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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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oder fünf männliche Personen beschäftigt sind verschiedene Fleischarten ans
dem Rost oder am Spieße zu braten. Ein Kellner (Cameriere). mit einer
Schürze, deren Farbe einst weiß war. tritt uns entgegen und fragt nach unserem
Befehl, indem er uns zugleich mit einem riesigen Wortschwall belehrt, was
wir haben können. Man bringt uns Teller, Messer und Gabeln, an welchen
noch Spuren anderer Speisen zu finden sind. Beklagen wir uns beim Kellner
über diese Unsauberkeit, so wird er die Eßwerkzeuge vor unseren klugen brevi
manu mit jener gräulichen Schürze abwischen, welche uns schon beim Eintritt
in die Garküche Abscheu einflößte. Wir thun darum klüger, hinaus zu gehen
und an dem Brunnen Teller und Besteck eigenhändig zu waschen. Wem dabei
der Appetit nicht vergangen ist. der wird die Gerichte schmackhaft finden, so
einfach sie auch im Allgemeinen zubereitet werden. Der Wein, den wir trinken, ist
ebenfalls genießbar, und so finden wir, daß diese Speiseanstnlt übler aussieht,
als sie ist.

Im Hintergründe sehen wir zwei zerlumpte Bursche die Morra spielen.
Sie fahren taktmäßig mit den Händen einander entgegen wie englische Kampf¬
hähne und schreien dabei einander mit gellender Stimme Zahlen zu.

Eine andere Gruppe genießt ausschließlich Wein, und hört dabei dem
Gesänge Eines unter ihnen zu, welcher sich mit einer Tenorarie aus einer der
lctztgehörten Opern abmüht. Bei jeder Kraftanstrengung erntet er Bravos,
was einen Zweiten eifersüchtig macht und ihn veranlaßt, die Gesellschaft eben¬
falls mit einem Gesangvortrag zu regaliren. Wer von den Gästen ißt, hält
sich sehr mäßig: ein kleiner Fisch, ein Hühncrflügel, viel Brot und ein Glas
Wein mit Wasser gemischt stellt ihn'vollkommen zufrieden.

Am Ende des Raumes klappern Teller und Gläser, die hier gewaschen
werden. Die nicht abgeputzten Wände sind mit Fliegen bedeckt, die uns fort¬
während umstimmen und wie Vogelschwärme von dem Tischtuch emporschwirren,
^on der Decke hängen die Spinnweben wie zerfetzte graue Fahnen bis fast auf
unsere Scheitel herab, und der Fußboden ist mit Knochen, Fleischabfällcn,
Schmutz. Kartoffel- und Fruchtschaleu :c. bedeckt. Im Hose spielt man die
^ Italien sehr beliebte Boccia, ein Kugclspiel, bei dem es hübsche Gruppen
giebt. Der Speisesaal eines Albergo (Gasthauses) ist allerdings, mit einer
^steria verglichen, ein Paradies, steht aber wenigstens in den kleinen und Mit-
^'lstädten noch weit hinter unseren Gasthäusern zweiten und dritten Ranges
zurück. -- -

Freundlichere Bilder als diese Osterien und gar die Cantincn (Weinschenken
räuberhöhlenühnlichcn Gewölben), zeigen die Volkslustbarkeiten in unsrer
Stadt. Unter diesen nimmt das Theater die vornehmste Stelle ein. Dasselbe
^ hier weit mehr Bedürfniß und weit beliebter und geachteter, als bei uns
^ der Provinz. Kleine Städte von acht- bis zehntausend Einwohnern haben


oder fünf männliche Personen beschäftigt sind verschiedene Fleischarten ans
dem Rost oder am Spieße zu braten. Ein Kellner (Cameriere). mit einer
Schürze, deren Farbe einst weiß war. tritt uns entgegen und fragt nach unserem
Befehl, indem er uns zugleich mit einem riesigen Wortschwall belehrt, was
wir haben können. Man bringt uns Teller, Messer und Gabeln, an welchen
noch Spuren anderer Speisen zu finden sind. Beklagen wir uns beim Kellner
über diese Unsauberkeit, so wird er die Eßwerkzeuge vor unseren klugen brevi
manu mit jener gräulichen Schürze abwischen, welche uns schon beim Eintritt
in die Garküche Abscheu einflößte. Wir thun darum klüger, hinaus zu gehen
und an dem Brunnen Teller und Besteck eigenhändig zu waschen. Wem dabei
der Appetit nicht vergangen ist. der wird die Gerichte schmackhaft finden, so
einfach sie auch im Allgemeinen zubereitet werden. Der Wein, den wir trinken, ist
ebenfalls genießbar, und so finden wir, daß diese Speiseanstnlt übler aussieht,
als sie ist.

Im Hintergründe sehen wir zwei zerlumpte Bursche die Morra spielen.
Sie fahren taktmäßig mit den Händen einander entgegen wie englische Kampf¬
hähne und schreien dabei einander mit gellender Stimme Zahlen zu.

Eine andere Gruppe genießt ausschließlich Wein, und hört dabei dem
Gesänge Eines unter ihnen zu, welcher sich mit einer Tenorarie aus einer der
lctztgehörten Opern abmüht. Bei jeder Kraftanstrengung erntet er Bravos,
was einen Zweiten eifersüchtig macht und ihn veranlaßt, die Gesellschaft eben¬
falls mit einem Gesangvortrag zu regaliren. Wer von den Gästen ißt, hält
sich sehr mäßig: ein kleiner Fisch, ein Hühncrflügel, viel Brot und ein Glas
Wein mit Wasser gemischt stellt ihn'vollkommen zufrieden.

Am Ende des Raumes klappern Teller und Gläser, die hier gewaschen
werden. Die nicht abgeputzten Wände sind mit Fliegen bedeckt, die uns fort¬
während umstimmen und wie Vogelschwärme von dem Tischtuch emporschwirren,
^on der Decke hängen die Spinnweben wie zerfetzte graue Fahnen bis fast auf
unsere Scheitel herab, und der Fußboden ist mit Knochen, Fleischabfällcn,
Schmutz. Kartoffel- und Fruchtschaleu :c. bedeckt. Im Hose spielt man die
^ Italien sehr beliebte Boccia, ein Kugclspiel, bei dem es hübsche Gruppen
giebt. Der Speisesaal eines Albergo (Gasthauses) ist allerdings, mit einer
^steria verglichen, ein Paradies, steht aber wenigstens in den kleinen und Mit-
^'lstädten noch weit hinter unseren Gasthäusern zweiten und dritten Ranges
zurück. — -

Freundlichere Bilder als diese Osterien und gar die Cantincn (Weinschenken
räuberhöhlenühnlichcn Gewölben), zeigen die Volkslustbarkeiten in unsrer
Stadt. Unter diesen nimmt das Theater die vornehmste Stelle ein. Dasselbe
^ hier weit mehr Bedürfniß und weit beliebter und geachteter, als bei uns
^ der Provinz. Kleine Städte von acht- bis zehntausend Einwohnern haben


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[0273] oder fünf männliche Personen beschäftigt sind verschiedene Fleischarten ans dem Rost oder am Spieße zu braten. Ein Kellner (Cameriere). mit einer Schürze, deren Farbe einst weiß war. tritt uns entgegen und fragt nach unserem Befehl, indem er uns zugleich mit einem riesigen Wortschwall belehrt, was wir haben können. Man bringt uns Teller, Messer und Gabeln, an welchen noch Spuren anderer Speisen zu finden sind. Beklagen wir uns beim Kellner über diese Unsauberkeit, so wird er die Eßwerkzeuge vor unseren klugen brevi manu mit jener gräulichen Schürze abwischen, welche uns schon beim Eintritt in die Garküche Abscheu einflößte. Wir thun darum klüger, hinaus zu gehen und an dem Brunnen Teller und Besteck eigenhändig zu waschen. Wem dabei der Appetit nicht vergangen ist. der wird die Gerichte schmackhaft finden, so einfach sie auch im Allgemeinen zubereitet werden. Der Wein, den wir trinken, ist ebenfalls genießbar, und so finden wir, daß diese Speiseanstnlt übler aussieht, als sie ist. Im Hintergründe sehen wir zwei zerlumpte Bursche die Morra spielen. Sie fahren taktmäßig mit den Händen einander entgegen wie englische Kampf¬ hähne und schreien dabei einander mit gellender Stimme Zahlen zu. Eine andere Gruppe genießt ausschließlich Wein, und hört dabei dem Gesänge Eines unter ihnen zu, welcher sich mit einer Tenorarie aus einer der lctztgehörten Opern abmüht. Bei jeder Kraftanstrengung erntet er Bravos, was einen Zweiten eifersüchtig macht und ihn veranlaßt, die Gesellschaft eben¬ falls mit einem Gesangvortrag zu regaliren. Wer von den Gästen ißt, hält sich sehr mäßig: ein kleiner Fisch, ein Hühncrflügel, viel Brot und ein Glas Wein mit Wasser gemischt stellt ihn'vollkommen zufrieden. Am Ende des Raumes klappern Teller und Gläser, die hier gewaschen werden. Die nicht abgeputzten Wände sind mit Fliegen bedeckt, die uns fort¬ während umstimmen und wie Vogelschwärme von dem Tischtuch emporschwirren, ^on der Decke hängen die Spinnweben wie zerfetzte graue Fahnen bis fast auf unsere Scheitel herab, und der Fußboden ist mit Knochen, Fleischabfällcn, Schmutz. Kartoffel- und Fruchtschaleu :c. bedeckt. Im Hose spielt man die ^ Italien sehr beliebte Boccia, ein Kugclspiel, bei dem es hübsche Gruppen giebt. Der Speisesaal eines Albergo (Gasthauses) ist allerdings, mit einer ^steria verglichen, ein Paradies, steht aber wenigstens in den kleinen und Mit- ^'lstädten noch weit hinter unseren Gasthäusern zweiten und dritten Ranges zurück. — - Freundlichere Bilder als diese Osterien und gar die Cantincn (Weinschenken räuberhöhlenühnlichcn Gewölben), zeigen die Volkslustbarkeiten in unsrer Stadt. Unter diesen nimmt das Theater die vornehmste Stelle ein. Dasselbe ^ hier weit mehr Bedürfniß und weit beliebter und geachteter, als bei uns ^ der Provinz. Kleine Städte von acht- bis zehntausend Einwohnern haben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/273>, abgerufen am 16.01.2025.