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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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weiter können -- ein nichts weniger als nobles Vergnügen, das stark nach
Thicrguälerei schmeckt, über das wir uns aber nicht wundern dürfen, da jeder
gemeine Italiener ein geborner Thierquäler ist.

Der italienische Kleinstädter hat wenig von den Eigenschaften des deutschen.
Er liebt gleich diesem den Klatsch und hat denselben engen Gesichtskreis, was
sich theils aus der Abgeschlossenheit der einzelnen Bezirke und Orte gegen
einander erklärt, die oft weniger von einander wissen, als wir von den fern¬
sten Gegenden und Städten, andrerseits aber darauf zurückzuführen ist. daß
die Bildung hier selbst in den mittlern Ständen noch sehr im Argen liegt.
Dies gilt unter anderen vorzüglich von der Geographie, und der Verfasser wurde
in dieser Beziehung nicht selten durch die wunderlichsten Behauptungen über^
tischt. Einmal fragte ihn ein Postbeamter, ob nicht Preußen ein Kanton
der Schweiz sei. Ein andermal meinte ein gutgekleideter Signore, die "neue"
Kunst der Daguerreotypic sei eine Erfindung der Italiener, und als ihm dieß
widerlegt wurde, wollte er es nicht glauben. Es wären ja auch die Eisen¬
bahnen und die Telegraphen in Italien zuerst aufgekommen. Dagegen haben
"lie Italiener, wenigstens im Römischen, eine gute Haltung, und ein an-
">uthiges Geberdenspiel, wobei sie allerdings durch guten Körperbau und aus¬
drucksvolle Züge unterstützt werden. Doch dürste ihr mehr oder minder
vornehmes Wesen noch mehr auf Rechnung ihrer classischen Abstammung so¬
wie des Umstandes zu bringen sein, daß der Standesunterschied hier nicht so
schroff wie im Norden hervortritt. Wer ungezwungen spricht und sich ohne
^ngst anzustoßen bewegt, wird in der Regel anch schön sprechen und durch
>um Benehmen den Eindruck eines Gentleman machen.

Wenn man dem Italiener Geiz und Geldgier vorwirft, so mag das von
den Orten an der großen Heerstraße gelten, wo der Fremdenzug ihn verdor¬
ben" hat. Muß man auch seitwärts von dieser in den Gastdäusern um die
^lebe feilschen, bevor man sichs bequem macht, so ist der Grund davon we-
n>ger Habsucht, als der Trieb, zu handeln, zu überlisten und über die Unde.
kcinntschaft des Gastes mit den Verhältnissen oder seine geringe Lebensklugheit
überhaupt zu triumphiren. Was uns als übertriebne Sparsamkeit erscheint,
'se "se nur Bedürfnißlosigkeit.

Das Talent des Jtalieners im Auffassen und Begreifen ist ungemein
l^oh. Außerordentlich leicht findet er sich in einen Auftrag, sehr rasch macht
^ sich zu eigen, was man ihm selbst über das Bereich seiner Kenntnisse aus-
wiandersetzt, mit vielem Geschick fertigt der Handwerker ohne complicirte Werk-
^ugc. was bei uns mit Hilfe von Maschinen geschaffen wird. Aber die
Schulen sind allenthalben schlecht, und auf den Gewerbetreibenden lastet der
schwerste Steuerdruck. So hörte der Verfasser einst in einer kleinen römischen
^>labt einen armen Ciabattino mit Thränen in den Augen und lautem Wei-


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weiter können — ein nichts weniger als nobles Vergnügen, das stark nach
Thicrguälerei schmeckt, über das wir uns aber nicht wundern dürfen, da jeder
gemeine Italiener ein geborner Thierquäler ist.

Der italienische Kleinstädter hat wenig von den Eigenschaften des deutschen.
Er liebt gleich diesem den Klatsch und hat denselben engen Gesichtskreis, was
sich theils aus der Abgeschlossenheit der einzelnen Bezirke und Orte gegen
einander erklärt, die oft weniger von einander wissen, als wir von den fern¬
sten Gegenden und Städten, andrerseits aber darauf zurückzuführen ist. daß
die Bildung hier selbst in den mittlern Ständen noch sehr im Argen liegt.
Dies gilt unter anderen vorzüglich von der Geographie, und der Verfasser wurde
in dieser Beziehung nicht selten durch die wunderlichsten Behauptungen über^
tischt. Einmal fragte ihn ein Postbeamter, ob nicht Preußen ein Kanton
der Schweiz sei. Ein andermal meinte ein gutgekleideter Signore, die „neue"
Kunst der Daguerreotypic sei eine Erfindung der Italiener, und als ihm dieß
widerlegt wurde, wollte er es nicht glauben. Es wären ja auch die Eisen¬
bahnen und die Telegraphen in Italien zuerst aufgekommen. Dagegen haben
"lie Italiener, wenigstens im Römischen, eine gute Haltung, und ein an-
»>uthiges Geberdenspiel, wobei sie allerdings durch guten Körperbau und aus¬
drucksvolle Züge unterstützt werden. Doch dürste ihr mehr oder minder
vornehmes Wesen noch mehr auf Rechnung ihrer classischen Abstammung so¬
wie des Umstandes zu bringen sein, daß der Standesunterschied hier nicht so
schroff wie im Norden hervortritt. Wer ungezwungen spricht und sich ohne
^ngst anzustoßen bewegt, wird in der Regel anch schön sprechen und durch
>um Benehmen den Eindruck eines Gentleman machen.

Wenn man dem Italiener Geiz und Geldgier vorwirft, so mag das von
den Orten an der großen Heerstraße gelten, wo der Fremdenzug ihn verdor¬
ben» hat. Muß man auch seitwärts von dieser in den Gastdäusern um die
^lebe feilschen, bevor man sichs bequem macht, so ist der Grund davon we-
n>ger Habsucht, als der Trieb, zu handeln, zu überlisten und über die Unde.
kcinntschaft des Gastes mit den Verhältnissen oder seine geringe Lebensklugheit
überhaupt zu triumphiren. Was uns als übertriebne Sparsamkeit erscheint,
'se »se nur Bedürfnißlosigkeit.

Das Talent des Jtalieners im Auffassen und Begreifen ist ungemein
l^oh. Außerordentlich leicht findet er sich in einen Auftrag, sehr rasch macht
^ sich zu eigen, was man ihm selbst über das Bereich seiner Kenntnisse aus-
wiandersetzt, mit vielem Geschick fertigt der Handwerker ohne complicirte Werk-
^ugc. was bei uns mit Hilfe von Maschinen geschaffen wird. Aber die
Schulen sind allenthalben schlecht, und auf den Gewerbetreibenden lastet der
schwerste Steuerdruck. So hörte der Verfasser einst in einer kleinen römischen
^>labt einen armen Ciabattino mit Thränen in den Augen und lautem Wei-


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[0277] weiter können — ein nichts weniger als nobles Vergnügen, das stark nach Thicrguälerei schmeckt, über das wir uns aber nicht wundern dürfen, da jeder gemeine Italiener ein geborner Thierquäler ist. Der italienische Kleinstädter hat wenig von den Eigenschaften des deutschen. Er liebt gleich diesem den Klatsch und hat denselben engen Gesichtskreis, was sich theils aus der Abgeschlossenheit der einzelnen Bezirke und Orte gegen einander erklärt, die oft weniger von einander wissen, als wir von den fern¬ sten Gegenden und Städten, andrerseits aber darauf zurückzuführen ist. daß die Bildung hier selbst in den mittlern Ständen noch sehr im Argen liegt. Dies gilt unter anderen vorzüglich von der Geographie, und der Verfasser wurde in dieser Beziehung nicht selten durch die wunderlichsten Behauptungen über^ tischt. Einmal fragte ihn ein Postbeamter, ob nicht Preußen ein Kanton der Schweiz sei. Ein andermal meinte ein gutgekleideter Signore, die „neue" Kunst der Daguerreotypic sei eine Erfindung der Italiener, und als ihm dieß widerlegt wurde, wollte er es nicht glauben. Es wären ja auch die Eisen¬ bahnen und die Telegraphen in Italien zuerst aufgekommen. Dagegen haben "lie Italiener, wenigstens im Römischen, eine gute Haltung, und ein an- »>uthiges Geberdenspiel, wobei sie allerdings durch guten Körperbau und aus¬ drucksvolle Züge unterstützt werden. Doch dürste ihr mehr oder minder vornehmes Wesen noch mehr auf Rechnung ihrer classischen Abstammung so¬ wie des Umstandes zu bringen sein, daß der Standesunterschied hier nicht so schroff wie im Norden hervortritt. Wer ungezwungen spricht und sich ohne ^ngst anzustoßen bewegt, wird in der Regel anch schön sprechen und durch >um Benehmen den Eindruck eines Gentleman machen. Wenn man dem Italiener Geiz und Geldgier vorwirft, so mag das von den Orten an der großen Heerstraße gelten, wo der Fremdenzug ihn verdor¬ ben» hat. Muß man auch seitwärts von dieser in den Gastdäusern um die ^lebe feilschen, bevor man sichs bequem macht, so ist der Grund davon we- n>ger Habsucht, als der Trieb, zu handeln, zu überlisten und über die Unde. kcinntschaft des Gastes mit den Verhältnissen oder seine geringe Lebensklugheit überhaupt zu triumphiren. Was uns als übertriebne Sparsamkeit erscheint, 'se »se nur Bedürfnißlosigkeit. Das Talent des Jtalieners im Auffassen und Begreifen ist ungemein l^oh. Außerordentlich leicht findet er sich in einen Auftrag, sehr rasch macht ^ sich zu eigen, was man ihm selbst über das Bereich seiner Kenntnisse aus- wiandersetzt, mit vielem Geschick fertigt der Handwerker ohne complicirte Werk- ^ugc. was bei uns mit Hilfe von Maschinen geschaffen wird. Aber die Schulen sind allenthalben schlecht, und auf den Gewerbetreibenden lastet der schwerste Steuerdruck. So hörte der Verfasser einst in einer kleinen römischen ^>labt einen armen Ciabattino mit Thränen in den Augen und lautem Wei- 34*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/277>, abgerufen am 15.01.2025.