so denken. Im trvimtÄM irn88i trivolv <^U6 1a. xoWiö,
schreibt er im August desselben Jahres, äevrait-it in'"blÄiüer? De u.6 1" l3.n-
it point? I^'Iromm6 68t a886i? col'rowM xour til'6l' vauit6 Ä'un Iradit, Ä'uns
reveriZirc:", Ä'no edeval, 6t Lüi8-jo M6i11i6ni-M6 168 antr68? I>6L 1"nan^68,
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1e8 autre8 a 86 Ä0iM6r 1a xeinö ä6 keinäre 6n moti-6 kaveur.

Der wichtigste Fortschritt, den wir der Literatur von 1680--1750 ver¬
danken, war die Erhebung des Deutschen zur Schriftsprache. Haller, um so ver¬
dienstlicher, da er mit seinem Dialekt zu kämpfen hatte, war darin der wür¬
dige Mitarbeiter von Thomasius, Wolf, Gottsched u. s. w. Mehr und mehr
aber überwog bei ihm der Gelehrte, und 1778 fand er sich zu folgender H-erzcns-
ergießung veranlaßt: "Es ist offenbar ein Unglück, daß nicht alle Gelehrte, wenig¬
stens über die gründlichen Wissenschaften, lateinisch schreiben. Die Gewohnheit
der heutigen Nationen, daß jede in ihrer eigenen Sprache schreiben will, wird
zum unerträglichen Joch für die Gelehrten, die jetzt sechs bis acht Sprachen
verstehen müssen. Ob wir heutzutage wohl nicht wie ein Cicero schreiben, so ist
dennoch die lateinische Sprache unendlich schöner, reicher und wohlklingender,
als alle heutigen Sprachen; und wo Kürze und Nachdruck sein soll, wie auf
den Münzen und Steinschriften, müssen anch die Franzosen, die bestündige
Ausfälle gegen den Gebrauch der lateinischen Sprache thun, auf sie zu¬
rückkommen." -- Aus solchen Stellen sieht man, wie nothwendig es war, ^
daß die Deutschen lernten, neben den "gründlichen Wissenschaften" auch an¬
dere Dinge zu treiben; ohne durch die Poesie ihre Sprache wiederzufinden,
wären die Deutschen ewig Parias geblieben. -- Auch Kant wurde in den
siebziger Jahren von seinem Freunde Ruhnken sehr streng getadelt, daß er
sich des deutschen Idioms bediente, da er doch, wenn er Latein schriebe, der
ganzen Welt nützen könne.


und trank gern Wein, Haller konnt? den Wein nicht vertragen und fühlte sich
am wohlsten in der Einsamkeit. Hagedorn war ein sorgloser Müßiggänger;
Haller lebte in strengsten Studien und war zur Schwermuth geneigt; er ar¬
beitete schwer, und dabei legte ihm die Sprache, die er erst lernen mühte,
große Schwierigkeiten in den Weg. — In der That fließe» seine französischen
Briefe viel leichter als seine deutschen Schriften.

Ueber seine Poesie schwankte seine Stimmung; sein Nuhm war ihm wol lieb,
aber die Beschäftigung mit weniger ernsten Gegenständen kam ihm doch fri¬
vol vor. I,g, ?o6sik, schreibt er 26. Mai 1737 an den Landvogt Simmer,
est si äWeilo Hu'on N6 x6ut ^ r<w8sü' 8g.ri8 edi'6 gcmi«, et qus1 äomirmg'u
xour im gvviv que as se reckuire s. t'airv ävs vors. — Das ist wieder
die Stimmung der Wolfschen Periode. Und dabei ist er doch fehr empfind¬
lich, wenn Andere so denken. Im trvimtÄM irn88i trivolv <^U6 1a. xoWiö,
schreibt er im August desselben Jahres, äevrait-it in'«blÄiüer? De u.6 1« l3.n-
it point? I^'Iromm6 68t a886i? col'rowM xour til'6l' vauit6 Ä'un Iradit, Ä'uns
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Der wichtigste Fortschritt, den wir der Literatur von 1680—1750 ver¬
danken, war die Erhebung des Deutschen zur Schriftsprache. Haller, um so ver¬
dienstlicher, da er mit seinem Dialekt zu kämpfen hatte, war darin der wür¬
dige Mitarbeiter von Thomasius, Wolf, Gottsched u. s. w. Mehr und mehr
aber überwog bei ihm der Gelehrte, und 1778 fand er sich zu folgender H-erzcns-
ergießung veranlaßt: „Es ist offenbar ein Unglück, daß nicht alle Gelehrte, wenig¬
stens über die gründlichen Wissenschaften, lateinisch schreiben. Die Gewohnheit
der heutigen Nationen, daß jede in ihrer eigenen Sprache schreiben will, wird
zum unerträglichen Joch für die Gelehrten, die jetzt sechs bis acht Sprachen
verstehen müssen. Ob wir heutzutage wohl nicht wie ein Cicero schreiben, so ist
dennoch die lateinische Sprache unendlich schöner, reicher und wohlklingender,
als alle heutigen Sprachen; und wo Kürze und Nachdruck sein soll, wie auf
den Münzen und Steinschriften, müssen anch die Franzosen, die bestündige
Ausfälle gegen den Gebrauch der lateinischen Sprache thun, auf sie zu¬
rückkommen." — Aus solchen Stellen sieht man, wie nothwendig es war, ^
daß die Deutschen lernten, neben den „gründlichen Wissenschaften" auch an¬
dere Dinge zu treiben; ohne durch die Poesie ihre Sprache wiederzufinden,
wären die Deutschen ewig Parias geblieben. — Auch Kant wurde in den
siebziger Jahren von seinem Freunde Ruhnken sehr streng getadelt, daß er
sich des deutschen Idioms bediente, da er doch, wenn er Latein schriebe, der
ganzen Welt nützen könne.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/286>, abgerufen am 25.08.2024.